Kinderbetreuung - kleine Helden große Aufgabe
Kinderbetreuung ist auf vielen Ebenen ein komplexes Thema. Nicht nur für die Eltern, die sich oft mehrfach in ihrem (Berufs-)Leben mit der Frage nach der richtigen Einrichtung befassen müssen, sondern ebenso für den Staat. Dieser muss einerseits für das Angebot sorgen, ist aber andererseits gleichzeitig mit dem entstehenden Fachkräftemangel konfrontiert, wenn es nicht ausreichend Betreuungsstätten gibt. Die Realität ist leider oftmals jene, dass es infrastrukturell zu wenig Einrichtungen gibt, um die Säulen Familie und Beruf für alle Beteiligten zufriedenstellend zu vereinen. So bleibt vielen, vor allem Müttern, häufig nichts anderes übrig, als in Teilzeit zu arbeiten, obwohl die Karriere und die finanzielle Situation nach einer Vollanstellung verlangen würden. Im internationalen EU-Vergleich zeigte eine von der Universität Wien durchgeführte Studie, dass andere Länder wesentlich mehr Geld in die frühkindliche Betreuung investieren, als es hierzulande der Fall ist.
Blick in andere Nationen.
In kaum einem anderen Land lässt sich so lange in Elternkarenz gehen wie in Österreich. Diese endet spätestens mit dem vollendeten zweiten Lebensjahr des Kindes. Wendet man den Blick nach Frankreich, ist es dort üblich, bereits nach zwei Monaten wieder zu arbeiten und das Kind in einer Kinderkrippe betreuen zu lassen. Dort stehen insgesamt 469.000 sogenannte „Crèches“, öffentlich und privat, 1.712.114 Kindern zwischen null und drei Jahren zur Verfügung. Schweden gilt ebenso als Vorreiter in Sachen Kinderbetreuung. Eine dieser vielen Vorzeige-Maßnahmen sind die längeren Öffnungszeiten der Kindergärten. So haben die meisten zwölf Stunden lang ab 06.30 Uhr geöffnet. Für all jene Eltern, welche in Nachtschichten arbeiten, gibt es ebenso die Möglichkeit, die Kinder nicht nur tagsüber zu betreuen. Hier gilt in Österreich die voestalpine als Vorreiterin, die ihren Betriebskindergarten seit Kurzem auch rund um die Uhr geöffnet hat. Experten postulieren, dass Kinderbetreuung hierzulande oftmals auch deshalb als ein so schwieriges Thema gilt, weil es gesellschaftlich negativ behaftet ist, Kinder „abzugeben“. Mütter würden ihrer Obsorgepflicht nicht ausreichend nachkommen, seien egoisitisch oder hätten sich das mit dem Kinderkriegen vielleicht besser überlegen sollen, wenn sie später nicht gewillt sind, ihr Berufsleben hintanzustellen. Vorwürfe, gegenüber denen sich Väter übrigens weitaus seltener rechtfertigen müssen. Da es in anderen Ländern, wie Frankreich oder Dänemark, kein Konzept wie das der Karenz gibt, führen die dort gängigen Betreuungsformate zu einer gesellschaftlich höheren Akzeptanz einer frühkindlichen Fremdbetreuung. Es bedarf also auch einer gesamtgesellschaftlichen Enttabuisierung, weg vom Stigma, ein fremdbetreutes Kind würde im Elternhaus zu kurz kommen. Stattdessen sollte sich die Wahrnehmung in eine Richtung bewegen, in der eine Fremdbetreuung als Integration in die Gesellschaft empfunden wird und durch welche sich weitere Möglichkeiten auftun. Der Kindergarten ist weit mehr als eine „Aufbewahrungsstätte“ – Kinder lernen hier zwischenmenschliche Begegnungen vor allem außerhalb der eigenen Familie kennen. Dazu zählen ebenso wichtige Konfliktsituationen. Aber auch elementare Fähigkeiten, wie etwa Basteln, werden hier erlernt und sind als Vorbereitung für die Schule förmlich notwendig. Bildungsexperten sind sich darüber einig, dass massiv in die Elementarpädagogik investiert werden muss, ansonsten wären wir mit Problemen konfrontiert, welche sich später nicht mehr so leicht in den Griff kriegen lassen. Kinder kommen heutzutage immer häufiger in die Schule, ohne jemals eine Schere in der Hand gehalten, einen Purzelbaum geschlagen oder ihren eigenen Namen geschrieben zu haben. Sie starten ihre schulische Laufbahn also von Beginn an mit einem Defizit. Die erste schrittweise Loslösung von den Eltern und der damit einhergehende Einfluss einer externen Person sind wichtige Erfahrungen in der Entwicklung. Der Blick von außen ist für die richtige Förderung eines Kindes essenziell. Auch für Kinder, welche es nicht so einfach haben und nicht in optimalen Verhältnissen groß werden, ist der Besuch des Kindergartens besonders wichtig. Diese vorschulische Erfahrung ist ein ausschlaggebendes Mittel, um das Chancen-Ungleichgewicht bereits in Kinderjahren zu erkennen und ihm entgegenzuwirken. Elementare Bildung ist unverzichtbar, systemrelevant und wahrlich eine Investition in die Zukunft. Dabei sind die frühkindliche Förderung und Erziehung entscheidend, sie stellen sogar die Weichen für die Zukunft, indem sie die Entfaltung unserer Persönlichkeit und unsere späteren Chancen im Beruf beeinflussen. Experten sind sich einig, dass sich an keiner anderen Stelle in der Bildungskette so viel erreichen lässt wie im Kindergarten. Der Profit schlägt sich ebenso in volkswirtschaftlicher Sicht nieder. Der sogenannte „Return on Early Education“ besagt, dass jeder in frühkindliche Bildung investierte Euro langfristig mindestens einen achtfachen volkswirtschaftlichen Nutzen mit sich bringt. Das spiegelt sich in einer höheren Beschäftigungs- sowie in einer niedrigeren Arbeitslosenquote, in höheren Steuerleistungen und sogar in einer besseren Gesundheit wider.
