Aug um Aug, Zaun um Zaun: Nachbarschaftsstreit in Österreich
Ein Schriftsteller aus Wien pflegte pro Tag zwei Zigarren zu rauchen. Seine geliebten Habanos waren für ihn Teil des kreativen Arbeitsprozesses und tägliches Ritual. Während der warmen Jahreszeit tippte und paffte er bis spät in der Nacht auf dem Balkon des sechsten Stocks einer Wiener Innenstadtwohnung. War es dazu zu kalt, rauchte er im Innern und lüftete dann.
Es stinkt einfach
Der Nachbar im siebenten Stock fühlte sich durch den aufsteigenden Rauch stark beeinträchtigt. Vor allem in der Nacht, wenn er schlafen wollte und die Schwaden durch das gekippte Fenster hereinzogen. Schließlich klagte der Nichtraucher den Raucher auf Unterlassung. Das Verfahren durchlief alle Instanzen vom Bezirks- bis zum Höchstgericht, weil keine der Parteien klein beigeben wollte.
Raucherplan
Der OGH fällte schließlich ein Salomonisches Urteil. Beide Nachbarn müssen aufeinander Rücksichtnehmen. Der Autor darf grundsätzlich weiterpaffen (ein Rauchverbot für eine Privatwohnung wäre dem OGH zu weit gegangen), muss sich aber an einen Plan halten - zwischen acht und zehn, zwölf und 15 sowie von 18 bis 20 Uhr darf er zu Schonung der Nachbarn keinen Rauch emittieren. Für den Winter (1. November bis 30. April) beschied das Gericht einen eigenen, etwas strengeren Rauchplan.
Selbstjustiz
Nicht immer gelingt der Interessensausgleich zwischen streitenden Nachbarn. Nur allzu oft trüben Drohbriefe, Telefonterror oder Sachbeschädigungen so sehr die Atmosphäre, so dass eine gütliche Einigung in weite Ferne rückt. Auch von Anschlägen gegen Haustiere und Tätlichkeiten ist immer wieder die Rede. „Nachbarschaftsstreit endet mit mehreren Verletzten“ oder „Nachbarschaftsstreit: Mann geht mit Besen auf Ehepaar los“ lauten dann die Schlagzeilen in der lokalen Chronik. Oder auch „Lauter Sex, dann Prügel“ – über ein Paar, dessen Lustschreie die unter ihnen wohnenden Nachbarn in ihrer Ruhe störte. Diese klopften mit dem Besen gegen die Decke, was dann schließlich zu einem Fight im Stiegenhaus führte.
Kleinkriege & Prozesse
Die ORF-Serie „Am Schauplatz Gericht“ berichtete unlängst über einen Prozess, in dem ein Kläger behauptete, sein Nachbar habe ihm den Fußabstreifer mit Urin getränkt. Der Sender ATV widmet dem Thema „Nachbarschaftstreit“ überhaupt eine eigene Serie. Fokussiert wird hier auf jahrelange und für die Streitparteien oft finanziell ruinöse Auseinandersetzungen um Zäune, Grundstücksgrenzen oder blockierte Zufahrten.
Schicksalsgemeinschaft
In Nachbarschaften als vom Zufall zusammengewürfelten Gemeinschaften sind Interessenskonflikte vorprogrammiert. Laut einer IMAS-Umfrage hatten 24 Prozent der erwachsenen Österreicher schon einmal Krach mit Nachbarn und 15 Prozent davon mehrmals. Mit 31 Prozent sind Streitereien in der Steiermark und Kärnten am häufigsten, vergleichsweise am besten kommen Niederösterreicher, Burgenländer und – überraschenderweise – auch die Wiener miteinander aus. Trotzdem gibt es in den Städten wegen der höheren Bewohnerdichte normalerweise mehr Konflikte als am Land.
Die Klassiker
Die Umfrage listet auch die häufigsten Streitursachen auf. Der Klassiker ist „Lärmbelästigung“ in Form von lauter Musik, Fernsehen, Kindergeschrei und Schlagbohren (55 Prozent), zweithäufigster Streitgrund ist „Unhöfliches Verhalten“ und an dritter Stelle „Behinderung“ durch im Weg stehende Autos oder Fahrräder.
Ein großer Streitpunkt sind unerledigte Gemeinschaftsaufgaben wie Putzen oder Schneeräumung (17 Prozent). Zwist entsteht durch Zäune, Hecken und Bäume genauso oft wie durch Haustiere (jeweils 14 Prozent) und Dreck als Streitgrund (13 Prozent) kommt noch vor Gestank (11 Prozent).
