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Der griechische EM-Titel 2004 war eine der größten Sensationen der Fußball-Geschichte
Der griechische EM-Titel 2004 war eine der größten Sensationen der Fußball-Geschichte
Foto Pollex/ Action Press / picturedesk.com

Die 10 größten Sensationen der Fußball-Geschichte

13.12.2022 um 15:00, Philipp Eitzinger
min read
Marokko in einem WM-Halbfinale! Es ist eine der größten Überraschungen, die es bei großen Fußball-Turnieren je gegeben hat. Aber beileibe nicht die erste. Hier die Top-10 der größten Sensationen bei Länderturneren von WM bis EM und darüber hinaus.

Platz 10: Schweden wird 1958 Vize-Weltmeister

Heute alltäglich, damals mehr als ungewöhnlich: Als Schweden 1958 die WM ausrichtete, setzte man die vielen Legionäre aus der starken Serie A ein. Das stärkte Schweden, man ließ in der Gruppenphase Ungarn hinter sich, besiegte im Viertelfinale die Sowjetunion (2:0) und ein nach dem Ausschluss von Erich Juskowiak dezimiertes deutsches Team im Halbfinale (3:1). Die Deutschen fühlten sich benachteiligt: Einpeitscher sorgten vor dem Spiel für Hexenkessel-Stimmung, nachdem die Medien mit üblen Hetzkampagnen gegen die Deutschen Vorarbeit geleistet hatten. Zudem waren Schwedens Gegner von organisierten Sprech-Chören ("Heja, Sverige!"), die bis dahin gänzlich unbekannt waren, aus der Fassung gebracht worden. Brasilien war im Finale aber eine Nummer zu groß – 2:5.

Schweder Fan-Einpeitscher vor dem WM-Halbfinale 1958 gegen Deutschland
Die schwedischen Einpeitscher sorgten 1958 für Hexenkessel-Stimmung

Platz 9: Dänemark wird 1992 Europameister

Eigentlich war Dänemark für die EM 1992, die noch mit acht Teams ausgetragen wurde, gar nicht qualifiziert – Zweiter in der Quali-Gruppe hinter Jugoslawien. Wegen des Krieges am Balkan wurde Jugoslawien aber kurz vor der EM ausgeschlossen, Dänemark rückte nach und kegelte in der Vorrunde prompt Favorit Frankreich aus dem Turnier. Im Halbfinale folgte einem starken Spiel gegen Titelverteidiger Holland der Sieg im Elferschießen, ehe man im Finale von Göteborg Weltmeister Deutschland 2:0 düpierte. Was man allerdings gerne vergisst: Dänemark gehörte in den Jahren zuvor zu Europas Spitze, war bei der EM 1984 im Halbfinale, bei der WM 1986 mit begeisterndem Fußball im Achtelfinale und auch bei der EM 1988 unter den acht Teilnehmern gewesen.

John Jensen bejubelt sein Tor zum 1:0 im EM-Finale 1992 gegen Deutschland
John Jensen nach dem 1:0 im Finale gegen Deutschland (re.: Thomas Helmer)

Platz 8: Tschechoslowakei wird 1976 Europameister

Ganz Europa freute sich auf eine Neu-Auflage des WM-Finales 1974 im Endspiel der EM 1976 - Beckenbauers Deutschland gegen Johan Cruyffs Holländer! Doch das Team aus der Tschechoslowakei funkte dazwischen. Nachdem Antonín Panenka und Co. schon in der Qualifikation die Engländer eliminiert und im Viertelfinale das Team der Sowjetunion besiegt hatte, rang man im Halbfinale Holland mit 3:1 nach Verlängerung nieder. Im Finale von Belgrad wirbelte das CSSR-Team (mit sieben Slowaken und vier Tschechien) die Deutschen ausgerechnet in Franz Beckenbauers 100. Länderspiel kräftig durcheinander. Irgendwie rettete sich Deutschland ins Elferschießen, wo erst Uli Hoeneß in den Nachthimmel von Belgrad schoss und dann der spätere Rapidler Panenka mit dem später nach ihm benannten Schupferl den Titel für sein Team sicherte.

