Gefangen im Verlangen: die ewige Suche nach dem Kick
Suche nach dem Kick
- Seelisches Dauertief und die Folgen
- 1. Shopping-Sucht
- 2. Alkohol-Sucht
- 3. Sex-Sucht
- Das Gefängnis der Selbstzweifel
- Gefangen in der Entscheidung – gelernte Sucht
- Gewohnheiten als Problem
- Das herausfordernde Thema Loslassen
- Zur Autorin
Diesen Zustand, egal in welchem Bereich, nennt man Sucht oder Besessenheit. Er kommt zum Zug, wenn wir inneren Stress haben, niedergeschlagen, unzufrieden mit uns sind, angespannt ist – ich mich leer fühle. Der Versuch, mit „Ersatzbefriedigung“ dies zu ändern, endet automatisch im krassen Gegenteil: in noch mehr unvorstellbarer, nicht aushaltbarer Leere. Es geht um den ultimativen, immer wiederkehrenden Kick, der von dieser tiefen Leere ablenken soll.
Seelisches Dauertief und die Folgen
Hinter allen Süchten steht ein tiefes seelisches Dauertief. Solange das nicht akzeptiert wird, bleibt das Streben nach Glück und Befriedigung eine sehr gefahrvolle, schwierige Reise ohne Ziel. Bei jeder Sucht leidet der Süchtige selbst unter einem hohen Leidensdruck, weil er sich nach einem erfüllten Leben sehnt, aber gleichzeitig sich das nicht zutraut. Egal, ob Essen, Alkohol, Drogen, Spielsucht, Shoppingsucht oder Sexsucht – im Gehirn laufen immer ganz ähnliche Prozesse ab. Jedes „Suchtmittel“ aktiviert kurzzeitig das Belohnungszentrum – eine Endlosgeschichte.
1. Shopping-Sucht
Befriedigt mich der zwanzigste schwarze Blazer wirklich? Bin ich stolz, ihn als Stammkundin um 15 % ermäßigt bekommen zu haben? Werde ich beim abendlichen Freundinnentreffen bewundernde Blicke auf mich ziehen oder wird es niemanden auffallen? Werde ich den Blazer überhaupt anziehen, wenn er bei genauer Betrachtung gar nicht so gut passt? Werde ich ihn gemeinsam mit einer großen Portion Eigenscham in eine Ecke zum restlichen Seelenmüll werfen? Zurücktragen kann ich ihn ja schwer, da würde ich mich im Geschäft lächerlich machen. Um mein Versagen auszugleichen, muss es mit einem nächsten Einkauf kompensiert werden.
2. Alkohol-Sucht
Sei es der Alkoholkonsum, der den Abend lustiger machen soll oder als Superqueen auf der Bar tanzend – Fremdschämen inklusive. Inklusive ist der desaströse Zustand am kommenden Tag, da bleibt nur eine verbrauchte, faltige Frau übrig. Wen will man schon erzählen, dass man nach der elitären Drogenparty die Rettung rufen musste?
3. Sex-Sucht
Da haben es die Sexsüchtigen noch relativ gut. Umgangssprachlich bezeichnet es einen Zustand, seine sexuellen Triebe nicht mehr unter Kontrolle zu haben, man sie zwanghaft befriedigen muss. Es geht nicht um Leidenschaft oder Nähe, es geht ausschließlich um die Jagd nach vermeintlicher Befriedigung. Gerne wird sie auch als Ausrede für jegliches Fremdgehen verwendet, ein Partner ist jedenfalls zu wenig. Es betrifft Frauen genauso wie Männer. Es geht um die Selbstbestätigung, auch wenn die gewünschte Befriedigung niemals eintritt.
Das Gefängnis der Selbstzweifel
Die mutmaßlich bekannte, wie vermeintliche Komfortzone ist gleichzeitig das persönliche Gefängnis. Selbstzweifel sind sich ständig wiederkehrende, negative Gedanken über sich selbst. Wenn es uns selbst in der „Situation“ nicht gut geht, wir wegen der „Sucht“ vom Umfeld kritisiert oder schlecht behandelt werden, bestätigt das ständig unsere Selbstzweifel und irgendwann halten wir sie für wahr. Wir halten uns für wertlos. Zusätzlich ist die permanente Selbstverteidigung sehr anstrengend, unsere banalen Ausreden werden immer weniger beachtet.
Die Anerkennung, die wir so dringend benötigen würden, damit unser Selbstwert steigt, bleibt uns verwehrt. Als einzige Lösung erscheint die neuerliche Befriedigung der Sucht. Wir fühlen uns als Opfer, drehen uns im Kreis und suchen im Außen das verlorene Puzzleteil. So lenken wir uns von den alten Verletzungen ab und meiden Verantwortung. Selbst wenn wir uns in einem beinahe „perfekten“ Leben präsentieren, hechelt es immer irgendwie nach. Es ist vollgepackt, durchorganisiert mit Aktivitäten, damit wir nur nicht bemerken, was uns fehlt. Das tut natürlich auch weh, aber erst, wenn es wehtut, berührt man den Kern einer Sache.
