Nachhaltigkeit - grüne Wende mit Hindernissen
Für die einen ist sie eine Heldin, die im Sinne kommender Generationen gehandelt und dem Koalitionspartner ÖVP drei Monate vor der Nationalratswahl „eine in die Gosch’n g’haut“ hat, wie es ein ehemaliger Kommunikationsmitarbeiter der SPÖ auf X (ehemals Twitter) formuliert hat. Für die anderen ist sie schlicht eine Gesetzesbrecherin, die vorsätzlich gegen die Verfassung sowie die Interessen Österreichs agiert und daher die rechtlichen Konsequenzen zu tragen habe. Klimaschutzministerin Leonore Gewessler, grünes Aushängeschild und gleichzeitig Feindbild der Bauern und Wirtschaft, stimmte im Rat der Umweltministerinnen ohne Billigung der Bundesländer für das EU-Renaturierungsgesetz. Europa will mit dieser Verordnung als erster Kontinent weltweit den Rückbau der Natur zur gesetzlichen Pflicht machen und geschädigte Ökosysteme wieder in einen guten Zustand bringen. Das bedeutet: Mehr Grünraum für Städte, Flüsse streckenweise deregulieren, Moore wiederherstellen und zudem mehr Rückzugsräume für Insekten und Vögel in Ackerbaugebieten schaffen.
Politik: Feindbild Grüne.
Für diesen Alleingang setzte sich Gewessler ein Denkmal in der eigenen Partei. Sie löste damit aber auch eine veritable Regierungskrise aus und handelt sich eine Amtsmissbrauchsklage ein. Bundeskanzler Karl Nehammer hat zudem eine Nichtigkeitsbeschwerde beim Europäischen Gerichtshof angekündigt. „Da verwechselt jemand einen EU-Ministerrat mit einer NGO-Veranstaltung“, ätzte der oberösterreichische Wirtschaftslandesrat Markus Achleitner und spielt damit auf ihren Job als Geschäftsführerin der Umweltorganisation Global 2000 an, den die gebürtige Grazerin vor ihrer politischen Karriere fünf Jahre lang innehatte. Eine grüne Aktivistin auf einem so wichtigen Ministerposten war von Anfang an ein rotes Tuch. Erst kürzlich zog die Ministerin mit ihrem Gesetzesentwurf für den Ausstieg aus dem Russengas bis 2028 Kritik aus der Industrie auf sich. Andererseits tobten Umweltorganisationen über ihre Zustimmung für den Import von umweltschädlichem Fracking-Gas. „Man wird nicht gewählt für das, was man verhindert hat. Man braucht eine Offensiverzählung“, sagt der Politikberater Thomas Hofer. Die Grünen wollen raus aus dieser Doppelmühle und dem Umfragetief. Dafür bot sich mit der Abstimmung zum Renaturierungsgesetz drei Monate vor der Nationalratswahl eine gute Gelegenheit.
Sichtbare Veränderungen.
So paradox es klingen mag: Diese ungeliebte schwarz-grüne Koalition, die 2019 mit „das Beste aus beiden Welten“ angetreten und heute zu „den Resten aus beiden Welten“ verkommen ist, brillierte streckenweise mit bemerkenswert solider Sachpolitik. Als größter Wurf aus energiepolitischer Sicht gilt das im Juli 2021 beschlossene Erneuerbaren-Ausbau-Gesetz (EAG). Das Prestigeprojekt ist die Rechtsgrundlage für die Energiewende im Strombereich und wird sowohl von NGOs als auch von Branchenvertretern sowie der Wirtschaft positiv beurteilt. Im Jahr 2030 soll Österreich seinen Strombedarf zur Gänze aus einem Mix erneuerbarer Quellen – Wind, Wasser und Sonne – erzeugen. Mit enormen Fördersummen und der Angst im Nacken vor einer neuen Energiekrise ist man diesem Ziel deutlich nähergekommen. Seit 2020 wurden 21,4 Milliarden Euro in den Klimaschutz investiert. 5,7 Milliarden Euro stehen bis 2030 für Unternehmen bereit, die auf klimaneutrale Produktion wechseln, davon allein drei Milliarden für die Umstellung von Industrieanlagen, die mehr als 15.000 Tonnen CO2 pro Jahr ausstoßen. Sichtbar wird dieser Wandel an neuen Windkraft- sowie Photovoltaik-Anlagen auf den Dächern. Allein Oberösterreich zählt in seinem druckfrischen Energiebericht für 2023 mehr als 108.000 PV-Anlagen, das Ziel sind 200.000 Anlagen bis 2030. Auch die Hälfte aller österreichischen Energiegemeinschaften befindet sich in Oberösterreich. Warum ist die Energiewende gut und richtig? „Weil sie eine Win-win-Situation ist“, sagt Energie-Landesrat Achleitner. Gewinner sei nicht nur das Klima, auch die Energiebranche, die Bürger und die Unternehmen würden profitieren. Bei -Firmen wird Nachhaltigkeit mit Kostenreduktion verbunden, weil Sonnenstrom meist für den Eigenverbrauch genutzt wird. Die Eurothermen in Bad Schallerbach erzeugen mit der größten Parkplatz-Photovoltaik-Anlage des Landes 15 Prozent des Gesamtstrombedarsf der Therme in einem Jahr.