Kritik am Dauermodell.
Orientiert man sich an der Vorgehensweise anderer Länder und lässt sich von deren Zugängen inspirieren, ist eine kritische Hinterfragung ebenso notwendig. Zwar ist eine Rund-um-die-Uhr-Betreuung aus bereits erwähnten Gründen für viele eine Hilfestellung, doch gibt es auch kritische Stimmen von Experten, welche mit Blick auf Deutschland bereits erste Erfahrungswerte analysieren können. Das Hauptargument gegen eine 24-stündige Betreuung sehen sie nämlich in der fehlenden Vertrauensbeziehung zwischen Eltern und Kind. Mangelnder Kontakt, in der oft als bedrohlich wahrgenommenen Nachtruhe, könnte in Vertrauensverlust sowie Verlustängsten der Jüngsten münden. Pädagogen können der Obsorge nicht ausreichend nachkommen, da sie selbst in Schichten arbeiten und somit keine zuverlässige Konstante für ein ängstliches Kind darstellen. Eine zwar seltener vermutete, aber dennoch berechtigte Sorge ist außerdem, dass ein solches Angebot von manchen Eltern ausgenutzt werden kann, um die Kinder und Verantwortung „abzuschieben“. Dem möchte man mit der Überprüfung der Dienstpläne entgegenwirken. Nicht zuletzt ist es besonders für die Entwicklung Heranwachsender wichtig, dass sie feste Rituale erleben. Ein regelmäßiger Wechsel des Schlafplatzes und der Person, die einen zu Bett bringt, sei kontraproduktiv.
Einer für alle?
Adäquate Förderung lautet das Stichwort bei frühkindlicher Bildung. Dazu zählt als elementarer Bestandteil das Verhältnis zwischen Betreuungspersonal und der Anzahl an Kindern, die beaufsichtigt werden. Bundesweit mangelt es an Personal; überfüllte Gruppen von bis zu 25 Kindern mit nur einem Pädagogen und einer Assistenzkraft sind keine Seltenheit. Die Niederlande haben im Sinne einer optimalen Förderung – und um jedem Kind bestmöglich gerecht werden zu können –, dieses Verhältnis strikt festgelegt. In der Altersgruppe der Null- bis Einjährigen darf eine Betreuungsperson auf maximal drei Kinder kommen. Mit zunehmendem Alter kann dieser Wert auch erhöht werden, so darf sich bis zum Eintritt in den Hort im Alter von sieben Jahren ein Pädagoge um bis zu zwölf Kinder kümmern. In Dänemark hat man sich ebenfalls auf eine Quote geeinigt, die seit diesem Jahr überall angewendet werden muss: Dürfen in Krippen maximal drei Kinder von einer Person betreut werden, sind es im Kindergarten bereits sechs.
Politischer Ausblick.
Der Dringlichkeit des Themas ist sich die Politik ebenso bewusst und arbeitet laufend an Maßnahmen. Dazu zählt etwa, die Ausbildung sowie den Berufsalltag eines Elementarpädagogen attraktiver zu gestalten. Darüber hinaus soll die Vormittagsbetreuung von null Jahren bis zum Schuleintrittsalter ab 1. September 2024 beitragsfrei in Oberösterreich werden. Auch die Tarife für die Nachmittagsbetreuung sollen günstiger werden. Die lange Wartezeit von beinahe einem Jahr zwischen Beschluss und Inkrafttreten wird über Gesetzes- und Verordnungsänderungen sowie über eine notwendige Vorbereitungszeit für die Gemeinden gerechtfertigt. Die zusätzlichen Kosten werden vom Land Oberösterreich übernommen. Die größten Vorteile sehe man aus politischer Sicht in der Stärkung als Wirtschaftsstandort, im Entgegenwirken des Fachkräftemangels sowie in der Linderung des finanziellen Drucks, welcher auf Familien lastet. Letztere müssten sich dank der Erweiterung des Angebots nicht mehr so eindeutig zwischen Beruf und Familie entscheiden.
