Mit der Laterne durchs mittelalterliche Klagenfurt
Im Halbkreis versammeln sich die neugierigen Zuhörer um den Spanheimer Brunnen am Dr.- Arthur-Lemisch-Platz in Klagenfurt, um seiner Verkündung zu lauschen. Eingehüllt in einer braunen Kutte und einem großen Filzhut auf dem Kopf wirkt er wie aus einer längst vergangenen Zeit. Und genau diese ist es, dunkle Kapitel der Stadt Klagenfurt, in die die Besucher von Horst Raguschs Nachtwanderung eintauchen. Mit Laternen in der Hand begeben sie sich in die Dunkelheit der Nacht und beleuchten die Gassen der Landeshauptstadt und die mittelalterliche Geschichte, die sie erzählen …
Mehrere Funktionen
Horst Ragusch ist Nachtwächter, staatlich geprüfter Austria Guide, Kulturvermittler, Mitglied des Mauthausen Komitees Kärnten und war bis zum Jahreswechsel über sechs Jahre lang der letzte Vollzeit-Türmer Österreichs in Klagenfurt. Seine Führungen sind legendär und locken zahlreiches Publikum an. In die interaktiven Stadtführungen wird teilweise Musik eingeflochten und jede Menge Know-how über längst vergangene Zeiten. „Man führt durch die lebendigen Wurzeln der eigenen Stadt“, meint Ragusch, der sich als Klagenfurter stark mit der Landeshauptstadt verbunden fühlt, wo er einst als Kind Blödsinn gedreht hat, wie er zugibt. Als Türmer legte er 1,5 Millionen Schritte über die Stiege des Stadtpfarrturms zurück. Dieser wurde in jüngster Vergangenheit nicht nur als Aussichtspunkt genutzt, sondern war und ist auch Austragungsort von zahlreichen Veranstaltungen … „es ist ein Begegnungsort entstanden und ich leistete einen Beitrag zu einem guten Zusammenleben in der Stadt“, weiß Ragusch.
Miteinander
Nun schloss sich eine Tür, damit eine neue aufgehen kann. Dabei sind es die Geschichten der Menschen, die oben am Turm besonders berührten. „Wenn Menschen hinaufkommen, die in Lebenskrisen sind, stellt sich die Frage, wie gehst du oben damit um? Da gab es beispielsweise eine Frau, die gerade ihren Mann verloren hat, oder einen Studenten, der vor Prüfungen stand … Einmal war eine deutsche Familie oben, Papa, Mama und drei Kinder, die hatten eine Krise, waren verärgert. Auch für diese Familie habe ich mir Zeit genommen, um die Glocken zu zeigen am Turm, und die Geschichte von der ehemaligen Türmerin zu erzählen, die oben sechs Kinder großgezogen hat. Nach ca. 1 Stunde war die Familie anders, alle haben gestrahlt. Im Urlaub haben sie wieder zueinander gefunden. Es sind viele Freundschaften entstanden, eine wertschätzende Bereicherung fürs eigene Leben“, erzählt Ragusch von seiner Arbeit als Türmer. Zwei Geschichten sind dem Vollblut-Kulturvermittler über Klagenfurt besonders in Erinnerung geblieben. Zum einen die eben erwähnte Geschichte der letzten Türmerin, die 1923 auf den Turm kam und bis Ende 1965 blieb. „Sie hat oft das Essen anbrennen lassen, weil sie lieber Buch umgeblättert hat und hat eine große Liebe zum Lesen entwickelt. Dann gab es einen großen Bildungs- und Entfaltungssprung innerhalb von einer Generation“, erzählt Ragusch. Die zweite Geschichte ist die besondere Lindwurmlegende in Klagenfurt, wo der Drache – anders als in anderen Städten – nicht von Königen oder Erzengeln besiegt worden war, sondern von Knechten. „Das formt einen neuen Blick“, so Ragusch.
Zeitgefühl
Ob man das Gefühl für die Realität verliert, wenn man ständig mit der Vergangenheit konfrontiert wird? Das könne passieren, meint Ragusch, verweist aber gleichzeitig darauf, dass die Geschichte für ihn die eigentliche Realität sei. „Wenn man die Wurzeln kennt, kommt man immer mehr in die Gegenwart. Wenn man tief eintaucht, taucht man in sich selber ein und kommt bei sich selber an.“
Programm
Wer nun Lust bekommen hat, darf sich freuen. Am 02.02., 19 Uhr, steht eine Laternen-Nachtwanderung mit Feuerschale an, Treffpunkt: Dr.-Arthur-Lemisch-Platz (Anm.: 0650/2424555). Noch 20 Jahre würde Ragusch seine Funktion als Kulturvermittler gerne ausführen. Er selbst sieht seine Arbeit als Elixier: das Eintauchen in eine historische Figur bewirke dies. Spüren, dass es schön ist, sich dem Leben zu öffnen.