Deutschlands Franz Beckenbauer und Antonin Pankena aus der Tschechoslowakei im EM-Finale 1976
Antonin Panenka (re.) im Zweikampf mit Franz Beckenbauer (li.): Der spätere Rapidler entscheidet das Elferschießen mit einem Schupferl

Platz 7: Deutschland wird 1954 Weltmeister

Erst nach Gründung der Bundesrepublik 1949 hatte Deutschland überhaupt wieder ein Nationalteam, die FIFA verweigerte bis nach der WM 1950 die Aufnahme und auch in den Jahren danach war die Mannschaft von Sepp Herberger weit davon entfernt, zur europäischen oder gar zur Weltspitze zu gehören. Man war froh, 1954 überhaupt bei der WM teilnehmen zu dürfen. Nachdem man die Gruppe gegenüber der Türkei überstanden hatte und sich in einer Viertelfinal-Abwehrschlacht gegen Jugoslawien durchgezittert hatte, gab es dank einer starken zweiten Hälfte ein 6:1 im Halbfinale gegen Österreich. Im Finale gegen die haushoch favorisierten Ungarn lag man schnell 0:2 zurück, drehte die Partie im Dauerregen aber noch zum 3:2 um: Das "Wunder von Bern" war geboren.

Fritz Walter mit der WM-Trophäe im Berner Wankdorf-Stadion
Fritz Walter mit der WM-Trophäe im Berner Wankdorf-Stadion

Platz 6: Der Irak wird 2007 Asien-Meister

Offiziell war der Irak-Krieg zwar vorbei, aber die Kampfhandlungen waren 2007 noch immer in vollem Gange. Das letzte Heimspiel des irakischen Fußballteams war fünf Jahre her, für Quali-Spiele musste man nach Katar oder in die Emirate ausweichen. Die Erwartungen vor dem Asiencup waren gering und dass man nach einem Sieg gegen Australien sowie Remis gegen Thailand und den Oman ins Viertelfinale einzog, schon ein Ausrufezeichen. Im Viertelfinale gab es ein 2:0 gegen Vietnam, im Halbfinale hielt man Südkorea 120 Minuten tapfer bei einem 0:0 und gewann danach das Elfmeterschießen. Im Finale gegen Saudi-Arabien war man krasser Außenseiter, ein Tor von Kapitän Yunus Mahmoud sorgte aber für den 1:0-Sieg. Der Irak – 1986 nur einmal bei einer WM dabei gewesen – feierte in Jakarta den größten Erfolg seiner Fußballgeschichte.

Iraks Kapitän Yunus Mahmoud mit dem Cup: Der Irak ist sensationell Asienmeister 2007
Iraks Kapitän Yunus Mahmoud mit dem Cup: Der Irak ist sensationell Asienmeister 2007

Platz 5: Bulgarien im WM-Halbfinale 1994

Ein Team aus Ost-Europa mit einem Weltstar und einer Handvoll vernünftiger Nebendarsteller: Was heute Polen mit Robert Lewandowski ist, war in den 1990ern Bulgarien mit Hristo Stoitchkov. In der Gruppenphase nützte man die Gunst der Stunde, besiegte ein argentinisches Team, das nach dem positiven Drogen-Test für Maradona neben sich stand, und bog im Achtelfinale Mexiko nach einem 1:1 im Elfmeterschießen. Es folgte der legendäre Sieg gegen Deutschland im Viertelfinale von New York, als Stoitchkov per Freistoß ausglich und kurz darauf HSV-Legionär Letchkov per Hechtkopfball den 2:1-Sieg fixierte. Zwar verlor Bulgarien das Halbfinale (1:2 gegen Italien) und das Spiel um Platz drei (0:4 gegen Schweden), aber dass man überhaupt so weit gekommen war, war eine faustdicke Überraschung.

Jordan Letchkov bejubelt das Siegestor gegen Matthäus' Deutsche.

