Sind Elektroautos die Zukunft, Herr Pötsch?
CHEFINFO: Die Deutsche Handelskammer in Österreich (DHK) ist mit 1.400 Mitgliedern die größte deutsch-österreichische Netzwerkorganisation. Sie sind Präsident seit 2019 und wurden im Vorjahr für drei Jahre wiedergewählt. Ist das für Sie eine maßgeschneiderte Aufgabe?
Hans Dieter Pötsch: Nein, weil das ja bedeuten würde, sie wäre für mich gemacht. Ich war zuvor schon viele Jahre als Mitglied im Vorstand tätig. Man muss auch dazu sagen: Es ist ein Ehrenamt. Worum geht es? Die Handelskammer hat die Aufgabe, die Wirtschaftsbeziehungen – in diesem Fall zwischen Österreich und Deutschland – zu fördern und zu unterstützen und dazu die entsprechenden Dienstleistungen anzubieten. Und ich denke, dass ich hier einen kleinen Beitrag leisten kann.
Der Netzwerker
Mit maßgeschneidert meinte ich unter anderem, dass Sie Österreicher sind. Ihr Vorgänger war der ehemalige deutsche Arbeitgeberpräsident Dieter Hundt.
Pötsch: So eine Aufgabe ist für mich als Österreicher ein Stück Emotion, keine Frage. Seit der Gründung 1955 standen namhafte Persönlichkeiten sowohl aus Deutschland als auch aus Österreich an der Spitze der Organisation. Seither sind die Wirtschaftsräume in Österreich und Deutschland auf eine Art und Weise zusammengewachsen, wie es besser nicht sein kann. Insofern ist das eine echte Erfolgsgeschichte.
Ein deutsches Wirtschaftsmagazin hat sie als jemand beschrieben, der gut verbinden kann. Sind Sie ein guter Netzwerker?
Pötsch: Es ist immer schwierig, sich selbst richtig einzuordnen. Vielleicht habe ich Fähigkeiten, Menschen zusammenzubringen und diese auf ein gemeinsames Ziel und eine gemeinsame Sache zu orientieren. Ich habe kein Problem damit, wenn mir das zugesprochen wird.
Sie sind seit mehr als vier Jahrzehnten in Deutschland tätig. Die Zahl der Österreicher in einflussreichen Positionen in Deutschland ist überschaubar oder täuscht der Eindruck?
Dieser Erfolg auf den Weltmärkten verbindet beide Länder. Ist das eine Partnerschaft auf Augenhöhe?
Pötsch: Österreich ist zwar der kleinere Handelspartner, den Begriff „Augenhöhe“ sollte man aber differenziert betrachten. 25 Prozent des Handelsbilanzüberschusses, den Deutschland erzielt, ist auf den Handel mit Österreich zurückzuführen. Es gibt kein Wirtschaftsverhältnis zwischen zwei Ländern innerhalb Europas, das so intensiv ist wie zwischen Österreich und Deutschland. Zudem ist die österreichische Wirtschaft stärker widerstandsgeprägt, hat zahlreiche Hidden Champions und Weltmarktführer, die im Weltmarkt hervorragend mitspielen. Ein Teil davon ist Mitglied in der deutschen Handelskammer, was auch die Qualität der Veranstaltungen maßgeblich mitbestimmt.
Wo sehen Sie noch Potenzial im Ausbau der Beziehungen?
Pötsch: Die Wirtschaften in Österreich und Deutschland sowie generell in Europa befinden sich in einem großen Transformationsprozess. Wir sind in einen Zyklus eingetreten, der lange bestehen bleiben und große Umwälzungen mit sich bringen wird. Russland fällt als Energielieferant für längere Zeiträume aus. Das betrifft nicht nur die Versorgungslage, sondern auch die Preis- und Kostenfrage. In solchen Prozessen ist die Tätigkeit einer Handelskammer von herausragender Bedeutung. Kleine und mittelständische Unternehmen bekommen Zugang zu Analysemöglichkeiten, die sonst nur Großbetrieben zur Verfügung stehen. Ein weiterer Aufgabenbereich ist das Thematisieren von Lösungsansätzen im europäischen Kontext. Wobei hier würde ich im Kern sagen: Analysiert ist genug. Wir haben in Europa kein Analyseproblem, sondern ein Umsetzungsproblem. Es geht darum, ausreichend grüne Energie zu produzieren und diese mittels Netzausbau an den Energiestandorten verfügbar zu machen. Das sind industriepolitisch und ordnungspolitisch riesige Aufgaben, die noch nicht bewältigt sind.
