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Mercedes G-Klasse
Ein Werk, zwei Welten: Seit 1979 wird in Graz die Mercedes-G-Klasse hergestellt. Ein Traumauto für Benzinbrüder.
Ein Werk, zwei Welten: Seit 1979 wird in Graz die Mercedes-G-Klasse hergestellt. Ein Traumauto für Benzinbrüder.
DAIMLER AG

Ausgepufft? Ungewisse Zukunft für Autozulieferer

09.06.2023 um 10:48, Jürgen Philipp
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Das EU-weite Verbrenner-Aus 2035 wird nun doch nicht kommen, man bleibt „technologieoffen“. Eine Schonfrist für heimische Zulieferbetriebe?

Das Veto kam aus Deutschland und Österreich, und das wohl nicht ganz ohne Kalkül. Beide Länder verfügen über zahlreiche mittelständische und ­große Zulieferunter­nehmen. Klaus Rosenfeld, der Vorstandsvorsitzende der deutschen Schaeffler Group, einem der größten Zulieferer Europas, ­warnte in einem Interview mit der Welt am Sonntag vor einem zu schnellen Umstieg. „Aktuell bauen wir vor allem Bereiche zurück, die Teile für Verbrennungsmotoren entwickeln und herstellen.“ Das heißt im Klartext: 1.300 Jobs werden gestrichen. Sich komplett vom Verbrenner zu verabschieden kommt für ihn jedoch nicht infrage: „Das Verbrennergeschäft wirft im Moment Geld ab.“

BCG: Verbrenner hat keine Zukunft

Die Boston Consulting Group (BCG) sieht aber trotz Technologieoffenheit Wachstum fast ausschließlich bei den Bereichen E-Mobilität, autonomes Fahren, Software und Verkehrsdienstleistungen. Mittelfristig rechnen die Analysten mit einem Wachstum von 6 Prozent. Der Umbau zu klimafreundlicher Mobilität ist derzeit im Gange und würde hohe Anstrengungen benötigen, die sich aber auszahlen sollen. Und der BCG-Bericht ist schonungslos: Vor allem kleinere Zulieferer, die nach wie vor auf Verbrennertechnologie, inklusive Hybride, setzen, hätten keine Zukunft mehr. Wie schizophren die Debatte ist, zeigt ein Beispiel. Bei ­Magna Steyr in Graz wird seit 1979 der Mercedes G gebaut. Der kantige Ur-SUV, der in der AMG-Version bis 585 V8-PS mobilisiert und 19 Liter Benzin pro 100 Kilometer benötigt, ist so beliebt wie noch nie. Gleichzeitig montiert Magna Steyr in Graz den voll elektrischen Fisker Ocean, das nach dem dänischen Firmengründer Henrik Fisker „nachhaltigste Auto der Welt“. Die Kunststoffteile stammen aus recyceltem Plastik, das aus dem Meer gefischt wurde, und es gibt eine Solaranlage am Dach. Magna Steyr ist also breit aufgestellt, so wie es alle Zulieferer sein sollten, die flexibel auf den Technologiechange reagieren. Apropos Steyr: Auch BMW Steyr scheint vorbereitet zu sein. Eine Milliarde Euro wurde für den Umstieg zum E-Motor investiert, der ab 2025 
produziert werden soll. Ein Zukunfts- und Standortsicherungsprogramm, wie es aus München hieß.

Stefan Pierer
Stefan Pierer will die deutsche Leoni AG komplett übernehmen und daraus einen schlagkräftigen Konzern machen.

Leoni: Pierers Husarenstück?

Dass ausgerechnet ein Unternehmen, das auf Zukunftstechnologien wie Konnektivität setzt, in Schieflage geriet, verwundert. Die deutsche Leoni AG, an der Stefan Pierer 20 Prozent der Anteile hält, betreibt Werke in aller Welt, in denen Kabelbäume und Bordnetze für Automobile gefertigt werden. Das Unternehmen gilt als systemrelevant, hat zahlreiche bahnbrechende Verfahren entwickelt und schleppt dennoch seit 2015 Schulden mit. Schulden, die mittlerweile auf 1,5 Milliarden Euro anwuchsen. Pierer will die Hälfte der Verbindlichkeiten übernehmen und 150 Millionen Euro frisches Kapital ins Unternehmen pumpen. Der Sanierer sieht bei Leoni auch einige strategische Fehler, wie etwa die Produktion von Teilen, die man „in der Zukunft nicht braucht.“ Pierers Plan: Leoni von der Börse nehmen und zu einem schlagkräftigen Unternehmen umbauen. Derzeit hat der Zulieferer 100.000 Mitarbeiter in 28 Ländern.

Leoni AG-Werk
Bald rot-weiß-rot? Die deutsche Leoni AG beschäftigt 100.000 Mitarbeiter in 28 Ländern. Sie sind Experten bei Kabelbäumen und Bordnetzen.

„Sozialökologische ­Konversion“ zu spät?

Tatsächlich, so berichtet auch die BCG in ihrer Analyse, könnte der Umbau der Systemlandschaft vor allem den großen Automobilherstellern nützen, die Zulieferindustrie würde davon wenig profitieren. Österreich besitzt, außer KTM, keinen Hersteller von Gesamtfahrzeugen. Zwar werden bei Magna in Graz Automobile gefertigt, die Entscheidungen liegen aber in den Konzernzentralen. Das Projekt CON-LABOUR der Universität Wien beschäftigte sich bis Ende 2020 mit dem Umbau der österreichischen Automobilzulieferindustrie weg vom Verbrennungsmotor oder der „sozialökologischen Konversion“. Schon damals war klar, dass die Verbrenner­abhängigkeit zu groß sei. Ein Viertel des Gesamtumsatzes der Branche werde mit Verbrennungsmotoren und Getriebeteilen erwirtschaftet. Und CON-LABOUR untersuchte, ob das Auto an sich – egal welche Antriebsart – weiterhin so relevant bleibe. 

Fisker-Ocean Silver Lining California
Seit November 2022 läuft im selben Werk die Produktion des voll elektrischen Fisker Ocean. Laut Gründer Henrik Fisker: "Das nachhaltigste Auto der Welt."

Wie viele Autos werden wir künftig noch brauchen?

Mario Herger, Österreicher, der seit 2001 im Silicon Valley lebt, bringt seine These zum Autobesitz der Zukunft bereits in seinem Buchtitel auf den Punkt: „Der letzte Führerscheinneuling ist bereits geboren.“ Herger sieht Mobilität „as a service“, also nicht mehr als Besitz oder gar Objekt der Begierde. Autonome Robotertaxis, wie sie kürzlich in Peking zugelassen wurden, werden vor allem im urbanen Bereich allgegenwärtig. Das würde die Gesamtzahl der Automobile drastisch kürzen, denn immerhin steht ein Auto im Privatbesitz mindestens 23 Stunden pro Tag ohne Nutzung. Herger spricht daher gerne von „Stehzeug“ statt Fahrzeug. Gelingt es, die Mobilitätsbedarfe der Menschen intelligent abzudecken, könnte sich, Studien zufolge, der Absatz von Fahrzeugen um zwei Drittel reduzieren. Ob das in Regionen wie dem Mühl- oder Waldviertel so schnell passieren wird, bleibt abzuwarten. Vor allem wenn Bundeskanzler Karl Nehammer Österreich als das Autoland schlechthin bezeichnet. 

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