"Super League": Fußball-Fans sind in Aufruhr. Was ist da los?
"Ist das etwa fair?", fragte Andrea Agnelli. Der FIAT-Spross und Geschäftsführer von Fußball-Großklub Juventus Turin schimpfte bei einem Business-Kongress vor einem Jahr aber nicht über den Fehler eines Schiedsrichters.
Sondern die Qualifikation des eher unbedeutenden und auch nicht besonders reichen Klubs Atalanta Bergamo für die Champions League. "Die spielen eine gute Saison und haben schon Zugang zu dem vielen Geld, das es dort gibt. Andere Klubs, die viel mehr investiert haben und den Erfolg nicht haben, bleiben auf ihren Kosten sitzen!"
Atalanta Bergamo hat nur ein Zehntel der Ausgaben von Juventus Turin, jenem Klub, der sich alleine die Dienste von Cristiano Ronaldo 200 Millionen Euro in den letzten drei Jahren kosten ließ. In der letztjährigen Champions League war der kleine Klub dennoch erfolgreicher als Juventus.
Sportlicher Erfolg... kann das weg?
Überhaupt ist Juventus trotz der immensen Ausgaben seit der Verpflichtung Ronaldos 2018 spürbar weniger erfolgreich als davor. Kein Wunder also, dass sich Agnelli vor so etwas lästigem wie sportlicher Unberechenbarkeit lösen will. Hier kommt die neue "Super League" ins Spiel, als Konkurrenz zur vom europäischen Dacherband UEFA organisierten Champions League. An dieser kann man aber nur teilnehmen, wenn man sich über einen Top-Platz in der jeweiligen nationalen Meisterschaft dafür qualifiziert.
Zwölf der renommiertesten Fußballklubs Europas wollen nun ihr eigenes Ding machen. Die "Super League", deren Gründung Real Madrid, FC Barcelona, Juventus, Manchester United und Co. am späten Sonntag Abend bekannt gaben, soll Fußball-Fans am laufenden Band Duelle dieser klingenden Namen liefern.
Und den Klubs soll sie unvorstellbare Mengen von Geld bringen - völlig unabhängig vom sportlichen Erfolg. Einfach nur, weil sie da sind, denn die zwölf Teams nehmen automatisch Teil und kassieren nur dank ihrer bloßen Existenz die exorbitanten Summen. In der Champions League kann man pro Saison rund 80 Millionen Euro lukrieren - dafür muss man den Pokal aber auch gewinnen. In der Super League gibt es alleine für das Antreten 100 Millionen Euro.
Das Konzept: Follow the Money
Die Finanzierung von 3,5 Milliarden Euro kommt von der US-Großbank JPMorganChase, die eng mit Florentino Pérez verbandelt ist. Pérez ist Präsident von Real Madrid und neben Agnelli die treibende Kraft für die "Super League".
Die anderen Teilnehmer gehören Investoren aus den USA (Liverpool, Manchester United, Arsenal aus London sowie der AC Mailand), der Scheich-Familie aus Abu Dhabi (Manchester City), einem chinesischen Firmenkonglomerat (Inter Mailand), einem russischen Oligarchen (Chelsea aus London) sowie einer steuerschonend auf den Bahamas ansässigen Beteiligungsgesellschaft (Tottenham, ebenfalls aus London).
Hinzu kommen der FC Barcelona (der Klub von Superstar Lionel Messi) sowie Atlético Madrid, die zusammen eine Schuldenlast von über zwei MILLIARDEN Euro vor sich her schieben. Für manche der Klubs handelt es sich also schlicht um finanzielle Notwehr.
Pérez stellte sich hin und versicherte, dass man mit der Super League den Fußball an sich retten will. Damit, in erster Linie sich selbst retten zu wollen, natürlich überhaupt nicht. Das wäre ein Dienst am Fan.
Der entsetzte Aufschrei
Die Fans wollen das aber nicht - und zwar mit einer Vehemenz, die sogar die fußballkulturell recht weltfremden Pérez und Agnelli überraschen dürfte. Dass die Unmengen an Geld aus der Champions League die Reichen noch reicher macht und die sportliche Qualifikation für die Großklubs ein Feigenblatt, ist den Fans nämlich schon lange ein Dorn im Auge.
