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Glyn Kirk / AFP / picturedesk.com

Darum wird es das wertloseste Wimbledon seit Jahrzehnten

22.06.2022 um 10:30, Philipp Eitzinger
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Der Rasen-Klassiker droht zum Muster ohne großen Wert zu werden, ein gut bezahltes Show-Turnier! Denn Stars wie Medvedev sind wegen ihrer russischen Herkunft ausgesperrt, es gibt keine Ranking-Punkte, dafür zahlreiche weitere Absagen.

Daniil Medvedev ausgeschlossen, Alexander Zverev verletzt: Erstmals seit Einführung der Weltrangliste (!!!) fehlten sowohl die Nummer eins als auch die Nummer zwei im Herren-Tennis bei Wimbledon. Doch auch aus anderen Gründen wird das kommende Woche startende Turnier in All England Lawn Tennis and Croquet Club zur sinnlosesten Ausgabe des Klassikers seit fast 50 Jahren.

Ausgeschlossen: Zwölf Top-50-Athleten

In Folge der russischen Invasion haben die Organisatoren ohne Rücksprache mit den maßgeblichen Verbänden ATP, WTA und ITF beschlossen, Athleten aus Russland und Weißrussland auszusperren. Man wolle nicht riskieren, dass ein möglicher russischer Sieger jubelnd mit der Fahne eines Kriegstreibers über den heiligen Rasen läuft, hieß es.

Damit sind der Weltranglisten-Erste (Daniil Medvedev), der Achte (Andrej Rublev), der 22. (Karen Khachanov), der 40. (Ilia Ivashka) und der 43. (Aslan Karatsev) bei den Herren nicht antrittsberechtigt. Bei den Frauen fehlen gar sieben Top-50-Spielerinnen: Sabalenka (7.), Kasatkina (13.), Azarenka (20.), Kudermetova (22.), Alexandrova (28.), Sasnovitch (34.) und Samsonova (47.).

Zverev, Federer, Osaka: Der Körper macht nicht mit

Rafael Nadal will es zumindest versuchen, beim Rasen-Klassiker anzutreten. Anderen machte der Körper einen definitiven Strich durch die Rechnung – vor allem Alexander Zverev, bei dem nach seiner üblen Bänderverletzung aus dem Paris-Halbfinale selbst eine Teilnahme bei den US Open ab Ende August wackelt. Auch Roger Federer, der Wimbledon definitiv als Zeitpunkt der Rückkehr ins Auge gefasst hatte, kann wegen seiner anhaltenden Knieprobleme erstmals seit 1998 nicht mitmachen.

Dominic Thiem lässt einen Start in Wimbledon ebenso bleiben, Shooting-Star Sebastian Korda hat Schienbeinprobleme. Bei Naomi Osaka zwickt immer noch die Achillessehne, US-Open-Finalistin Leylah Fernandez hat sich den Fuß gebrochen, Sofia Kenin den Knöchel. Ein schöner Grund hindert dafür die ehemalige WTA-Dritte Elina Svitolina am Spielen: Die Ukrainerin, Siegerin von fünf Masters-Turnieren auf der Tour, ist schwanger.

Keine Weltranglisten-Punkte

Sie alle können das Fehlen bei Wimbledon verschmerzen, eben weil es keine Ranking-Punkte zu holen gibt. Der Ausschluss, so politisch gerechtfertigt er auch sein mag, verstößt gegen den Gleichheitsgrundsatz: Niemand soll solche Konsequenzen durch das Handeln anderer tragen müssen. Daher haben ATP, WTA und ITF beschlossen, Wimbledon zumindest für 2022 den Status als Weltranglisten-Turnier zu entziehen.

Effektiv ist Wimbledon 2022 damit ein Show-Turnier, eine gut bezahlte Exhibition. Auf der anderen Seite sind die Organisatoren froh, dass es Serena Williams erstmals seit exakt einem Jahr – ihrer Wimbledon-Erstrunden-Pleite gegen Alexandra Sasnovich 2021 - wieder versucht. Auch Fabio Fognini hat sich angesagt: Der Italiener hatte öffentlichkeitswirksam vermeldet, dass ihm die fehlenden Punkte egal sind, aber sollte das Preisgeld auch noch gekürzt werden, "mache ich lieber Urlaub mit meiner Family auf Formentera". Er kann beruhigt sein: Auf die Sieger wartet immer noch ein Zwei-Millionen-Dollar-Scheck.

Erinnerungen an Spieler-Streik 1973

Bei so vielen Abwesenden werden Erinnerungen an das Turiner von 1973 wach, das von 81 Profis – darunter 13 der Top-16 – bestreikt worden war. Dies war eine Reaktion auf die Suspendierung von Niki Pilic: Der jugoslawische Verband hatte Pilic vorgeworfen, ein Davis-Cup-Spiel geschwänzt zu haben und ihm daraufhin die Reise nach Wimbledon verboten hatte. Jan Kodeš aus Jugoslawiens sozialistischem Bruderstaat Tschechoslowakei konnte sich dem Streik aus politischen Gründen nicht anschließen und gewann die Turnier-Farce.

Ganz so schlimm wird es 2022 nicht, aber Novak Djokovic und Iga Świątek haben deutlich weniger Stolpersteine auf dem Weg zum möglichen Turniersieg.

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