Energiewende ist unumkehrbar.
Die grüne Energie-Revolution ist in vollem Gange – und sie ist nicht aufzuhalten. Der phänomenale Aufstieg sauberer Energietechnologien wie Solarkraft, Windkraft, E-Autos und Wärmepumpen wird verändern, wie wir alles antreiben – „von Fabriken und Fahrzeugen bis zu Haushaltsgeräten und Heizsystemen“. Das sagt die Internationale Energieagentur (IEA) in einem positiven Ausblick. So werden bis zum Jahr 2030 saubere Energien mit knapp 50 Prozent erheblich stärker im Strommix vertreten sein als heute; derzeit machen sie einen Anteil von etwa 30 Prozent aus. Konkret prognostiziert die Behörde mit Sitz in Paris, dass in sechs Jahren etwa zehn Mal so viele Elektroautos auf den Straßen fahren werden. Und Photovoltaik soll dann mehr -Elektrizität generieren als aktuell das gesamte US-Stromsystem. Längst ist das Thema „Klimaschutz“ nicht mehr ein Anliegen grüner Parteien, sondern es ist in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Auch Österreichs berühmtester Hollywood-Export Arnold Schwarzenegger ist inzwischen ein umtriebiger Weltveränderer. Seine jährliche Klimaschutzkonferenz -„Austrian World Summit“ in Wien soll das Bewusstsein der Öffentlichkeit für das Thema „Klimaschutz“ schärfen und konkrete Lösungen vorstellen. Dieses Jahr mit auf der großen Bühne: BMW Group Steyr, die neben der voestalpine und ihrem milliardenschweren „Green Steel“-Projekt das derzeit spannendste Anschauungs-beispiel für gelungenen Umbau in Richtung Nachhaltigkeit bietet.
Aus Diesel- werden E-Antriebe.
Steyr ist der größte Motorenstandort der BMW Group und spielt eine zentrale Rolle bei der Entwicklung und Produktion der E-Motoren der sechsten Generation. Dafür wird insgesamt eine Milliarde Euro aufgebracht. Ab Ende der zweiten Ausbauphase sollen 600.000 Hochleistungs-E-Antriebe das Werk in Richtung Debrecen verlassen. Das wäre dann die Hälfte der derzeitigen Jahresproduktion von Benzin- und Dieselmotoren, die in Steyr vom Band laufen. Am ungarischen Standort Debrecen baut BMW gerade um zwei Milliarden Euro ein Werk, in dem ab 2025 die „Neue Klasse“ als nächste Generation der Elektroautos produziert werden soll. Diese Modellreihe gilt als das zentrale Zukunftsprojekt und repräsentiert zugleich die Fahrzeug-Kategorie, die BMW ausschließlich für den Elektroantrieb konzipiert hat. Noch nie in der Firmengeschichte hat der Münchener Autokonzern eine derart komplexe und kostenintensive Entwicklung geschultert. „Derzeit befinden wir uns in einer Übergangsphase. Bis 2030 sollen 50 Prozent unserer Flotte als elektrifiziertes Angebot abgesetzt werden. Das zeigt auch unser klares Commitment gegenüber dieser Technologie“, sagt Klaus von Moltke, Geschäftsführer BMW Motoren GmbH in Steyr, im Interview. BMW nennt als einziger deutscher Hersteller kein Datum für seinen Verbrenner-Ausstieg und kritisiert die EU für ihre ideologischen Verbote. Der Grund dafür: Der ökologische Umbau kostet enorme Summen, die mit Benzin- und Dieselautos finanziert werden. „Der Verbrenner ist das Fundament für Investitionen in dieser Übergangsphase der Industrie. In den Hochlauf der E-Mobilität fließen Milliarden Euro und die Investitionsquoten in der Industrie übersteigen bereits die Fünf-Prozent-Grenze“, sagt Moltke.
Der „Green Deal“ als Wachstumsbremse.