Platz 4: Marokko im WM-Halbfinale 2022

Die "Atlaslöwen" waren zwar erst einmal Afrikameister, aber sie sind die kontinentalen Pioniere bei der WM: Schon 1986 zogen sie als erstes afrikanisches Team ins Achtelfinale ein (wo man Deutschland unterlag), nun ist mal als erstes afrikanisches Team in einem WM-Halbfinale. Auf dem Weg dorthin blieb man gegen Kroatien ungeschlagen (0:0), besiegte Belgien (2:0) in der Gruppe, dann Spanien (im Elfmeterschießen) im Achtel- sowie Portugal (1:0) im Viertelfinale. Der Schlüssel zum Erfolg? Extremer Teamgeist, höchste defensive Disziplin und Effizienz vor dem Tor.

Romain Saïss und Hakim Zyiech feiern den Einzug ins Viertelfinale

Platz 3: Südkorea im WM-Halbfinale 2002

Fünfmal hatte Südkorea bis 1998 bei einer WM teilgenommen, nie gab es auch nur einen Sieg. Dann, bei der Heim-WM 2002, ging es aber dahin! 2:0 zum Auftakt gegen ein hüftsteifes Team aus Polen, 1:1 gegen die USA und ein famoses 1:0 gegen Portugal - das wohl beste Match, das jemals ein südkoreanisches Team gespielt hat - bedeuteten den Gruppensieg. Im Achtelfinale hatten Guus Hiddinks fleißige Pressing-Bienchen Italien im Griff, es brauchte aber kreative Entscheidungen von Referee Moreno für den 2:1-Sieg nach Verlängerung, im Viertelfinale gegen Spanien profitierte man von zwei skandalösen Fehlpfiffen von Referee Ghandour. Im Halbfinale gegen Deutschland war der Akku leer, aber trotz dem 0:1 war es ein sensationeller Auftritt für die Koreaner.

Südkoreas Park Ji-Sung im Zweikampf von Italiens Francesco Coco im WM-Achtelfinale 2002
Park Ji-Sung (li.) wurde später Stammspieler bei Manchester United

Platz 2: Sambia wird 2012 Afrika-Meister

Das Team aus dem Land im Südosten von Afrika war Anfang der 1990er eines der besten des Kontinents, doch bei einem tragischen Flugzeug-Absturz in Gabun auf dem Weg zu einem WM-Quali-Spiel kam 1993 praktisch die ganze Mannschaft ums Leben. Der sambische Fußball erholte sich davon nie wirklich, mit einer Ausnahme: Dem Afrika-Cup 2012, ausgerechnet in Gabun. Angeführt von Teamchef Hervé Renard – der später auch mit der Elfenbeinküste den Afrikacup gewinnen sollte sowie 2018 mit Marokko und 2022 mit Saudi-Arabien bei der WM war – besiegte man den Senegal in der Vorrunde, später Ghana im Halbfinale sowie die Elfenbeinküste im Finale.

Die Spieler von Sambia mit dem Pokal nach dem Titelgewinn beim Afrikacup 2012
Emotionaler Jubel: Sambia wird 2012 in jenem Land Afrikameister, in dem 19 Jahre zuvor fast das komplette Team sein Leben verloren hat

Platz 1: Griechenland wird 2004 Europameister

Schon die bloße Teilnahme von Griechenland an einem großen Turnier war eine mittelschwere Sensation – nach 1980 und 1994 war die EM 2004 überhaupt erst das dritte Mal, dass die Hellenen mitmachen durften. Selbst, als man Gastgeber Portugal im Eröffnungsspiel 2:1 düpierte, ahnte die Fußballwelt noch nichts. Ein Remis gegen Spanien später standen Otto Rehhagels Mannen im Viertelfinale, und dort packten die bis dahin durchaus offensiven Griechen jene ultra-defensive Mauer-Strategie aus, für die sie berüchtigt wurden. 1:0 gegen Frankreich im Viertelfinale, 1:0 gegen Tschechien im Halbfinale, 1:0 gegen Portugal im Finale: Die No-Name-Truppe hatte sich in einem Turnier, in dem fast alle anderen bedinungslosen Offensiv-Fußball spielten, zum Titel gemauert.

Es gilt bis heute als größte Sensation der Fußball-Geschichte.

Griechenlands Stürmer Angelos Charisteas gewinnt im EM-Finale 2004 einen Zweikampf gegen Portugals Cristiano Ronaldo
Angelos Charisteas (li.) erzielt das goldene Tor im Finale - ein junger Cristiano Ronaldo (re.) hat das Nachsehen

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