Seitensprung: Der Anfang vom Ende?
Es ist die Horrorvorstellung jeder Person, die in einer monogamen Beziehung lebt: der Seitensprung. Erfährt man, dass der eigene Partner fremdging, bricht für die meisten eine Welt zusammen, nämlich jene, die man sich gemeinsam auf einem Fundament aus Liebe, Vertrauen und Treue aufgebaut hat. Und bekanntlich gilt: Gehen zwei Säulen zu Boden, kann eine allein schwer standhalten. Übrig bleiben die Trümmer der Partnerschaft und eine große Frage: Kann man die Bruchstücke wieder zu einem stabilen Gerüst zusammenfügen?
Frage ohne Antwort
Warum aber gehen Menschen überhaupt fremd? „Viele wissen das selbst nicht. Sie geben dem Gefühl im Moment nach und denken nicht an die Konsequenzen. Manchmal baut sich das Interesse an einer anderen Person auch schon über eine längere Zeit auf und irgendwann beugt man sich dem Druck“, erklärt Beziehungscoach Alexandra Marko-Hinteregger. Psychotherapeut Enrique Grabl sieht das Problem hingegen bei der Gesellschaft: „Der Mensch ist das einzige Säugetier, das monogam lebt, weil es gesellschaftlich verlangt wird. Dabei ist das ein ihm widernatürlicher Zustand, denn auch wir sind polygam disponiert. Deshalb fällt es vielen schwer, treu zu sein.“ So oder so – die Frage nach dem Warum scheint unlösbar. Manchmal muss sie aber auch gar nicht beantwortet werden. Denn: Nicht immer hat ein Seitensprung etwas mit der Qualität einer Beziehung zu tun.
"Frauen emanzipieren sich auch in diesem Bereich. 80 % aller Männer begehen mindestens einmal im Leben einen Seitensprung. Bei Frauen sind es mittlerweile auch schon 71 %."
Psychotherapeut Enrique Grabl über den Mythos, dass nur Männer fremdgehen
Es liegt nicht an dir
Sondern an mir. Dieser Satz mag zwar einer der meistgehassten überhaupt sein, in bestimmten Fällen ist er aber durchaus berechtigt. Zahlreiche Studien zeigen sogar, dass ein Großteil der Partner, obwohl sie fremdgingen, ihre Beziehung oder Ehe als glücklich oder sogar sehr glücklich einstufen. Die Gründe für einen Seitensprung sind also so vielfältig wie die Menschen selbst. Fakt ist: Eine Löschtaste existiert nicht. Ist es einmal passiert, gibt es kein Zurück zur alten Beziehung. Aber: Entschließt sich der Betrogene, zu verzeihen, und der Betrüger, alles wieder gutzumachen und um den anderen zu kämpfen, besteht eine hohe Chance, die Partnerschaft zu retten. Besser noch: Überstehen Beziehungen den Betrug, gehen sie meist gestärkt aus der Krise hervor und gewinnen an Stabilität und Ehrlichkeit.
Täter und Opfer
Bis dahin ist es jedoch ein langer Weg, der von so einigen Hürden gesäumt ist. Schließlich weiß jeder: Ein Vertrauensmissbrauch wird nicht von heute auf morgen verdaut. „Das Aufbauen von Vertrauen ist ein schrittweiser Prozess, bei dem Offenheit eine tragende Rolle spielt. Oft ist nicht der Seitensprung das besonders Verletzende, sondern die Tatsache, dass gelogen wurde“, meint Marko-Hinteregger. Hier muss auf Teamarbeit gesetzt werden. Ganz wichtig: Das Paar muss sich aus der Täter-Opfer-Rolle befreien. Vor allem der verletzte Partner darf sich, so schwer es auch fallen mag, nicht immer als Leidtragender sehen. Ist die Entscheidung für die Beziehung gefallen, muss man den Seitensprung in der Vergangenheit lassen und weitermachen. „Der Betrogene muss den Schmerz verarbeiten, der Betrüger muss den Schmerz des anderen hingegen anerkennen und zum Fehler stehen“, rät die Expertin.
Versteckspiel
Was aber wirklich etwas bringt, ist schonungslose Ehrlichkeit. Eine Partnerschaft hat dann Zukunft, wenn beide hart miteinander ins Gericht gehen können. Bedürfnisse, Ängste sowie Sehnsüchte müssen artikuliert werden dürfen. So können Seitensprünge manchmal sogar verhindert werden, denn oftmals leben Partner beim Fremdgehen das aus, was sie in der Beziehung nicht bekommen, weil sie nicht den Mut haben, es einzufordern, aus Angst, sie könnten dem anderen ihren Wunsch nicht zumuten. Sei das auf emotionaler oder sexueller Basis. „Eine wirkliche Verbindung entsteht, wenn beide ihre Masken fallen lassen und zeigen, wer sie wirklich sind“, so Marko-Hinteregger.
"Schmerz und Lied liegen in unserer Hand. Schmerz lässt sich nicht vermeiden, Leid schon. Geben wir negativen Gedanken die Macht, begeben wir uns in eine Abwärtsspirale."
Beziehungscoach Alexandra Marko-Hinteregger über den Umgang mit Leid
Den richtigen Weg wählen
„Manchmal passieren Dinge, die wirklich wehtun. Aber die Tatsache, wie man damit umgeht, beeinflusst unser Leben maßgeblich“, betont der Beziehungscoach. Dass ein Seitensprung verletzt und den Betrogenen lange leiden lässt, steht außer Frage. „Fremdgehen ist jedoch nichts Unmenschliches“, stellt Enrique Grabl klar. Trotzdem: Es zerstört vieles und ist niemals die Lösung. Ein Seitensprung muss aber nicht der Anfang vom Ende sein, schließlich liegt es in den Händen beider Partner, wie und ob die Beziehung weitergeführt wird. Im Endeffekt sollte jedoch nach dem eigenen Bauchgefühl gehandelt werden. Denn das eigene Glück hat immer die höchste Priorität.