Direkt zum Inhalt
dmibos / istock / getty images plus

Mit mir an meiner Seite

07.10.2024 um 00:00, Cornelia Scheucher
min read
Pilgern. Die Faszination Jakobsweg ist ungebrochen: War es früher die Suche nach Gott, ist es heute die Suche nach dem eigenen Ich.

850 Kilometer sind es von Saint-Jean-Piedde-Port am Fuße der Pyrenäen bis nach Santiago de Compostela. Dort in der -Kathedrale sollen die sterblichen Über-reste des Apostels Jakobus liegen. Bereits im Mittelalter entwickelte sich die Grabstätte neben den Städten Rom und Jerusalem zu einem der drei Hauptziele christlicher Pilgerfahrten, und bis heute hat der Camino Francés nichts von seiner Faszination verloren. 2023 pilgerten laut Statista rund 446.045  Menschen aus der ganzen Welt auf dem Jakobsweg. Und sie alle suchen etwas. 

Sinnsuche. „Auf dem Weg treffe ich eigentlich immer wieder nur auf eins: auf mich“, schreibt Komiker Hape Kerkeling in seinem Bestseller „Ich bin dann mal weg“. Nach einem Zusammenbruch mit Mitte 30 begab sich der Entertainer auf die Reise seines Lebens – und rückte dabei den Jakobsweg in das Gedächtnis zahl-reicher deutscher Leser. Seitdem ist um den Weg ein regelrechter Hype entbrannt, der nicht abzureißen scheint. Und doch ist es schlussendlich die Sinnsuche, die die Menschen dazu bringt, die Wanderschuhe zu schnüren und loszugehen. „Beim Pilgern steht die Selbstfindung im Fokus. Viele Menschen gehen den -Jakobsweg, wenn sie sich in ihrem Leben an einer Weggabelung befinden und den Kopf frei bekommen müssen“, erklärt Karmen Nahberger, Projektleiterin des Weitwanderwege-Portals und Projektmanagerin des Österreichischen und des -Europäischen Wandergütesiegels.

Beim Pilgern steht die ­Selbstfindung im Fokus. Viele Menschen gehen den Jakobsweg, wenn sie ihren Kopf frei bekommen müssen. 

Karmen Nahberger
Projektleitung „Weitwanderwege“
weitwanderwege.com

 

Für die Ewigkeit. An solch einer Weggabelung befand sich auch Waltraud Veith, als sie vor 25 Jahren zum ersten Mal einen Fuß auf den bekannten Weg setzte. „Ich spürte einfach, dass es der richtige Zeitpunkt war“, so die 73-Jährige. Das Erlebnis lässt sie bis heute nicht los: „Es vergeht fast kein Tag, an dem ich nicht daran denke.“ Seitdem war die Steirerin noch zwei Mal am Pass von Frankreich nach Spanien unterwegs. „Doch die erste Erfahrung ist und bleibt unschlagbar“, erzählt Waltraud. 

Einzigartig

Wie haben Sie den Jakobsweg erlebt?
Als Reise zu mir selbst. Ich wurde innerlich total ruhig und habe auf viele Dinge eine ganz andere Perspektive bekommen. Der Komfort fällt weg, man ist dem Wetter ausgesetzt, hat wenig Kleidung mit. Aber der Weg an sich ist natürlich eine körperliche und mentale Belastung. Meine Muskeln haben geschmerzt und in der letzten Woche wollte ich einfach nur ankommen. Was mir gefallen hat, ist, wie stark der Jakobsweg landschaftlich variiert. Die Strecke verändert sich immer wieder. 

Würden Sie den Jakobsweg anderen Pilgern empfehlen?
Auf jeden Fall, es ist eine einzigartige Erfahrung. Ich war meistens allein unterwegs, doch man trifft auf dem Weg viele verschiedene Nationen und kommt ins Gespräch. Alle haben ja dasselbe Ziel. Und da der Weg auf Touristen ausgerichtet ist, muss man sich auch keine Sorgen machen. 

Waren Sie seitdem noch einmal pilgern oder haben Sie es vor?
Ich war seitdem leider nicht mehr pilgern, aber ich habe vor, noch einmal den Jakobsweg zu gehen. Außerdem steht ein Pilgerweg in Japan auf meiner Liste, der ist jedoch über 1.000 Kilometer lang. Und die sprachliche Barriere macht das noch einmal zu einer ganz neuen Herausforderung.

