Frankreich-Wahl: So gefährlich ist Marine Le Pen
Die Meinungsforscher sind sich sicher: Emmanuel Macron („La République en marche“) macht am Sonntag das Rennen mit etwa sechs bis acht Prozent Vorsprung auf Marine Le Pen („Rassemblement National“). Doch man soll den Tag nicht vor dem Abend loben, oder wie man in Frankreich sagt: „man verkaufe die Haut nicht, bevor man den Bären getötet hat.“ Auch bei den US-Wahlen 2016 waren sich die Meinungsforscher sicher, dass Hillary Clinton vor Donald Trump siegen würde. Wir wissen heute, wie die Geschichte ausgegangen ist.
Es wird knapp, sehr knapp
Die prognostizierten sechs Prozent Vorsprung sind fast nichts. Schon die statistische Schwankungsbreite bei Umfrageergebnissen von zwei Prozent lösen ihn eigentlich in Luft auf. Die große Unbekannte bei der Stichwahl am Sonntag ist das Wahlverhalten der Bürger, die beim ersten Wahlgang nicht gewählt haben, das sind immerhin 26 Prozent der Wahlberechtigten bzw. 12,8 Millionen Menschen.
Was tun die Mélenchon-Wähler?
Auch das Verhalten der Wähler, die im ersten Wahlgang für den linksradikalen Jean-Luc Mélenchon und seine Bewegung „la France insoumise“ (FI) votiert haben, kann sich entscheidend auswirken. Mélenchon hatte immerhin fast 22 Prozent der Stimmen errungen und lag nach Macron (27,8 %) und Le Pen (23,2 %) damit auf Platz drei. Die spannende Frage ist, für welches „geringere Übel“ sich die Wähler Mélenchons am kommenden Sonntag entscheiden werden.
Le Pens „Jein“ zu Europa
Angenommen, Marine Le Pen würde Frankreichs Präsidentin, wäre dies ein politischer Erdrutsch für Europa. Zwar verspricht die Führerin des RN ihren Wählern nicht mehr wie früher den Austritt aus der Europäischen Union, aber sie will den Vorrang des französischen Rechts vor dem EU-Recht durchsetzen und den finanziellen Beitrag Frankreichs zum EU-Haushalt verringern (was rechtlich nicht möglich ist, weil dieses Budget für die kommenden Jahre längst akkordiert ist). Le Pen ist gegen Zentralismus aus Brüssel und für ein „Europa der Vaterländer“. Das klingt edel und idealistisch, es ist aber nicht auszuschließen, dass die RN-Chefin dieses Projekt nur vorschützt, um sich über die Hintertüre den Weg zu einem „Frexit“ freizuhalten. Vorausgesetzt, die öffentliche Meinung in Frankeich würde sich einmal gegen die EU wenden, wozu Le Pen selbstverständlich nach Kräften beitragen würde.
Wie Österreich gegen ein Gasembargo
Obwohl die Abhängigkeit Frankreichs von russischen Rohstoffen weitaus geringer ist als jene Deutschlands und Österreichs, spricht sich Le Pen strikt gegen ein von Brüssel angedachtes Öl- und Gasembargo gegen Russland aus. Dieses würde nur die ohnehin schon schwindende Kaufkraft der Franzosen schmälern. In der Frage der Unterstützung der Ukraine zeigt sich die Kandidatin des RN halbherzig. Ja, man solle die Ukraine auch mit Waffen unterstützen, aber nur mit „Defensivwaffen“, meinte sie während des Wahlkampfs. Was das genau sein soll, führte sie bisher allerdings nicht näher aus.
Der NATO-Austritt light
Le Pens radikalste Position ist jene die NATO betreffend. Unter ihrer Präsidentschaft würde die Atommacht Frankreich das Militärbündnis zwar nicht verlassen, aber auf der Führungsebene nicht mehr mitmachen, kündigte sie kürzlich auf einer Pressekonferenz in Paris an. Man kann sich vorstellen, wie sehr ein derartiger Rückzug die Schlagkraft des Militärbündnisses schwächen würde und wer darüber hoch erfreut wäre – Putin nämlich.
Mit Russland kooperieren …
Sie wolle wieder volle Unabhängigkeit in Sicherheitsfragen erlangen und sich militärisch weder amerikanischen noch russischen Interessen unterordnen, kündigte Le Pen an. Aufhorchen ließ sie mit ihrer Ankündigung, sie werde eine engere „Kooperation mit Russland“ eingehen, falls sie Präsidentin würde. Nachsatz: Gemeint sei selbstverständlich ein „Russland nach Putin“ und die Zeit nach dem Ende des Ukraine-Krieges …
Kopftuchverbot im öffentlichen Raum
Ein anderes, recht unausgegorenes Projekt Le Pens sorgt bei den politischen Gegnern für Kopfschütteln und Entsetzen: das angekündigte Verbot des islamischen Kopftuchs in der Öffentlichkeit. Emmanuel Macron meinte in der Fernsehdiskussion, die Maßnahme würde einen Bürgerkrieg in den Vorstädten auslösen. Bei einem muslimischen Bevölkerungsanteil von 7,5 Prozent (oder 4,7 Mio. Bürgern) dürfte er mit dieser Einschätzung nicht ganz falsch liegen.