Ortsüblichkeit
Was darf der Nachbar? Und was darf er nicht? Für den juristischen Laien ist das „Nachbarrecht“ mit seiner Riesenanzahl an möglichen Konflikten und unterschiedlichen Quellen (Bundes-, Landes- und Gemeinderecht) kaum überschaubar. Ein Schlüsselbegriff, den man allerdings unbedingt kennen sollte, bevor man sich juristische Schritte gegen ein Ärgernis in der unmittelbaren Wohnumgebung überlegt, ist die „Ortsüblichkeit“.
Das heißt konkret: wenn mich der Nachbar mit den Hits der „Paldauer“ auf hoher Lautstärke zur Weißglut bringt und ich ihn schließlich auf Unterlassung vor dem Bezirksgericht klage, wird mir ein Verweis auf eine ausgeprägte Paldauer-Aversion nichts nützen. Der Richter wird ausschließlich danach urteilen, ob Dauer und Lautstärke der Beschallung das „ortsübliche Maß“ übersteigen und eine „wesentliche Beeinträchtigung“ darstellen. Auch bei Kinderlärm, Grilldämpfen, Hundegebell oder auch den Weckrufen von Hähnen werden die Kriterien „Ortsüblichkeit“ und “Ausmaß der Beeinträchtigung“ in Betracht gezogen.
Außer Streit
Wo es keine Möglichkeit des Einschreitens gibt, sind optische Zumutungen. Solange der Nachbar keine baurechtlichen oder sonstigen Gesetze verletzt, darf er in puncto Geschmack und Immobiliengestaltung machen, was er will. Gegen deprimierende Thujen-Palisaden, vermüllte Balkone oder ausgediente Badewannen als Blumentröge am Nachbargrundstück gibt es keine Einspruchsmöglichkeit.
Gartenzwerg-Urteile
Einige Ausnahmen gibt es, und die sind in Juristenkreisen über die Landesgrenzen hinweg berühmt. In Hamburg schaffte es eine Dame, einem Nachbarn das Aufstellen von Gartenzwergen zu untersagen. Sie war der Meinung, dass die bärtigen Gnome ein „Symbol der Engstirnigkeit und Dummheit“ seien - und kam mit dieser Auffassung durch. Auf Anordnung des Oberlandesgerichts musste der Wichtelfreund seine Figuren im Garten einer Eigentümergemeinschaft entfernen. In einem anderen Fall musste ein gut sichtbar aufgestellter Zwerg, der dem Nachbarhaus den Stinkefinger entgegenreckte, weg. Das Gericht wertete die Gartenfigur als die Persönlichkeitsrechte des Nachbarn verletzende Provokation. No na.
Was darf der Nachbar?
Grillen, bis der Arzt kommt?
Genauso wie der mittägliche Bratenduft aus der Küche, gelten Grillgerüche im Garten als „ortsüblich“. Geschieht dies aber dauernd und tagelang, kann das zu Problemen führen. Das Grillen auf Balkonen mit Kohle ist mancherorts feuerpolizeilich verboten.
Ballermann im Garten
Ob ein Gartenfest in ein Ärgernis für die Umgebung ausartet, hängt natürlich von ihrer Dauer und Lärmintensität ab – und von der Toleranz der Nachbarn. Diese haben das Recht, um Ruhe zu bitten und eine Anzeige zu machen. Ratsam ist es in jedem Fall, die Party anzukündigen.
Bellen, Quaken, Krähen
Hundegebell ist grundsätzlich überall als „ortsüblich“ hinzunehmen. Der Halter hat aber die Pflicht, den Hund soweit abzurichten, dass das Haustier nicht stundenlang die Nachbarn martert. Frösche im Biotop können in einer Villengegend schon mal zum Problem werden, am Land nicht. Dasselbe gilt auch für das Kikeriki von Hähnen.
Tonleitern bis zum Abwinken
Ein paar Stunden Klavier, Flöte oder Gitarre muss der Nachbar schon aushalten. In der Judikatur gilt Musizieren auf diesen Instrumenten als ortsüblich – auch wenn die Fähigkeiten des Übenden zu Wünschen übrig lassen. Schlagzeug-Sessions, dass die Wände wackeln, muss man sich hingegen nicht gefallen lassen.
Schlagbohren und Schleifen
Bohren, Hämmern und andere typischen Heimwerkergeräusche müssen von den Nachbarn
toleriert werden, sofern die üblichen Ruhezeiten eingehalten werden und sie nicht wochenlang andauern.
Kindliches Toben
Der Gesetzgeber verlangt nicht, dass in einem Haus Friedhofsruhe herrscht. Ein gewisser, von Kindern ausgehender Lärmpegel ist hinzunehmen. Aus Leibeskräften brüllen und herumhüpfen geht aber auch nicht. Der OGH ist der Meinung, dass auch Heranwachsenden ein bisschen Rücksichtnahme auf die Umwelt zuzumuten ist.