Diese wollen eher weniger Duelle zwischen den Top-Klubs, nicht noch mehr. Die ganze Idee hinter dem Bewerb, den es seit 1955 gibt, ist, dass Duelle von Spitzenteams aus verschiedenen Ländern eine Seltenheit sind, die gerade dadurch besonders werden. Wenn das Besondere zum Alltag wird, ist es nichts besonderes mehr. Schon die aktuelle Champions League sorgt für zunehmendes Desinteresse, weil es jedes Jahr in jeder Spielrunde gleich mehrere dieser nominellen Top-Duelle gibt - es ist längst alles austauschbar und beliebig geworden.
Die Super League postuliert für sich nun alle Aspekte des Fußballs im 21. Jahrhundert, die treue Anhänger am 21. Jahrhundert missbilligen. Dass es schon bisher nur ums Geld ging, war allen klar - aber man bezog sich zumindest noch auf die nostalgische Idee, dass es zumindest theoretisch möglich ist, auch mal als Kleiner gegen die Großen anzutreten und sie womöglich sogar zu besiegen.
Nun sagen die zwölf Klubs: Pfeif' auf die Kleinen. Die interessieren keinen. Die nehmen uns nur unser Geld weg. Wir retten den Fußball, indem wir Fans aus China und Amerika für uns gewinnen. Denen ist die romantische Nostalgie nämlich eher egal.
Wer fehlt?
Bayern München, Borussia Dortmund und Paris St. Germain sind die drei prominenten Klubs, die fehlen - und die zwölf Gründungsmitglieder der Super League sprechen explizit von 15 Vereinen, die einen Fixplatz haben. Der französische Top-Klub gehört den Scheichs von Katar. Diese können es sich erlauben, abzuwarten, in welche Richtung der Wind sich dreht.
Bayern und Dortmund aber, selbst wenn sie die finanzielle Verlockung sehen, wissen: Wenn sie da mitmachen, werden sie von ihren Fans gelyncht. Denn populär ist die "Super League" nicht - ganz im Gegenteil. Quer durch Europa ernten die zwölf Klubs einen Shitstorm, der sich gewaschen hat. Auch von Klublegenden wie Jamie Carragher (Liverpool), Zbigniew Boniek (Juventus) und Gary Neville (Manchester United).
Wie wehren sich Ligen und Verbände?
Für die UEFA steht viel auf dem Spiel - ohne zwölf der populärsten Klubs drohen massive Einnahmensverluste und eine Entwertung der Champions League. Die nationalen Ligen, an denen die zwölf Abtrünnigen weiterhin teilnehmen wollen, stehen vor einem Dilemma: Verliert man die Zugpferde oder lässt man sie trotz der wettbewerbsverzerrenden finanziellen Vorteile durch die Super League dennoch teilnehmen? Klagen werden vorbereitet, deren Erfolgsaussichten sind ungewiss.
UEFA-Präsident Aleksander Ceferin kündigte an, dass Spieler, die bei den Super-League-Klubs spielen, für sämtliche anderen Bewerbe zu sperren - also etwa auch für Welt- und Europameisterschaften. Dies wäre zweifellos eine schwerwiegende und wohl auch wirksame Maßnahme. Die rechtliche Durchsetzbarkeit ist aber umstritten. Ebenso wie Ceferins Ansinnen, die Beteiligten schon aus dem laufenden Bewerb rauszuwerfen.
Die Erfolgsaussichten der UEFA in diesem Konflikt stehen und fallen aber vor allem mit der Seite, auf die sich der Weltverband FIFA stellt. Einerseits hat auch die FIFA kein Interesse daran, einen potenziell lukrativen Bewerb zu dulden, der sich als Piraten-Liga außerhalb der Verbandsstruktur bewegt. Andererseits befinden sich FIFA und UEFA selsbt in einem heftigen Konflikt um die Deutungshoheit im weltweiten Klub-Fußball und der Weltverband hat seinerseits Pläne für eine große Klub-Weltmeisterschaft in der Schublade.
Die FIFA hat zur Super League ein lauwarmes Statement abgegeben, in das sich alles hineininterpretieren lässt.
Gibt es Präzedenzfälle?
Ja - im Basketball. Hier hat sich 2000 eine ähnliche Liga gebildet wie sie nun im Fußball kommen soll. Auch hier hat sich der europäische Dachverband zu wehren versucht, mit Diplomatie ebenso wie mit offener Konfrontation. Ohne Erfolg: Hier hat sich die einst abtrünnige "EuroLeague" durchgesetzt. Die ursprünglichen Europapokal-Bewerbe sind Turniere zweiter Klasse und die Nationalmannschaften im Grunde bedeutungslos geworden.