„Ukraine soll sich ergeben“: Shitstorm für Precht
„Wenn du geschwiegen hättest, wärst du Philosoph geblieben.“ Das bekannte Zitat des römischen Gelehrten Boethius formierte sich so oder so ähnlich tausendfach am Wochenende auf Twitter zu einem formidablen Shitstorm. Im Zentrum der Kritik stand wieder einmal der bekannte deutsche Philosoph und Schriftsteller Richard David Precht (57), der sich mit Aussagen zum Krieg in der Ukraine unbeliebt machte.
Was war passiert? In der aktuellen Folge des ZDF-Podcasts „Lanz & Precht“ bezeichnete Precht die Entscheidung der ukrainischen Regierung, die Bevölkerung zur Verteidigung des eigenen Landes aufzurufen, als falsch. Man nehme in Kauf, dass Hundertausende durch den russischen Angriffskrieg ihr Leben verlören – durch einen Krieg, „den man nicht gewinnen kann“. „Das ist falsch und das bleibt falsch“, sagte er im Gespräch mit seinem Co-Moderator Markus Lanz. Und Precht ergänzte: „Natürlich hat die Ukraine ein Recht auf Selbstverteidigung, aber auch die Pflicht zur Klugheit, einzusehen, wann man sich ergeben muss.“
Brecht statt Precht
„An alle die meinen, die Ukraine solle einfach aufgeben. Das wäre weniger schlimm als der Krieg … Die russische Armee sei schließlich überlegen. Nach diesem Prinzip wäre ganz Europa jetzt das 3. Reich“, schrieb Thomas Langpaul, ORF-Korrespondent in Washington D.C. „Wenn wir Putin die Ukraine überlassen, hört er auf“ sei eine falsche Logik, schreibt der Berliner Autor und Journalist Rayk Anders. „2014 haben wir Putin die Krim überlassen, jetzt steht er vor Kiew.“ Deutsch-Twitter, das noch vor wenige Wochen geeint um jedes Leben in der Pandemie kämpfte, zieht nun in den Krieg der Worte. „Wer kämpft, kann verlieren. Wer nicht kämpft, hat schon verloren“, wird der Dramatiker Bert Brecht (1898-1956) bemüht. Dazu werden die passenden Hashtags #Brecht statt #Precht gepostet.
Welterklärung als Geschäftsmodell
„Warum genau redet Precht überall mit?“, fragt die freie Journalistin Mirjam Fischer. Ganz einfach: Welterklärung ist sein Geschäftsmodell. Ob Tierwohl, Plattformökonomie oder Freiheitsparadox – Precht ist nicht nur eloquent und sieht gut aus, er hat auch zu allem eine Meinung. Mit seinen Büchern habe es Richard David Precht geschafft, viele Menschen für die Philosophie zu begeistern, schreibt die „Welt“. Sein Buch „Wer bin ich – und wenn ja, wie viele?“, ein Abriss der Philosophie des Abendlandes, war ein Verkaufshit. Jedes seiner Bücher wurde ein Bestseller, fünf schafften es auf den Spitzenplatz. Im ZDF moderiert er zudem eine Talkshow, die seinen Namen trägt: „Precht“.
Schnappatmung statt Zwischentöne
Das Problem: Mit der Pandemie sind die Zwischentöne verschwunden. Debatten sind von Empörung, Schnappatmung und Lagerdenken geprägt. Je weniger Gewissheiten es gibt, desto wichtiger wird die eigene Meinung. „Diese Art der Auseinandersetzung macht niemanden klüger. Ein Herumschimpfen ohne jegliche Neugier und Lust auf Erkenntnis wird sich bald niemand mehr ansehen wollen“, verteidigt Robert Pfaller seinen Philosophenkollegen Precht, als dieser einige unvorsichtige Äußerungen zur Coronapolitik von sich gab.