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Gesicht aus Händen
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Terror: Anschlag auf die Seele

05.11.2020 um 16:32, Rudolf Grüner
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Mit dem urwienerischen Ausdruck „Schleich di, du Oaschloch“ schreien wir uns den Terror von der Seele. Was uns jetzt noch hilft, erklärt Therapeut Willhem Wolfgang im Talk.

Angriff im Herzen der Hauptstadt: Wie reagieren wir auf diesen für uns neuen Ausnahmezustand?

Wolfgang Wilhelm: In der Verarbeitung solch außergewöhnlicher, dramatischer Nachrichten gibt es verschiedene Phasen. Am Beginn stehen oft Schock, Fassungslosigkeit und auch Unglaube. Dann begreifen wir langsam, was da wirklich passiert ist. Dass es kein böser Traum, kein Film und auch nicht eine der unzähligen Meldungen über schreckliche Dinge irgendwo weit weg auf der Welt war, mit denen wir in den Nachrichten jeden Tag konfrontiert werden und denen gegenüber wir schon abgestumpft und mehr oder weniger gleichgültig geworden sind. Wir fühlen uns betroffen. Denn das Schreckliche steht uns direkt gegenüber: Auge in Auge, in unserer Stadt, auf Straßen, die wir persönlich kennen. An Plätzen, die wir vielleicht gestern selbst noch besucht haben. Dann setzt die Angst ein, eine oft lange anhaltende Schrecksekunde, in der wir uns gelähmt fühlen, wie das sprichwörtliche Kaninchen vor der Schlange.

 

Kränze und Kerzen
 Belebte Plätze, plötzlich ganz still: Menschen trauern, legen Blumen nieder und entzünden Kerzen.

Wir fühlen uns betroffen. Denn das Schreckliche steht uns direkt gegenüber: Auge in Auge, in unserer Stadt, auf Straßen, die wir persönlich kennen.

Wie können wir das Gefühl der Lähmung wieder abschütteln, wie umgehen mit unserer Angst?

Wolfgang Wilhlem: Da uns die Situation aber nicht auffrisst, sondern wir ihr weiter ausgesetzt sind, und auch immer mehr Details erfahren, beginnen wir dann langsam die Tragweite zu begreifen. Das löst in uns eine Vielzahl an Gefühlen aus: Angst, Wut, Trauer, Empathie mit den Opfern. Zum Gefühl der Ohnmacht kommen Handlungsimpulse hinzu – wir rufen Freunde an, ob sie in Sicherheit sind. Wir echauffieren uns. Vielleicht laufen wir auch aufgeregt im Wohnzimmer umher. Diese ersten Reaktionen sind individuell sehr unterschiedlich, vielleicht auch „unvernünftig“. Das ist normal und niemand braucht sich dafür zu schämen. Hier gibt es kein Richtig und kein Falsch. Therapeutisch gesehen ist alles gut, was uns aus der Schockstarre, in der wir handlungsunfähig sind, herausführt. Gerade Bewegung zu machen hilft, das durch die Aufregung ausgeschüttete Adrenalin und andere Stresshormone abzubauen und auch gedanklich wieder in Bewegung zu kommen.

Trauer und Verzweiflung
Die Tat macht und fassungslos, ja ohnmächtig – und das müssen wir nicht verstecken.

Diese ersten Reaktionen sind individuell sehr unterschiedlich, vielleicht auch unvernünftig. Das ist normal und niemand braucht sich dafür zu schämen.

Was hilft über die ersten Tage hinaus: Besser darüber reden - oder nach Ablenkung suchen?

Wolfgang Wilhelm: Beides! Wir verarbeiten dramatische Begebenheiten nicht linear, sondern wellenartig. Erst nimmt das Thema 100 Prozent unseres Denkens, Fühlens und Handelns ein, aber das halten wir auch nicht lange aus und lenken uns ab. Das ist heilsam. Wenn wir dann wieder ein Stück Sicherheit haben, dann lässt unsere Psyche uns wieder daran denken, weil wir stark genug sind, uns dem angstbesetzten Thema zu widmen, ohne daran zugrunde zu gehen. Wie brauchen also beides – die Ablenkung und die Beschäftigung mit der angstvollen Erfahrung. Wir Menschen sind soziale Wesen, wir brauchen die Gemeinschaft, um schwierige Situationen zu bewältigen. Es ist hilfreich, mit anderen Menschen darüber zu sprechen. Über das, was passiert ist, und über das, was diese Ereignisse in uns auslösen. Hier kommt auch der Psychotherapie eine wichtige Rolle zu, als geschützter Raum, in dem Menschen ganz frei über all ihre Gefühle und Gedanken sprechen können. Ja, oft erst hier die Freiheit haben, die eigenen Gefühle und Gedanken überhaupt zuzulassen.