Oberösterreich hat dank seiner Innovationskraft zahlreiche Weltmarktführer im GreenTec-Bereich hervorgebracht, etwa bei der Bio-masse oder beim Kunststoffrecycling. Beispiel: Erema aus Ansfelden. Die Kritik am „Grünen Deal“ der EU ist dennoch breit und unüberhörbar: zu viel Klein-klein, zu viel Bürokratie und zu wenige Lösungen auf gesamteuropäischer Ebene. Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen spricht derzeit wieder mehr von „Wettbewerbsfähigkeit“. Ohne diese könne es auch keine Klimarettung geben. Aus der Vision eines gemeinsamen Leitmarkts für grüne Technologien wurde ein Wirtschaftsverhinderungsprojekt. Dass die EU eine der am stärksten regulierten Regionen der Welt ist, darauf wird seit Jahren hingewiesen. Gesetze und Verordnungen werden am laufenden Band produziert. Damit schafft man kein Wirtschaftswachstum – im Gegenteil, sie hemmen Innovationen sowie Investitionen und kosten Milliarden. „Als Unternehmer, der Rennsportgeräte produziert, sage ich: Wir bewegen uns mit Fullspeed in die falsche Richtung. Das europäische Erfolgsmodell steht unter Druck. Green Deal, Taxonomie, ESG: Wir haben uns zum Stillstand reguliert“, sagt KTM-Chef und Präsident der IV OÖ Stefan Pierer.
Nachhaltigkeit als Geschäftsmodell.
Unternehmen ab einer gewissen Größe sind verpflichtet, Nachhaltigkeitsinformationen wie finanzielle Informationen öffentlich zu machen. Nicht alle sehen das negativ. Obwohl der Arbeitsschutz-Spezialist Gebol aus Enns mit 31 Millionen Euro Umsatz und rund 65 Mitarbeitern nicht unter diesen Reporting-Zwang der ESG-Richtlinie fällt, will Gebol-Chef Markus Dulle die Entwicklungen im Blick behalten. „Die neue Richtlinie ist ein Indikator dafür, dass das Bewusstsein für Nachhaltigkeit unaufhaltsam wächst“, so Dulle. Die Einbindung von Nachhaltigkeit betrachte man als „Chance, sich als verantwortungsvolle Organisation zu positionieren. Und das wiederum eröffnet Zugang zu neuen Märkten und Kunden“. Ähnlich sieht das Rob van Gils, Chef von Hammerer Aluminium (HAI) in Ranshofen. Der gebürtige Niederländer formte das Unternehmen zu einem schnell wachsenden sowie gewinnbringenden „Feinkostladen“ mit hochwertigen Produkten. „Unsere nachhaltigen Produkte machen mich sehr zuversichtlich für die Zukunft. Wir haben Lieferketten aufgebaut, die eine Versorgung fast zu 100 Prozent aus Europa sicherstellen. Den geringen Anteil an Primäraluminium beziehen wir aus Island und Norwegen, das mit grünem Strom aus Wasserkraft und Geothermie erzeugt wird. Der Rest wird mit Schrott aus ganz Europa eingesammelt und aufbereitet. Über die ganze Produktlinie produzieren wir heute schon mit Nachhaltigkeitskriterien, wo sich viele Mitbewerber erst hinarbeiten müssen“, sagt van Gils.
Kreislaufwirtschaft und Wasserstoff.
Auch der weltweit tätige Kunststoffkonzern Greiner aus Kremsmünster verfolgt eine konsequente Nachhaltigkeitsstrategie. „Unser Fokus liegt auf Kreislaufwirtschaft“, sagt CEO Saori Dubourg, die das Familienunternehmen seit März leitet. „Bei den vielen neuen regulativen Herausforderungen kommt uns jetzt zugute, dass wir die Messlatte im Bereich Nachhaltigkeit bereits vor Jahren hoch gelegt haben“, sagt Finanzvorstand Hannes Moser. Nachhaltigkeits-Pioniere sind auch der Faserhersteller Lenzing oder der Technologiekonzern Miba, für den der Windkraft-Boom ein Wachstumstreiber ist. Vorausschauend agiert auch das Land Oberösterreich mit seiner Wasserstoffstrategie. Vor etwa mehr als einem Jahr wurde die „OÖ H2“-Offensive gestartet, inzwischen sind rund 60 Firmen mit im Boot. Das neue -Wasserstoff-Zentrum der FH Wels ist ebenso ein weiterer Meilenstein der -„H2“-Strategie des Landes. Für Energie-Landesrat Achleitner steht daher fest: „Seit dem Ukraine-Krieg geht es nicht mehr um das ,Ob (wir die Energiewende brauchen)‘, sondern nur noch um das ,Wie (wir sie schaffen)‘. Wenn wir in der EU eine Kreislaufwirtschaft auf Basis erneuerbarer Energien aufbauen, haben wir einen Wettbewerbsvorteil über Jahrzehnte.“ Und Christina Toigo, seit dem Vorjahr Professorin für Wasserstofftechnologie an der FH Wels, ergänzt: „Es ist schon viel Know-how in Europa da. Für die Forschung ist es wichtig, dass wir Synergien nützen, uns besser vernetzen und austauschen.“ Damit schließt sich der Kreis mit der Politik. Sowohl Hummer als auch Pierer plädieren für ein neues Miteinander: Schluss mit der Kleingeistigkeit. „Wir werden das nur gemeinsam schaffen.“