"Ich bin ein Possibilist"
CHEFINFO: Wie kann man sich Ihren Job vorstellen? Lesen Sie aus den Zahlen die Zukunft heraus?
Johann Lefenda: Die Zukunft steht noch nicht fest, sie ist im Werden. Eine gute Zukunftsprognose motiviert die Menschen, im Hier und Jetzt gute Entscheidungen zu treffen. Die Erfahrung der letzten zwei Jahre und die aktuelle Situation hätten sich nicht vorhersehen lassen. Doch wenn man sich gezielt mit der Zukunft auseinandersetzt, kennt man die großen Stellschrauben. Die Zukunft ist eben kein Löwenzahnblatt, das ich unters Mikroskop legen und analysieren kann.
Die demografische Entwicklung ist seit Langem vorhersehbar, jetzt hat man aber das Gefühl, der Personalmangel käme quasi über Nacht. Warum erst jetzt?
Lefenda: Seit den 1970er-Jahren sinkt die Geburtenrate. Aktuell liegt sie bei 1,46 Kindern pro Frau, sie müsste aber bei 2,1 Kindern liegen, um den Arbeits- markt lückenlos zu bedienen. Dazu kommt die Individualisierung der Wissensgesellschaft. Kinder wurden zu mehr Selbstbewusstsein erzogen, und das ist gut so. Auch das konnte man vorher- sehen. Die Pandemie hat uns aber nochmals so richtig durchgeschüttelt und gezeigt, dass alles zu hinterfragen ist. In den USA spricht man von „the great resignation“. Das heißt, dass jeder vierte Beschäftigte seinen Beruf wechseln will. Man könnte das fast als eine Art kollektive Midlifecrisis bezeichnen. Dazu kommt, dass das Lebensziel, ein Haus mit Doppelgarage zu besitzen, für Junge nicht mehr gilt. Es gilt der Erlebniswohlstand. Ich habe kein Eigenheim, kein Auto, aber dafür mehr Freizeit.
Wir haben aktuell 388.000 Studenten bei nur 108.000 Lehrlingen. Braucht es aus Ihrer Sicht mehr Steuerung bei der Ausbildung junger Menschen?
Lefenda: Die Bildungsrevolution begann in den 1970er-Jahren. Die Zahl der Maturanten stieg, es wurden mehr Frauen berufstätig. Ab der Jahrtausendwende begann eine massive Bildungsrevolution. Es gab deutlich weniger Personen mit Lehrabschlüssen und mehr mit akademischen Graden. Das ist grundsätzlich etwas Gutes, denn gleichzeitig stieg der Automatisierungsgrad. Doch Arbeit ist kein Kuchen, der verteilt wird. Arbeit befriedigt ein Bedürfnis, und diese Bedürfnisse ändern sich permanent. Wir haben heute Jobs, die vor 100 Jahren völlig illusorisch waren, und umgekehrt. Der Begriff Chauffeur heißt wortwörtlich „Heizer“. Das kommt uns heute lächerlich vor.
Migration wird stets diskutiert und findet sich in zahlreichen Statistiken wieder, doch kann Oberösterreichs Wirtschaft ohne Migration überhaupt noch wachsen?
Lefenda: Noch nie waren so viele Leute in Beschäftigung wie jetzt. Dass wir Zuwanderung brauchen werden, ist Common Sense. Die Frage ist nur wie und wer. Im Wettbewerb um junge, gut qualifizierte Köpfe muss eine Region attraktive Rahmenbedingungen bieten, anders haben wir keine Chance. Wir müssen die Leute nicht nur für den Beruf, sondern auch für das Leben hier gewinnen. Wir bieten eine hohe Lebensqualität, die Wiesen sind grün, das Wasser ist sauber, die Luft klar: Das sind entscheidende Assets. Es wird aber auch ein Umdenken in der Gesamtbevölkerung brauchen. Expats herzlich aufzunehmen wird wichtig sein für den Wohlstand unserer Kinder. Integration passiert schließlich vor Ort, und dazu braucht es eine offene Kultur und Neugier.
Sind Sie, als jemand der sich mit der Zukunft beschäftigt, eigentlich ein Optimist oder ein Pessimist?
Lefenda: Ich bin ein Possibilist und denke daran, dass alles möglich ist. Das ist immer mit einer gewissen Art verbunden, mehr die Chancen zu sehen. Es gibt aber auch Forscher in der Technikabschätzung, wo gewisse Grundskepsis da sein muss. Ich lebe nach dem Motto von Karl Valentin: „Ich freue mich immer, wenn es regnet, weil wenn ich mich nicht freue, regnet es auch.“