Frau telefoniert
Ein möglicher und sinnvoller Weg der Bewältigung: Die eigenen Ängste mit guten Freunden besprechen.

Wie brauchen beides – die Ablenkung und die Beschäftigung mit der angstvollen Erfahrung.

Gilt das auch für Eltern und Pädagogen, für Gespräche mit Kindern?

Wolfgang Wilhelm: Im Wesentlichen ja. Gerade Kinder aber sind in diesen Gefühlsschwankungen oft viel radikaler und auch schneller als wir Erwachsene. Wir sollten ihnen daher Gespräche anbieten, sie aber nicht dazu zwingen. Wir sollten die Ereignisse altersadäquat übersetzen und konkrete Handlungen vermitteln, die Kinder zur Angstreduzierung tun können. Wenn ein Kind etwa die Wohnungstüre vor dem Schlafengehen zusperren möchte, damit kein Terrorist in der Nacht kommt, dann sollten wir das nicht lächerlich machen, sondern als konkret mögliche Handlung, die dem Kind Sicherheit gibt, unterstützen. Gerade aus der Hypnotherapie wissen wir, wie gut unsere Psyche Analogien herstellen kann. Das heißt, wir können Emotionen aus einem Lebensbereich in einen anderen übertragen. Daher ist das Vermitteln von Orientierung und Sicherheit in allen Lebensbereichen hilfreich, sei es das pünktliche gemeinsame Essen, der gemeinsame Sonntagsausflug oder auch das Vorlesen von Geschichten, in denen Kinder geborgen und glücklich sind.

Wenn ein Kind etwa die Wohnungstüre vor dem Schlafengehen zusperren möchte, damit kein Terrorist in der Nacht kommt, dann sollten wir das nicht lächerlich machen, sondern als konkret mögliche Handlung, die dem Kind Sicherheit gibt, unterstützen.

Mädchen unter der Decke
Erwachsene sollten die Angst der Kinder ernst nehmen. Eine Gute-Nacht-Geschichte kann Geborgenheit und Glück vermitteln.

Was tun, wenn die quälenden Gedanken nicht aufhören wollen?

Wolfgang Wilhlem: Zuerst: Es ist ganz normal und psychisch gesund, dass uns so etwas schreckliches Außergewöhnliches nicht aus dem Kopf geht, weder tags noch nachts. Das müssen wir auch aushalten, denn wir können es nicht ungeschehen machen. Diese intensiven Gedanken und Gefühle sollten aber zunehmend seltener, kürzer und schwächer werden. Was nicht hilft, ist zu sagen ,Ich höre auf, daran zu denken', denn das fokussiert uns nur wieder eben darauf. Besser ist es, sich zumindest stundenweise ganz intensiv und bewusst mit etwas anderem zu beschäftigen und vielleicht aufkommende quälende Gedanken nur aufzuschieben -  bis nach dieser Tätigkeit. So kann man sie mit der Zeit auf immer weniger und immer kürzere Zeitspannen reduzieren. Gut ist es, Bewegung oder Sport zu machen, am besten draußen in der freien Natur, denn die Bewegung und der Umgebungswechsel verändern auch unser Denken und Fühlen. Und letztlich kann Psychotherapie gut dabei helfen, dramatische Erlebnisse in die eigene Vergangenheit so einzubetten, dass sie uns im Alltag nicht mehr quälen.

Läufer im Wald
Frischluft und Bewegung helfen und bringen uns auf andere Gedanken.

Gut ist es, Bewegung oder Sport zu machen, am besten draußen in der freien Natur, denn die Bewegung und der Umgebungswechsel verändern auch unser Denken und Fühlen.

Der Experte

Psycho- und Paartherapeut und Coach Wolfgang Wilhelm.

Wolfgang Wilhelm ist Psychotherapeut und Familientherapeut in Wien.

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