Wir kommen als abhängige Wesen auf die Welt und möglicherweise ist es so, dass wir glauben, auch weiterhin im Leben von „Etwas“ abhängig sein zu müssen, tief begraben in unserem emotionalen Gedächtnis. Als Baby ist man vollkommen ausgeliefert, das Überleben hängt von der Mutter ab. Im späteren Leben gibt es immer wieder Ereignisse, die dieses Abhängigkeitsgefühl triggern. Wir fühlen uns im wahrsten Sinne „mutterseelenallein“.
Gefangen in der Entscheidung – gelernte Sucht
Bei jeder Art von Sucht hat das Gehirn bereits eine Veränderung durchgemacht. Das Belohnungssystem agiert nicht mehr sinnvoll nachvollziehbar, es folgt der gelernten Sucht. Unser gesamtes Dasein wird von dem Verlangen nach Belohnung definiert. In der menschlichen Entwicklung war es zur Selbsterhaltung und Fortpflanzung vorgesehen, doch in der modernen Welt führt es oft dazu, dass wir von manchen Dingen gar nicht genug bekommen können. Wesentlich stärker als eine natürliche Belohnung wirken „Drogen“ auf die Rezeptoren im Gehirn und setzten den Botenstoff Dopamin frei. Man kann es als Art Abkürzung zum Belohnungszentrum bezeichnen.
Egal, um welches Gefängnis es sich handelt – die ursprüngliche Entscheidung spielt eine wichtige Rolle. Menschen tun sich schwer damit, eine Entscheidung zu revidieren. Schließen wir doch mit jeder Entscheidung automatisch etwas anderes aus. In der Psychologie nennt man das Entscheidungsparalyse und bedeutet, dass wir uns am liebsten gar nicht entscheiden wollen – Hauptsache, alles bleibt beim Alten, selbst wenn es uns nicht guttut. Ist es Gewohnheit, Routine, Bequemlichkeit oder schlicht die Angst vor dem Loslassen?
Gewohnheiten als Problem
Die Macht der Gewohnheit tut noch das ihre. Irgendwann reicht die letztmalige Dosis nicht mehr aus, und es muss ein „Mehr“ konsumiert werden, um dass sich das gleiche Gefühl entwickeln kann. Alle Rekorde sind gebrochen, was sollte jetzt noch kommen?
Wir haben alle aus irgendeinem Grund Angst vor dem Alleinsein – Autophobie genannt. Das bedeutet Abhängigkeit und wird als Schwäche bewertet. Wer will schon Schwäche zeigen, also stopfen wir das emotionale Loch mit einer Dosis Sucht unserer Wahl.
Dieser Kontrollverlust zieht negative Folgen nach sich. Egal welche Sucht, sie hat nicht nur negative Folgen für den Betroffenen selbst, es inkludiert das gesamte Umfeld. Erhebliche Belastungen im familiären, sozialen, finanziellen wie beruflichen Bereich lösen abermals den Drang nach Ersatzbefriedigung aus. Die immer wieder kehrenden Aktivitäten stehen im zentralen Fokus des Tuns.
Das herausfordernde Thema Loslassen
Loslassen fällt uns so schwer, dabei ist aber Festhalten der wesentlich größere Kraftakt, aber mit dem haben wir leben gelernt – der Mensch ist ein Gewohnheitstier. Schließlich bedeutet Loslassen immer ein Risiko, einen großen Schritt ins Ungewisse. Selbst wenn uns die „Sucht“ nicht guttut, bleibt die Angst vor Veränderung. Sich einzugestehen, dass die „Investitionen“ als vergeudete Lebenszeit zu werten ist, fällt schwer, ist aber der Schritt in die Freiheit.
An erster Stelle steht die Akzeptanz der emotionalen Wunde, die „dahinter“ steht. Sei es gefühlte Ungerechtigkeit, Verlassenwerden, Ablehnung oder Demütigung. Statt die Schuld auf „andere“ zu schieben, gilt es den Blick zu fokussieren. Stellen wir uns vor, die Seele spielt Tennis. Der Blick wandert von rechts nach links, statt auf den Punkt zu kommen.
Man sollte sich bewusst machen, dass das Leben ein Geschenk ist. Kein Tag, keine Stunde, keine Minute ist selbstverständlich! Die Verantwortung, wie wir unser Leben gestalten, liegt nur bei uns selbst. Das, was wir nicht verändern, bedeutet gleichzeitig, dass es unsere Wahl ist. Wir haben immer die Wahl.
Kurz auf den Punkt gebracht – Loslassen ist erkennen wollen und fließen lassen. Fließen lassen braucht keinen Druck, es passiert von ganz alleine.
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Zur Autorin
Mit ihren wohl überlegten Gedanken und praktischen Tipps liefert die in Wien lebende freie Autorin Valerie Vonroe wertvolle Anstöße für einen bewussteren Umgang mit den eigenen Potenzialen und Ressourcen – in jedweder Hinsicht.