Die Reußens – uralt, diskret und weitverzweigt
Man könnte „Heinrich XIII., Prinz Reuß“ ja für einen erfundenen Namen halten, den sich ein Hochstapler zugelegt haben könnte. Doch der Mann mit Silbermähne, Tweedsakko und Seidenhalstuch, den eine Anti-Terroreinheit der deutschen Polizei vergangenen Mittwoch in Frankfurt am Main verhaftete, ist ein „echter“ Adeliger. Nach den Presseinformationen des Innenministeriums war er der Drahtzieher einer Gruppe von „Reichsbürgern“, die verdächtigt wird, einen gewaltsamen Umsturz herbeiführen zu wollen. Wer ist diese Adelsfamilie Reuß eigentlich? Und wieso haben sie eine römische Ziffer im Namen wie einst die gekrönten Häupter?
Alle Männer heißen Heinrich
Das „Haus Reuß“ ist ein in der Öffentlichkeit wenig bekanntes, aber dafür umso älteres deutsches Adelsgeschlecht. In den Rang von Grundherren erhoben wurde die Familie um das Jahr 1100 von Kaiser Heinrich IV. - jenem deutschen Herrscher, der den berühmten Gang nach Canossa antreten musste. Ihm zu Ehren heißen alle männlichen Nachkommen der Reußens bis heute Heinrich. Zu Beginn jedes neuen Jahrhunderts – also nach ungefähr jeder vierten Generation – beginnt die Zählung neu.
Kerngebiet ist Thüringen
In Bayern, Thüringen, Sachsen und Tschechien herrschten die Mitglieder der weitverzweigten Familie als Vögte (eine Art Stellvertreter des Feudalherrn), wonach auch das thüringische „Vogtland“ benannt ist. 1329 rückten die Reußens dann als Fürsten in den Hochadel auf. Letzter regierender Reußen-Fürst im 20. Jahrhundert war Heinrich der XXVII., Besitzer großer Ländereien im heutigen Thüringen und deutscher Kavalleriegeneral. Mit der Weimarer Republik einigte sich der Fürst noch auf eine Teilung seines Besitzes zu gleichen Teilen, aber nach dem II. Weltkrieg wurde der in der Sowjetzone gelegene Familienbesitz dann komplett enteignet.
Besitz in der DDR enteignet
Im wiedervereinten Deutschland versuchten die Reußens, die in der DDR verstaatlichten Schlösser und Ländereien wiederzubekommen. Auch der 1951 geborene Heinrich XIII. Reuß hat Klagen auf Restitution angestrengt – und etliche verloren. Mitglieder der Familie sagen, er sei darüber verbittert, was wiederum sein Abgleiten in Verschwörungstheorien erkläre.
Chef ist Heinrich, der vierzehnte
Oberhaupt und Sprecher des heutigen, etwa 60 Mitglieder zählenden „Familienverbundes“ der Reußens ist der 1955 geborene Heinrich, XIV., Fürst Reuß. Er residiert in Österreich im riesigen Schloss Ernstbrunn in Niederösterreich, das seit dem 19. Jahrhundert einer Reuß'schen Familienstiftung gehört und das auch für seinen Wildpark bekannt ist. Über den Verhafteten sagt er, dass dieser eine „Randfigur“ und ein „verbitterter alter Mann“ sei, der „verschwörungstheoretischen Irrmeinungen“ nachhänge. In einem Interview mit dem MdR bezeichnete der Fürst (er legt Wert darauf, nur sehr entfernt mit dem Putsch-Prinzen von Frankfurt verwandt zu sein), den Skandal als „katastrophal“ für das Ansehen der Familie. Man sei doch „850 Jahre lang ein tolerantes, weltoffenes Fürstenhaus“ gewesen und stehe nun in der ganzen Welt als „Terroristen und Reaktionäre“ da.