Ausbau als Chance.
Nur mithilfe eines passenden Angebots für eine qualitativ hochwertige Kinderbetreuung haben Eltern die Möglichkeit, Familie und Beruf zu vereinen. Ganz weit vorne stehen hierbei die Ausweitung der Öffnungszeiten um zwei Stunden pro Tag, des betrieblichen Angebots sowie auch jene der privaten Kinderbetreuungsmöglichkeiten. Besonders wichtig sind außerdem die Berücksichtigung auf bundesweiter Ebene sowie eine soziale Staffelung. Die Gesamtkosten des Ausbaus belaufen sich bis 2023 auf 6,32 Milliarden Euro, wobei vier Milliarden allein auf den Personalbereich entfallen.
Mehr Vollzeit bitte.
2023 war der Arbeitskräftemangel in keinem Land der EU so hoch wie in Österreich. So lag im Mai des Vorjahres die Arbeitslosenquote bei 5,9 Prozent bei gleichzeitig 113.000 offenen Stellen, für welche sich schlicht kein Personal finden ließ. Bei einer so hohen Teilzeitquote wie in Österreich und der stetig alternden Gesellschaft sehen die Prognosen hinsichtlich des Arbeitsmarkts bis 2024 alles andere als rosig aus. Aktuelle Berechnungen ergeben, dass dem Land bis dahin ohne Gegenmaßnahmen bis zu 363.000 Beschäftigte fehlen werden, was wiederum Kosten von 150 Milliarden Euro verursacht. Einer der Hauptgründe, warum die Teilzeitquote hierzulande so hoch ist, liegt im mangelnden Kinderbetreuungsangebot und in der daraus resultierenden, häufig gelebten Realität, dass ein Elternteil nicht länger Vollzeit arbeiten gehen kann. Dabei zeigt sich, dass es beinahe viermal öfter Frauen als Männer sind, welche die Karriere hintanstellen: So waren es im Vorjahr 13,4 Prozent Männer und 50,6 Prozent Frauen, welche ihren Beruf in einer Teilzeitanstellung ausgeübt haben.* Aufgrund der niedriger entlohnten Erwerbstätigkeit sind Frauen mit der tristen Aussicht einer schlechteren Pension konfrontiert. Findet kein Gegensteuern statt und wird Frauen nicht mehr unter die Arme gegriffen, entscheiden sich viele auch deshalb heutzutage gegen Kinder. Man könnte sagen, das System bestraft die Frauen für ihre „erwerbslosen“ Jahre, in welchen sie sich um die Kinder und den Haushalt kümmern. Mitunter deshalb sinkt die Fertilitätsrate weiterhin, die Gesellschaft wird immer älter und das Pensionssystem von heute sowie die Zahl der Fachkräfte geraten noch stärker ins Wanken.
Blick über den Tellerrand.
Bei mangelndem Betreuungsangebot ist die Suche nach Alternativen anzuraten. Eine vielversprechende Möglichkeit zur Entlastung der Eltern stellen regionale Zusatzangebote dar. Neben Tagesmüttern oder Au-pairs gibt es im oberösterreichischen Pregarten etwa den Kindergarten „Franzlhof“, welcher Kindern ab zwei Jahren bis zum Schuleintritt eine naturnahe Betreuung am Bauernhof bietet. Tiergestützte Pädagogik und pädagogisches Reiten bilden eine alternative Betreuungsform, welche als einzigartiges Vorreitermodell hierzulande gilt. Keineswegs neu, aber immer noch stark gefragt, ist der „Omadienst“ des Katholischen Familienverbandes. Seit nunmehr 27 Jahren verbringen die pädagogisch geschulten -„NannyGrannys“ Zeit mit Kindern, deren Eltern sich tagsüber nicht um ihre Obsorge kümmern können. Dabei entlasten sie auch besonders Alleinerziehende. Ein weiterer Bonus liegt im vertrauten Umfeld für die Kinder, denn die Leihomas kommen zu den Familien nach Hause. Darüber hinaus wird den Sprösslingen, anders als in Kindergärten, die ungeteilte Aufmerksamkeit zuteil, maximal muss die extrafamiliäre Bezugsperson mit einem Geschwisterchen geteilt werden. Dieses Konzept ist mitunter deshalb so beliebt, weil es ebenso eine Bereicherung für die älteren Menschen ist, welche sich in ihrer Freizeit um die Kinder kümmern dürfen und so ihrerseits eine sehr sinnvoll erlebte Aufgabe bekommen. Der Begriff „Oma“ mag hier etwas irreführend sein, denn bei der hohen Nachfrage können durchaus auch Studenten ihre Dienste als Betreuungsperson zur Verfügung stellen.