Neuer Lebensabschnitt. Andreas Herz hat sich zu seinem 50er auf den Weg gemacht. Mit der Pilgerwanderung wollte er den neuen Lebensabschnitt einläuten, zeitgleich wollte er sich der Herausforderung stellen. Insgesamt plante er fünf Wochen für den Jakobsweg ein, schlussendlich waren es dann nur drei, die er für die 850 Kilometer brauchte. „Es war wirklich eine Reise zu mir selbst“, resümiert der Vizepräsident der WKO Steiermark. 

Spirituelles Erlebnis. Was früher die Suche nach Gott war, ist mittlerweile zur Suche nach dem eigenen Ich geworden. Wie viel christlicher Glaube steckt also noch im Pilgern auf dem Jakobsweg? „Es ist eher eine spirituelle Erfahrung. Beim Pilgern ist man wochen- oder monatelang allein unterwegs, nimmt körperliche wie auch mentale Strapazen auf sich. Es ist eine psychische Regeneration“, so Nahberger. 

Im Verzicht üben. Gleichzeitig übt man sich im Verzicht. Die Herbergen und Unterkünfte sind meist sehr einfach gehalten, man trägt oft tagelang dasselbe Wander-Outfit und ist jedem möglichen Wetter ausgesetzt. Von Komfort keine Spur. Denn nur so kann das Wesentliche zum Vorschein kommen. Karmen Nahberger dazu: „Beim Weitwandern und Pilgern erlebt man bereits nach drei Tagen einen Effekt. Ist man am Tag der Abreise mit dem Kopf noch im Alltag, beginnt -bereits ab dem zweiten Tag der Loslösungsprozess. Ab Tag drei lenkt man die Aufmerksamkeit wirklich auf das Innere, Kopf und Geist sind im Einklang.“

Richtig ausgerüstet. Wer sich nun selbst auf den Weg machen möchte, sollte einiges beachten. Die richtige Ausrüstung ist essenziell: Ein qualitativ hochwertiger Rucksack, der die richtige Länge aufweist und den Rücken entlastet, sowie gute Wanderschuhe sind ein Muss. Beim Packen gilt: so viel wie nötig, so wenig wie möglich. „Wichtig ist es, den eigenen Körper zu kennen und die eigene Kondition richtig einschätzen zu können. Man geht pro Tag etwa 30 Kilometer mit Gepäck. Das ist nicht ohne“, so Nahberger. 

Sie pilgern regelmäßig und waren schon öfter am Jakobsweg unterwegs: Wie war die erste Erfahrung?
Die ersten drei Wochen waren die Hölle. Meine Füße waren voller Blasen, ich hatte Schmerzen und dachte mir ständig, -warum ich mir das überhaupt antue. Aber dann bin ich in einen Sog geraten, es hat mich richtig nach Santiago gezogen. Man hat keine Zeit mehr zu überlegen, sondern geht einfach weiter. 

Sie waren vor 25 Jahren das erste Mal am Jakobsweg, dann noch ein paar Mal: Welche Veränderungen haben Sie wahrgenommen?
Sehr viele. Als ich das erste Mal in Santiago ankam, bin ich direkt mit meinen Wanderstöcken und meinem Rucksack in die Kathedrale gegangen und das Gefühl war überwältigend. Heutzutage musst Du das Gepäck draußen lassen und Dich in einer Schlange anstellen. Auch in den Herbergen wird nicht mehr so viel geredet, alle interessieren sich nur für sich oder schauen aufs Handy. Vor 25 Jahren war alles problemloser. Das finde ich sehr schade.

Welche Tipps haben Sie für Einsteiger?
Ich bin vor einem Jahr auf dem Camino Portugues von Porto nach Santiago gepilgert und das war wirklich -wunderschön. Der Weg ist kürzer als der Camino -Francés und auch weitaus ruhiger, weil nicht so viele Menschen unterwegs sind. Ich finde, er eignet sich super für Anfänger. Ansonsten kann ich jedem empfehlen, den Jakobsweg zu gehen, aber nur einmal. Das erste Mal ist das Richtige. Alles andere ist nur der Wunsch, diese Erfahrung mit all ihren Erlebnissen und Gefühlen wieder aufzuwärmen. Das funktioniert aber nicht. Die Erwartungen sind ganz anders als beim ersten Mal. Deswegen sollte man ihn nicht wiederholen. 

Was ist für Sie persönlich das Schönste am Pilgern?
Der eigene Rhythmus, den man beim Pilgern ohne Zeitdruck erleben darf. Das ist eine unbezahlbare Erfahrung. Ich bin am liebsten allein unterwegs – ich glaube, das liegt auch an meiner Persönlichkeit und man kann richtig in die Stille eintauchen. 

more