Wettlauf um die Chip-Vorherrschaft
Die Halbleiterindustrie ist mit dem Lieferketten-Chaos unerwartet in den Mittelpunkt des weltweiten Interesses gerückt. „Unser Leben ist ohne Mikrochips nicht mehr denkbar. Wenn Sie in ein modernes Auto einsteigen, sind Sie von Hunderten Chips umgeben. Kaffeemaschinen, Fernseher – alles ist vernetzt und digital“, sagt Robert Wille, Leiter des Instituts für Integrated Circuit and System Design an der Johannes Kepler Universität in Linz und wissenschaftlicher Leiter des Software Competence Center Hagenberg. Alle Welt braucht Chips. Dringend. Aber Fabriken dafür können nicht so einfach aus dem Boden gestampft werden. Die Kosten einer Produktionslinie summieren sich je nach Chipgröße zwischen zwei und fünf Milliarden Euro, die Bauzeit beträgt rund drei Jahre. Die Produktion eines einzigen Mikrochips selbst braucht bis zu einem Dreivierteljahr. Die hohe Nachfrage nach Halbleitern kann also nicht wie bei anderen Produkten in wenigen Wochen gestillt werden. Trotzdem – oder gerade deshalb – war es eine kleine Sensation, als mitten in der Chipkrise Infineon im Herbst 2021 die größte Chipfabrik Europas mit 4.500 Mitarbeitern in Villach eröffnete. Der deutsche Konzern hat im Vorjahr erstmals 11 Milliarden Euro Umsatz erzielt und erfreut sich steigender Profitabilität. Er ist der einzige europäische Halbleiterproduzent, global aber nur die Nummer zehn.
Die Kosten einer Produktionslinie summieren sich je nach Chipgröße zwischen zwei und fünf Milliarden Euro, die Bauzeit beträgt rund drei Jahre. Die Produktion eines einzigen Mikrochips selbst braucht bis zu einem Dreivierteljahr.
Ein Markt zwischen Über- und Unterkapazitäten
Bei der Bekanntgabe der Investition vor mehr als drei Jahren wurde Infineon von Aktionären noch kritisiert. Marktbeobachter kennen das regelmäßige Auf und Ab. Seit Jahrzehnten schwankt die Branche zwischen Über- und Unterkapazitäten, weil sich der Bedarf rascher ändern kann, als der Bau einer Fabrik dauert. Nach der Finanzkrise 2008 stürzte die Nachfrage ab. Viele rechneten während der Coronapandemie mit einem ähnlichen Szenario, doch stattdessen gingen die Aufträge durch die Decke. Das Geschäft konzentriert sich auf wenige Anbieter in den USA und in Asien. Auf Booms in der Halbleiterbranche folgen immer wieder Pleiten. Aktuell sind Chiphersteller in einem regelrechten Kaufrausch. Mitte Jänner verkündete Taiwan Semiconductor Manufacturing Company (TSMC), weltgrößter Auftragsfertiger für Chips, in diesem Jahr bis zu 44 Mrd. Dollar in neue Kapazitäten zu investieren; ein Drittel mehr als im Vorjahr und dreimal mehr als 2019. Der US-Konkurrent Intel steckt heuer 28 Mrd. Dollar in den Ausbau. Bis 2025 sollen im „Rust-Belt“ in Ohio zwei neue Fabriken für 20 Mrd. Dollar entstehen. Samsung, seit Kurzem umsatzmäßig die Nummer eins der Chiphersteller, plant seine Ausgaben von 33 Mrd. Dollar aus dem Vorjahr zu toppen. Der Übergang von der Chip-Knappheit zur Chip-Schwemme ist nur eine Frage der Zeit. Auch deshalb, weil der Investitionsboom durch Staaten noch befeuert wird.
Der Übergang von der Chip-Knappheit zur Chip-Schwemme ist nur eine Frage der Zeit. Auch deshalb, weil der Investitionsboom durch Staaten noch befeuert wird.
Asien, USA, Europa: Wer macht das Rennen?
Die Verfügbarkeit von Halbleitern hat die Politik auf den Plan gerufen. In Europa ist die Abhängigkeit von dieser Schlüsseltechnologie hoch. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen will die EU daher zu einem Schwergewicht der Chipfertigung werden lassen. Bis 2030 soll die EU 20 Prozent der Chips weltweit liefern; derzeit sind es 10 Prozent. Der „EU Chips Act“ soll 45 Milliarden Euro für dieses Vorhaben mobilisieren. In Washington wird indes darauf gedrängt, den „US Innovation and Competition Act“ zu verabschieden, der 52 Mrd. Dollar zur Ankurbelung der Halbleiterproduktion vorsieht. Auch China hat die Selbstversorgung mit Chiptechnologie zu einer nationalen Priorität gemacht, weil wegen des Handelskriegs mit den USA viele Unternehmen, wie etwa Huawei, von US-Technologien abgeschnitten sind. In den letzten drei Jahren sind laut Wall Street Journal sechs große Chip-Projekte in China gescheitert, was die Komplexität und enormen Kosten im Zusammenhang mit der Entwicklung von High-End-Chips verdeutlicht. Dennoch will Peking mit dreistelligen Milliardensummen bis 2030 zum Weltmarktführer aufsteigen.