ZUR PERSON
Hans Dieter Pötsch, Jahrgang 1951, ist gebürtiger Oberösterreicher und studierte nach dem Besuch der HTL Paul-Hahn-Straße in Linz Wirtschaftsingenieurwesen an der Technischen Hochschule in Darmstadt. Danach machte er Karriere in Deutschland: zwischen 1979 und 1987 bei BMW, zuletzt als Leiter des Konzerncontrollings, danach beim Maschinenhersteller Trumpf, der Traub AG und der Dürr AG – als Geschäftsführer oder Vorstandschef. Ab 2003 startete Pötsch seine Berufslaufbahn bei der Volkswagen AG als Finanzvorstand. Seit 2015 ist er Vorsitzender des Aufsichtsrats der VW AG. Im gleichen Jahr wurde er zum Vorstandsvorsitzenden der Porsche Automobil Holding SE bestellt. Seit 2019 ist Pötsch der zehnte Präsident der Deutschen Handelskammer in Österreich.
Wie sehr beeinträchtigen die hohen Energiekosten die Wettbewerbsfähigkeit?
Pötsch: Es ist doppelt problematisch: Zum einen für die weltmarktführenden Positionen von energieintensiven Unternehmen. Zum anderen muss uns bewusst sein, dass wir den Anteil der energieintensiven Fertigungen tendenziell eher erhöhen als reduzieren. Ein Beispiel: Die Produktion der Batteriezellen ist enorm stromintensiv. Europa kann es sich nicht leisten, Elektroautos als gewichtigen Teil der Mobilität der Zukunft zu fördern, aber die Batteriezellen zum Betrieb dieser Autos ausschließlich aus China oder Nordamerika zu beziehen. Wenn wir in Europa nur das produzieren, was anderen Ortes erdacht worden ist, dann begeben wir uns in eine Abhängigkeit, die wir nicht haben wollen. Mit den aktuellen Strompreisangeboten in den USA, die zum Teil ein Drittel von dem betragen, was an Sonderlösungen in Europa denkbar ist, haben wir ein enormes Wettbewerbsproblem. Insofern muss nicht nur bei der Verfügbarkeit, sondern auch bei der Preisstellung für Energie ein großer Sprung gelingen.
Die OEMs in Deutschland haben viel Know-how und viele Patente im Bereich E-Mobilität, trotzdem hat man sich mit der Umsetzung lange Zeit gelassen. Wie schätzen Sie die aktuelle Lage ein?
Pötsch: Die OEMs haben reagiert und sind auf dem richtigen Weg. Das ist schnell gesagt, aber dahinter stehen riesige Veränderungen in den Unternehmen. Nur um ein Beispiel zu nennen: Wir haben bei Volkswagen schon vor Jahren unser Werk in Zwickau komplett von Verbrenner auf Elektroautos umgestellt. Dafür laufen seitdem umfangreiche Qualifizierungsprogramme für die Beschäftigten, damit sie mit dieser Hochvolttechnik umgehen können. Zwickau ist der Blueprint des Volkswagen Konzerns, der absolut gelungen ist. Der kann an beliebiger Stelle zum Einsatz kommen.
Sind Elektroautos die Zukunft?
Pötsch: Ein klares Ja! Schlicht und einfach deshalb, weil elektrische Energie in der Umsetzung von Primärenergie beim Antrieb des Autos mit großem Abstand am effizientesten ist. Wasserstoff kommt da nicht annähernd heran. Wir werden daher eine große Welle der E-Mobilität erleben – in allen maßgeblichen Regionen der Welt.
Können die etablierten Hersteller ihre alten Stärken gegenüber den Herausforderern aus China und den USA ausspielen?
