"Ich schreibe unter Tränen": Österreicher flehen um Hilfe
Die Lage in Österreich spitzt sich dramatisch zu. Hilfsstellen im ganzen Land werden aktuell gestürmt. Vereine und Sozialorganisationen warnen eindringlich vor einem Eskalieren der Situation. Vor allem Familien suchen immer häufiger um Hilfe an, warnen Caritas, Diakonie und Volkshilfe. Sie fordern neben treffsicheren kurz- und mittelfristigen Maßnahmen, die Einführung einer sozial gestaffelten finanziellen Absicherung aller Kinder in Österreich.
Hilfe im Herbst zu spät
Auch die Gemeinwohlstiftung Común schlägt Alarm. Allein in den letzten zwei Tagen hätten sich in ihrer Verzweiflung fast 200 Familien an sie gewandt. Ihre Bitte: eine kleine Unterstützung aus ihrem „Solidaritätsfonds“. Über ihren Fonds unterstützt die Stiftung bislang Menschen in Not mit bis zu 250 Euro pro Kopf, doch die Flut an Anfragen sprengt die Kapazitäten. Sie appelliert an die Regierung sofort zu helfen, und nicht erst auf den Herbst zu warten.
Armut breitet sich aus
Armut breitet sich gerade rasant in der Mitte unserer Gesellschaft aus, sie trifft prekär Beschäftigte und alleinerziehende Mütter, aber nun auch genauso Vollzeit erwerbstätige Menschen und Selbstständige. "Aus dem ganzen Land schreiben uns Menschen und ihre Worte sind erfüllt mit Scham, Wut und Verzweiflung", berichtet Veronika Bohrn Mena, Vorsitzende der Gemeinwohlstiftung Común. "Wenn diesen Menschen nicht umgehend geholfen wird, werden wir schreckliche Zustände in unserem Land erleben.“ Auch bei der Caritas geht man angesichtes einer Inflationsrate von 15,4 Prozent vom Schlimmsten aus.
"Wir fordern ein eng geknüpftes Auffangnetz für armutsbetroffene & einkommensarme Menschen und Familien mit Kindern", sagt @AnnaParrCaritas. Die #Bundesregierung muss jetzt die Grundlage schaffen, damit die Bevölkerung es trotz #Teuerung gut über den Winter schafft.
— Caritas Österreich (@CaritasAustria) July 18, 2022
Kindern droht Mangelernährung
"Menschen, die ohnehin im Supermarkt sehr genau mitrechnen müssen und abwägen, ob sich das Kilo Brot am Ende des Monats noch ausgeht – diese Menschen können sich das Alltäglichste schlichtweg nicht mehr leisten. Sie müssen massive Abstriche machen – bei Grundbedürfnissen wie bei der Bezahlung der Wohn- und Energiekosten, bei der Entwicklung und Förderung ihrer Kinder und schlichtweg der ausreichenden Ernährung", berichtet Anna Parr, Generalsekretärin der Caritas Österreich. "Wir erwarten für den Herbst und Winter eine weitere gravierende Verschlechterung." Bestehende Einmalzahlungen wären nicht ausreichend und kämen auch nicht schnell genug an. "Die Bundesregierung muss dringend die Grundlage für ein Anti-Teuerungs-Paket gezielt für die am stärksten betroffene Gruppe schaffen – und zwar jetzt.“
"Es ist mir peinlich, dass ich betteln muss"
In den vielen Nachrichten an die Stiftung wird ersichtlich, dass es sich vielfach um Menschen handelt, die noch nie in dieser Situation waren. So schreibt eine Frau: „Es ist mir extrem peinlich das ich betteln muss. Ich schreibe diese Mail unter Tränen vor Zorn, Wut und Verzweiflung. Daher bitte ich um die einmalige Hilfe von 250 Euro, damit ich die Quartals-Stromrechnung zahlen kann.“ Ein Familienvater aus Westösterreich schreibt: „Wir waren noch nie in so einer Situation, deshalb wissen wir auch nicht wie wir Handeln sollen.“ Und eine Frau aus Wien schreibt: „Ich bin Mutter von 6 Kindern, war nebenbei immer brav arbeiten. Auch mein Mann war keinen Tag arbeitslos und schuftete seit 40 Jahren am Bau. Durch die Teuerung wissen wir nicht mehr, wie wir unsere Kinder durchbringen sollen.“
Jeder Tag zählt
Den Mitgliedern des Beirats des Solidaritätsfonds, die auch darüber entscheiden, wer eine Zuwendung erhält, bereitet die Lage große Sorgen. „Aus eigener Erfahrung weiß ich, dass nur schnelle Unterstützung wirklich hilft. Niemand hat was davon in zwei Monaten Hilfe zu bekommen, wenn du heute, nach dem Zahlen der Fixkosten, nur noch 15 Euro für den Rest des Monats hast", so Armutsaktivistin Daniela Brodesser, Vorsitzende des Beirat des Solidaritätsfonds.