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Pro Putin | Credit: Kietzmann, Björn / Action Press / picturedesk.com
Vom bei uns sehr weitverbreiteten Antiamerikanismus ist zum Pro-Putinismus nur ein kleiner Schritt.
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Kietzmann, Björn / Action Press / picturedesk.com

Die Top 5-Argumente der Russlandversteher

14.03.2022 um 13:25, Gert Damberger
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Sie sind unter uns, die Russland- und Putinversteher und es sind gar nicht so wenige. Schauen wir uns mal ihre fünf wichtigsten Argumente an ...

1. Die NATO und damit die USA haben Russland eingekreist, da muss sich Russland verteidigen. 

Die so genannte zweite Osterweiterung der NATO, also die Aufnahme der drei baltischen Staaten sowie von Bulgarien, Rumänien, Slowakei und Slowenien, begann 2004. Also zu einem Zeitpunkt, als Wladimir Putin schon an der Macht war. Er hat diese „Einkreisung“ damals ohne große Begeisterung, aber auch ohne massiv zu protestieren, einfach hingenommen. So sagte er zur Aufnahme der baltischen Staaten in die NATO, dass jedes Land sich jenes Bündnis aussuchen könne, das ihm am besten erscheine. Übrigens haben alle der neuen NATO-Mitgliedsländer ihre Aufnahme aus eigenen Stücken beantragt, weil sie (aus nachvollziehbaren Gründen) Angst vor Russland hatten. Hätte man sie draußen vor der Tür stehen lassen sollen?

Putins "Kriegsrede" | Credit: Koji Sasahara / AP / picturedesk.com
In seiner Rede zur "Militäroperation" erklärte Putin, dass Russland von der Ukraine bedroht werde.

2. Die NATO ist ein aggressives Militärbündnis und bedroht das friedliche Russland mit Atomwaffen.

Als Hitler 1941 die Sowjetunion angriff, hat er dafür eine Offensivarmee von drei Millionen Mann aufmarschieren lassen. Dass die NATO ein reines Defensivbündnis ist, das lässt sich auch an ihrer vergleichsweise bescheidenen Truppenstärke ablesen. In den neuen Mitglieds-Staaten hat das Bündnis keine Atomsprengköpfe stationiert, aus Respekt vor der Atommacht Russland. Es gibt in der Tat rund 150 taktische Sprengköpfe aus US-Produktion in Europa, aber die sind als Erbe des kalten Krieges in den „alten“ Nato-Mitgliedsländern in unterirdischen Depots gelagert.

Selenskyi | Credit: Sipa Press / Action Press/Sipa / picturedesk.com
Präsident Selenskyj ist für die Russen ein "Nazi", trotz seiner jüdischen Wurzeln.

3. Es gibt eigentlich gar keine Ukraine. Es ist also nur recht und billig, wenn sich die Russen ihr Kernland wieder nehmen.

In der Tat kommt so etwas wie ein eigenständiges ukrainische Nationalbewusstsein erst gegen Ende des 19. Jahrhunderts auf. Ein ukrainischer Staat entstand erstmals mit der Billigung des deutschen Kaiserreichs und des revolutionären Russlands noch während des ersten Weltkriegs. Die beiden Staaten hatten 1917 einen Sonderfrieden ausgehandelt und wollten einen Pufferstaat schaffen. Später besetzte die Sowjetunion diesen frühen westukrainischen Staat und schluckte ihn. Ja, die Ukraine entstand spät in der modernen Geschichte. Das ist aber kein Grund, ihr das Existenzrecht abzusprechen.

4. In der Ukraine sind Nazis an der Regierung. Es geht nur darum, die Ukraine von diesen Elementen zu befreien.

Welche Nazis? Der ukrainische Staatschef stammt aus einer jüdischen Familie. Seine Partei ist eine Bewegung, die sich gegen das alte, von Oligarchen gelenke System und für mehr direkte Demokratie ausspricht. Ja, es gibt neofaschistische, bzw. rechtsradikale Parteien und Strömungen in der Ukraine (genauso wie in Russland), aber an der Macht sind sie nicht und ins Parlament schaffte es bei den Wahlen 2019 keine von ihnen.

5. Es gibt überhaupt keinen Grund, warum die beiden Brudervölker nicht ineinander aufgehen sollten.

Das mit den Brudervölkern stimmt schon, aber leider hat sich das große Brudervolk in seiner kommunistischen Version am kleinen Bruder schwere Verbrechen bis hin zum Völkermord geleistet. Zu Beginn der 1930er Jahren raubte Stalin den Ukrainern die komplette landwirtschaftliche Produktion, was zu einer entsetzlichen Hungersnot vor allem in den Städten führte. Dieser Genozid mit Millionen Toten wird in der Ukraine „Holodomor“ genannt. Dann gab es quasi zum Drüberstreuen noch die während der stalinistischen Ära üblichen Deportationen und Erschießungen. Die Ukrainer haben wenig Grund, in heißer Liebe zu ihrem großen Nachbar zu entbrennen. Seit dem 24. Februar noch weniger.

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