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Frau mit Glatze hält Perücke in der Hand und schaut in einen Spiegel
Alopezie ist mehr als nur der Verlust von Haaren.
Alopezie ist mehr als nur der Verlust von Haaren.
iStock.com/SeventyFour

Leben mit Haarausfall: Betroffene erzählt von Leidensweg

07.10.2024 um 13:41, Cornelia Scheucher
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Alopezie ist mehr als der Verlust von Haaren: Betroffene kämpfen ebenso mit den psychischen Folgen. Eine davon ist Lisa Maria aus der Südsteiermark.

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Lisa Maria Masser war sechs Jahre alt, als ihre Mutter beim Haarewaschen die ersten lichten Stellen an ihrer Kopfhaut sowie den extremen Haarausfall bemerkte. Der Gang zum Hautarzt bestätigte den Verdacht ihrer Eltern: Alopecia Universalis, also Haarausfall am ganzen Körper. Mittlerweile trägt die 27-Jährige eine Glatze, ist Teil des Vereins für Haarausfall Österreich und macht anderen Betroffenen mit ihrer Geschichte Mut. Doch bis dahin war es ein weiter und steiniger Weg. 

Pubertät als schwere Zeit

Denn um zum Mutmacher zu werden, muss man in den meisten Fällen erstmal durch ein dunkles Tal wandern. "Meine Pubertät war nicht schön", so Lisa Maria. Mobbing, starke Selbstzweifel und Ängste prägten diese Zeit. "Der Körper verändert sich, wird weiblicher und das hat mich überfordert, denn ich konnte mich selbst schon nicht leiden. Also habe ich mich zurückgezogen und Kontakte mit Jungs gemieden, da ich sowieso wusste, dass mich alle hässlich fanden", so die Winzerin. Von Bestärkungen und positiven Kommentaren ihrer Eltern wollte Lisa Maria nichts wissen. "Das ist schwer zu hören, wenn du es selbst nicht glauben kannst. Und genau das ist der Knackpunkt: Niemand kann dich davon überzeugen, schön zu sein. Diese Überzeugung muss tief aus deinem Inneren kommen", erklärt die 27-Jährige. 

Über Alopezie

Alopezie betrifft zwischen 90.000 und 180.000 Österreicher und äußerst sich in verschiedenen Erscheinungsbildern: von kreisrundem Haarausfall bis zum Haarausfall am ganzen Körper, der auch Wimpern, Augenbrauen etc. betrifft. Die genauen Ursachen sind nach wie vor nicht bekannt, man geht jedoch von einer Autoimmunerkrankung aus. Ernährung, Hormone sowie Umwelteinflüsse spielen keine tragenden Rollen. 

Verlust der Weiblichkeit

Die Auswirkungen auf die Psyche können enorm sein – viele Betroffene leiden unter Angstzuständen oder Depressionen. Und gerade Frauen haben oft das Gefühl, einen Teil ihrer Weiblichkeit zu verlieren. Während manche auf Perücken setzen, tragen andere Kopftuch und wieder andere entscheiden sich zum radikalsten Schritt: Glatze. Vor etwas mehr als einem Jahr fiel diese Entscheidung auch für Lisa Maria. Eine Fotografin begleitete sie beim Prozess. "Ich wollte meine Geschichte auf kreative Art und Weise festhalten. Während des Shootings habe ich mich noch einmal mit all den dunklen Momenten und schlechten Gedanken auseinandergesetzt. Und mit jeder Strähne, die ich mir abrasiert habe, fiel ein weiteres Gewicht weg. Erst als ich die Glatze akzeptiert habe, habe auch ich mich voll und ganz akzeptiert", erzählt die 27-Jährige. Schließlich hat Schönheit wenig mit dem eigenen Spiegelbild zu tun. 

Lisas Geschichte in Bildern

Lisa Maria im Interview

weekend: Wie hast du gelernt, mit deiner Krankheit umzugehen?

Lisa Maria Masser: Ein großer Umschwung fand statt, als ich mit meinem Mann Florian zusammengekommen bin. Er ist von Anfang an super mit dem Thema umgegangen und Aussehen hat in unserer Beziehung sowieso nie eine große Rolle gespielt. Eine Zeit lang sind meine Haare sogar nachgewachsen und so konnte ich standesamtlich mit meinen echten Haaren in Kroatien heiraten. Sechs Wochen vor der kirchlichen Trauung hat wieder der Haarausfall begonnen. 

weekend: Wie war das für dich?

Lisa Maria Masser: Es hat mich immens gestresst, schließlich handelt es sich um die eigene Hochzeit und man möchte, dass alles perfekt ist. Meine Frisörin hat es irgendwie geschafft, eine Lösung zu finden, direkt nach der Zeremonie habe ich mir dann die Haare abgeschnitten. Kurze Zeit später entschied ich mich für die Glatze. Am Anfang trug ich in der Öffentlichkeit noch ein Kopftuch, das ließ ich dann auch weg. 

weekend: Du lebst die Krankheit offen auf deinen Social-Media-Kanälen: Wie ist die Resonanz?

Lisa Maria Masser: Als ich die ersten Bilder mit der Glatze veröffentlicht habe, war ich von der Resonanz unglaublich überrascht. So viele Menschen schrieben mir liebe Nachrichten und zeigten sich von meinem Mut begeistert. Auch Leute, die mich früher deswegen gemobbt haben, meldeten sich bei mir. ich möchte ein Vorbild sein und zeigen, dass man sich nicht verstecken muss. Viele Betroffene glauben, sie sind mit ihren Zweifeln und Sorgen alleine. Aber das ist nicht so. 

Was würdest du dir im Umgang mit Alopezie von der Gesellschaft wünschen?

Lisa Maria Masser: Ich würde mir wünschen, dass wir Menschen so annehmen, wie sie sind. Niemand sollte aufgrund seines Aussehens gehänselt werden. Außerdem wünsche ich mir mehr Mut zur Zivilcourage. Mobbing ist psychische Gewalt und das sollte auch dementsprechend bestraft werden. Wir reden ständig über Inklusion, vergessen aber oft, sie zu leben. 

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