Michael Ludwig: "Wir nehmen es in die Hand"
Neben der Natur muss auch die Wirtschaft wachsen, sagt Wiens Bürgermeister. Waffen sollen komplett aus dem Stadtbild verschwinden. Dafür fordert er mehr Polizei. Personal wird auch im Bildungsbereich aufgestockt.
Realistischer Vorschlag
Das Renaturierungsgesetz war und ist ein Aufreger: Sie gelten als Befürworter.
Ludwig: Auch ich war anfangs skeptisch und habe in Brüssel meine Bedenken deponiert. Nach den intensiven Debatten im Europäischen Parlament wurde allerdings sehr vieles vom ursprünglichen Vorschlag zurückgenommen: Die Lebensmittelsicherheit ist gewährleistet, Grundstückseigentümer können nicht für Kosten herangezogen werden. Mit dem Ergebnis können wir in Wien gut leben.
Mehr Naturschutz
Jetzt geht es um die konkrete Weichenstellung.
Ludwig: Der Bund muss jetzt mit den Ländern die weiteren Schritte festlegen. Wir sind seit Jahren aktiv: Die Renaturierung des Liesingbachs ist zum großen Teil umgesetzt. Der Wienfluss folgt. Und aus dem Verschiebebahnhof Breitenlee wird ein 90 Hektar umfassendes Naturschutzareal der Artenvielfalt.
Reserveflächen
Das Thema liefert aber gerade in einer Millionenstadt Stoff für Streit.
Ludwig: Eine Metropole braucht natürlich Platz: Wir könnten überall Wohnbau machen, wollen wir aber nicht! Der Stadtentwicklungsplan versucht, alle Interessen zu berücksichtigen. Wir haben darin aber auch genug Reserveflächen für Industrie und Gewerbe reserviert, um weiter ökonomisch Schritt halten zu können.
Sorgenkind
Wie rund läuft der Wirtschaftsmotor?
Ludwig: Allein im Jahr 2023 haben sich 270 internationale Betriebe angesiedelt. Im Wettbewerb der Standorte helfen uns auch die Top-Platzierungen in den internationalen Städterankings. Wir haben einen Höchststand bei der Beschäftigung. Allerdings nimmt die Arbeitslosigkeit zu, während uns gleichzeitig im öffentlichen wie privaten Sektor viele Fachkräfte fehlen. Das macht mir große Sorgen.
300 Messer
Auch die Sicherheitsfrage treibt Sie um: Sie fordern ein generelles Waffenverbot, warum?
Ludwig: Ich trete seit Jahren dafür ein. Mir kann ja niemand erklären, warum man bewaffnet in einer Stadt unterwegs sein muss. Seit 2019 wurden etwa in der Waffenverbotszone am Praterstern 360 Waffen abgenommen, darunter allein 300 Messer! Es scheint aber, dass nach vielen Appellen auf Bundesebene endlich Bewegung hineinkommt. Zudem muss die Polizei in Wien in die Lage versetzt werden, ihre Aufgaben rigoros exekutieren zu können – in jedem Grätzel! Die Personaldecke ist leider immer noch viel zu dünn.
"Extrem gefordert"
Welche Zahl schwebt Ihnen da vor?
Ludwig: Die von mir immer wieder geforderten 1.000 Polizistinnen und Polizisten sind eigentlich zu wenig. Nicht weil Wien so extrem unsicher ist, sondern weil wir als Hauptstadt ganz anders gefordert sind – beim Schutz der zentralen Behörden, bei Demos oder im Veranstaltungsbereich. Aber auch ganz grundsätzlich: Favoriten hat gleich viele Einwohner wie Linz, aber nur halb so viele Planstellen. Dass Wiens Polizei allein im letzten Jahr 2,3 Millionen Überstunden schreiben musste, ist ein unhaltbarer Zustand. Ich wünsche mir daher einen zusätzlichen Bonus für unsere Einsatzkräfte. Wiens Ordnungshüter sind einfach anders gefordert.
Wien kann Polizei
Findet man genug Motivierte, die in den schwierigen Job einsteigen wollen?
Ludwig: Bei der Berufsrettung oder der -feuerwehr – also Blaulichtorganisationen, die im Verbund der Stadt stehen – gelingt uns das. Ich wäre daher auch bereit, die Polizei in unseren Zuständigkeitsbereich zu überführen. Schon jetzt sind wir aktiv und haben mit dem Verein „Freunde der Wiener Polizei“ ein Recruiting-Center gegründet, obwohl uns Bundesbehörden gar nichts angehen!
Bildung als Mammutaufgabe
Wo fehlt noch Personal?
Ludwig: Ganz sicher in der Pflege. Aber auch im Bildungsbereich. Hier müssen und werden wir aufstocken. Wir haben in einem Schuljahr 4.500 Kinder aus der Ukraine zusätzlich integriert. Auch die Familienzusammenführung, bei der wir als Bundesland keinerlei Steuerungsmöglichkeit haben, stellt uns vor eine Mammutaufgabe. Erstes Ziel ist es, diese Kinder und Jugendlichen in Deutsch auszubilden.
Ausblick: Wahl 24
„Wir waren bei der letzten Nationalratswahl das einzige Bundesland, in dem es eine SPÖ-Mehrheit gegeben hat. Und das streben wir auch diesmal wieder an“, sagt der Bürgermeister mit Blick auf den 29. September. Die SPÖ sieht er als „starke Gestaltungskraft“ und bereit, Regierungsverantwortung zu übernehmen. Aber: Eine Koalition mit der FPÖ kommt weiter nicht infrage.