Pötsch: Wir beheimaten viele der im Weltmaßstab bekannten und erfolgreichen Marken. Millionen Menschen kaufen diese Autos aus Überzeugung heraus. Das hat damit zu tun, dass diese Produkte ganz spezifische Eigenschaften haben, die von Kunden präferiert werden. Die Kunst ist es nun, Kunden weiterhin in Bezug auf ihre Bedürfnisse und Präferenzen perfekt zu bedienen und die Faszination Automobil intakt zu halten. In diesem Bereich haben die tradierten OEMs eine unglaubliche Erfahrung, die sie auch ausspielen werden. Was neu hinzutritt, ist das Thema Softwarekompetenz. Einzelne Autos werden zum Datenpunkt im World Wide Web. Das hat zwei große Implikationen: Man kann die Fähigkeiten des Produkts aktuell halten und es ermöglicht auch, neue Geschäftsmodelle umzusetzen. Auch hier sehe ich die Industrie auf einem sehr vielversprechenden Weg.
Der deutsche Wirtschaftsforscher Clemens Fuest sagte, Sorgen mache er sich nicht um die Automobilhersteller, sondern um die Zulieferer und ihre Arbeitsplätze. Hat er recht?
Pötsch: Es gibt unterschiedlich große und unterschiedlich spezialisierte Zulieferer. Jene, die sich ausschließlich auf den Verbrenner-Bereich fokussieren, sind gut beraten, sich zu überlegen, wohin sie liefern. Was meine ich damit? Wir haben jetzt planerische Sicherheit in Europa, dass 2035 mit dem Verbrenner Schluss ist. Das gilt aber nicht für andere Teile der Welt. China fördert beispielsweise stark das Elektroauto für den Einsatz in den Metropolen. In weniger gereiften automobilen Regionen Chinas haben Verbrenner, in der Regel dann hybridbetrieben, auch eine Zukunft. Es ist daher entscheidend, dass jedes einzelne Unternehmen die Lage sauber für sich analysiert und rechtzeitig diese Umbaumaßnahmen einleitet. Ich teile daher die Meinung von Herrn Fuest, sage aber dazu, dass die Kompetenz im Automobilcluster sehr hoch ist. Man ist gewohnt, mit krisenhaften Situationen umzugehen und deshalb denke ich, dass es gelingen kann.
Sie sind schon lange in der Automobilindustrie tätig, kann Sie noch etwas überraschen in dieser Branche?
Pötsch: So eine Sichtweise wäre mir nicht eigen, weil ich sie im Ansatz für arrogant hielte. Ich habe eine andere Grundeinstellung dazu. Erstens interessiert mich das, was sich da entwickelt. Auch wenn das eine oder andere eine Herausforderung sein mag, ist es doch eine faszinierende Zeit, das muss ich wirklich sagen. Ich kann mich nicht erinnern, dass sich Dinge in so kurzer Zeit so schnell entwickelt haben wie gerade jetzt. Insofern gehören Überraschungen dazu. Es geht vielmehr darum, den richtigen Umgang dafür zu entwickeln. Es sind große, professionell geführte Unternehmen in der Autobranche, die mit solchen Herausforderungen umgehen können.
Deutsche Handelskammer
Bereits im Jahr 1920 entstand in Wien ein Verband zur Wahrung deutscher Industrie- und Handelsinteressen, aus dem in der Folge die „Deutsche Wirtschaftskammer für Österreich“ hervorging. Bei der eigentlichen Gründungsversammlung am 22. September 1955 bestand Einigkeit, dass die neue Kammer in ihren Organen gleichgewichtig mit deutschen und österreichischen Persönlichkeiten besetzt, die Mitglieder beider Länder mit denselben Rechten ausgestattet werden und die „Deutsche Handelskammer in Wien“ zum gegenseitigen Nutzen der deutschen wie der österreichischen Wirtschaft tätig sein sollte. Die Deutsche Handelskammer in Österreich (DHK) ist Teil des Netzwerks der deutschen Auslandshandelskammern (AHK) mit über 150 Standorten in 93 Ländern. Sie vertritt die Interessen von rund 1.400 Mitgliedsunternehmen im Wirtschaftsverkehr zwischen Österreich und Deutschland und hat ihren Sitz in Wien. Die Mitgliedschaft ist freiwillig. Mitgliedsunternehmen aus Oberösterreich sind unter anderem Engel Austria, Greiner, Miba, Lenzing, Rosenbauer oder die voestalpine.