Lieber Armin Wolf!
Was für ein Interview, das Sie da kürzlich mit Tassilo Wallentin abgeliefert haben. Zum Zunge schnalzen, ein Ohrenschmaus, eine Sternstunde. Der Mozart des Journalismus, nannten Sie einige gar. Nicht weniger als sieben Bücher Wallentins haben Sie sich zur Vorbereitung reingewürgt, dazu noch so gut wie jede Kolumne, die in der größten Österreichischen Tageszeitung erschienen ist. Chapeau! So geht Vorbereitung, dachte wohl jeder Journalist und Hobbyposter dieses Landes.
Und dann haben Sie den Herrn Wallentin nach allen Regeln der Kunst vorgeführt, gegrillt möchte man fast sagen. Aber nicht nur Sie sind beim ORF eine Lichtgestalt. Nein, eine zweite drängt sich mehr und mehr in den Vordergrund: Martin Thür, so etwas wie Ihr journalistischer Ziehsohn. Gescheit, eloquent, moderater im Ton, aber nicht weniger Koryphäe. Auch er durfte sich an einem Delinquenten abarbeiten, musste vor dem Interview mit Gerald Grosz nahezu bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs zurück recherchieren, um auf eine Unregelmäßigkeit zu stoßen. Er wurde fündig, zerlegte den Ex-BZÖ-Obmann wie einen Truthahn an Weihnachten.
Kein Wolf, kein Thür
Lieber Herr Wolf, Sie sind wohl nicht verwundert, dass die ganze Nation – und natürlich auch meine Wenigkeit – gespannt vor dem Fernsehgerät saß, als für gestern ein ZIB2-Interview mit dem Amtsinhaber angekündigt war. Wer würde es führen, der Meister persönlich oder das aufstrebende Talent? Was würde man aus Van der Bellens Vergangenheit ausgraben? Ein Plagiat bei der Dissertation? Grüne Korruption? Würde man ihn für seine tranige Amtsführung an die Wand nageln? Nun, erste Ernüchterung machte sich breit, als weder Sie noch Martin Thür, sondern Marie-Claire Zimmermann am Bildschirm auftauchten.
FPÖ-TV?
Nun gut, Gleichberechtigung und so, dachte man wohlwollend. Aber was dann kam, war ein journalistischer Offenbarungseid. Schon das Setting ließ Übles erwarten. Alexander Van der Bellen saß nicht live im Studio, wie die bisher Interviewten, sondern weilte in New York bei der UN-Generaldebatte. Das Interview wurde bereits am Nachmittag aufgezeichnet und bestätigte alle Vorurteile, die man gegenüber dem ORF haben kann. Von Grillen und Zerlegen war keine Spur, eher glich das Ganze einer Belangsendung, erinnerte an FPÖ-TV, nur von der anderen Seite.
Zweierlei Maß
Gell, Herr Bundespräsident, Sie haben es auch nicht leicht? „Nein, die Bürde des Amtes ist schon sehr groß, aber ich ertrag das für die Österreicherinnen und Österreicher.“ In diesem Stil lief das Interview und wurde von Minute zu Minute peinlicher. Okay, man kann solche Interviews schon führen, aber dann muss man in einem Wahlkampf den Stil bei allen Kandidaten beibehalten. Die Herausforderer ans Kreuz schlagen und den Amtsinhaber verhätscheln hinterlässt jenen fahlen Beigeschmack, mit dem der ORF seit Jahrzehnten zu kämpfen hat. Sie, Herr Wolf, sind doch einer, der bei jeder Gelegenheit die Unabhängigkeit des ORF verteidigt, der manchmal sogar grantig wird, wenn man sich erdreistet, diese anzuzweifeln. Tun Sie das auch jetzt, kritisieren Sie Ihren eigenen Arbeitgeber. Das wäre mutig und würde dem ORF ein Stück Unabhängigkeit zurückbringen.