Wafer & Co: Zulieferer profitieren enorm
Die Halbleiter-Wertschöpfungskette ist sehr lang und komplex. Zulieferer werden zu begehrten Übernahmeobjekten, wie etwa der deutsche Wafer-Hersteller Siltronic, dessen Kauf durch den in Taiwan sitzenden Mitbewerber GlobalWafers gescheitert ist, weil Berlin eine wichtige Frist bewusst verstreichen hat lassen. Diese hochreinen Silizium-Wafer sind das Ausgangsmaterial für die Chipherstellung und werden von Intel, Samsung und TSMC nicht selbst produziert. Für die Bearbeitung braucht es Lithografiesysteme mit extrem ultraviolettem Licht (EUV) – eines der wenigen Asse, die Europa im Chip-Poker hat. Weltmarktführer ist die niederländische Firma ASML. Mit ihren 180 Tonnen schweren und 150 Millionen Euro teuren Maschinen werden die High-End-Chips produziert, die in den Smartphones, 5G-Mobilfunkgeräten und KI-Rechnern verwendet werden. Die USA haben im Vorjahr deshalb verhindert, dass ASML-Maschinen nach China geliefert werden. ASML ist auch ein heißer Aktientipp: In einem Jahr stieg die Aktie um 24,5 Prozent und kostet aktuell 577 Euro. Das Unternehmen hat seinen Nettogewinn von 3,6 Milliarden Euro (2020) auf fast 6 Milliarden Euro 2021 gesteigert. Der Umsatz liegt bei 18,6 Mrd. Euro. Für 2022 wird ein Umsatzwachstum von 20 Prozent prognostiziert.
Inzwischen kontrolliert der taiwanesische Chiphersteller TSMC 84 Prozent des Weltmarktes mit den kleinsten und effizientesten Schaltkreisen.
TSMC hat Intel längst abgehängt
„Intel inside“ galt lange Zeit als Merkmal für die weltweit fortschrittlichsten Chips. Inzwischen kontrolliert der taiwanesische Chiphersteller TSMC 84 Prozent des Weltmarktes mit den kleinsten und effizientesten Schaltkreisen. Nur 4 Prozent der Produktion sind für die Automobilindustrie bestimmt. Mit einer Marktkapitalisierung von 536 Mrd. Dollar zählt TSMC zu den 15 wertvollsten Unternehmen der Welt. Die Erfolgsgeschichte des 1987 gegründeten Unternehmens ist eng mit Apple verbunden. 2012 lieferte es erstmals leistungsstarke Chips für das iPhone. Heute bauen die Taiwanesen 5-Nanometer-Chips (ein Virus misst 100 Nanometer), das sind mehr als 100 Millionen Transistoren pro Quadratmillimeter. Intel hat den Smartphone-Boom verpasst. Der neue Intel-Chef Pat Gelsinger will verlorenes Terrain wieder gutmachen. Wie die Vergangenheit zeigt, ist kein Unternehmen in dieser Branche unangreifbar.
Probleme, für die ein konventioneller Computer 100 Jahre zur Berechnung benötigen würde, können von einem Quantencomputer in wenigen Minuten gelöst werden.
Die Zukunft liegt im Quantencomputer
Robert Wille ist davon überzeugt, dass die Schrumpfung der Schaltkreise in den kommenden Jahren vorbei sein wird: "Wenn Transistoren die Größe eines Atoms erreichen, stößt das Mooresche Gesetz, das besagt, dass sich die Dichte der Computerchips alle zwei Jahre verdoppelt, an seine Grenzen." Die Zukunft liegt für den Forscher in alternativen Technologien wie dem Quantencomputer. Weltweit investieren wesentliche Player wie Google oder VW viel Geld, um die enormen Rechenkapazitäten nutzbar zu machen. Obwohl Quantencomputer noch sehr experimentell aufgebaut sind, hat ein globaler Wettlauf um die Entwicklung neuer Geräte begonnen. „Probleme, für die ein konventioneller Computer 100 Jahre zur Berechnung benötigen würde, können von einem Quantencomputer in wenigen Minuten gelöst werden“, sagt Robert Wille.