Mein Leben als Geliebte eines verheirateten Mannes
Vierzig Jahre ist er mit seiner Frau verheiratet. Im Lauf seiner Ehe gab es unzählige andere. "Seine Frauen", wie es ihm herausrutscht, wenn er - nicht unzufrieden - auf sein Leben zurückblickt. Ich bin also nicht die erste Freundin in seinem Leben. Und keiner gelang es, ihn "ganz" zu haben. Statt gemeinsamer Wochenenden und Feiertage gab es exklusive Urlaube und teure Geschenke. Reichte das nicht, kam rasch die nächste. Statt gewarnt zu sein fühle ich mich angespornt: Ich will die beste Freundin sein, die er je hatte. Die eine, bei der alles anders ist. Die Gewinnerin. Um den Preis, dass mein Selbstwertgefühl auf die Größe eines Minimundus-Gebäude zusammenschrumpfen lässt.
Jedes Wochenende ohne ihn
Spätestens, wenn am Freitagmorgen der Rollbalken fällt, und ich mich für ihn bis Montag in Luft auflöse, kann ich meinen Seelenzustand bestenfalls als holprig bezeichnen. Sollte ich von Montag bis Donnerstag einmal nicht zur Verfügung stehen, brauche ich mich nur daran zu erinnern, wie viele Frauen alles dafür geben würden, an meiner Stelle zu sein. Ich will glauben, dass ich in seinen Augen etwas Besonderes, Einmaliges sein werde. Tief im Inneren weiß ich, dass ich nur zu ersetzbar bin.
Die Konkurrenz schläft nicht
Gekonnt erinnert er mich an meine Konkurrenz, die im Hintergrund lauert. Seine abwehrende Handbewegung, gefolgt von einem stummen Hinweis, still zu sein, während er mit seiner Frau telefoniert, oder wenn eine seiner Ex-Freundinnen anruft. Das stärkt sein Ego und macht mich zu einem hilflosen Nervenbündel. Zwei Minuten später spiele ich meine Rolle als hingebungsvolle Geliebte. Warum?
Warten, bis er Zeit hat
Manchmal passiert es, dass ein Ehefrauen-Wochenende ausfällt. Das erfahre ich frühestens am Donnerstag. Was nichts daran ändert, dass ich umgehend meine geplanten Aktivitäten absage und mich ganz auf ihn konzentriere. Zu lange habe ich darauf gewartet, zu sehr will ich "mehr" - mehr Zeit mit ihm, mehr von ihm. Gerade, weil wir noch nie miteinander in Urlaub waren, ich noch nie ein persönliches Geschenk von ihm erhalten habe. Und keinen Glückwunsch zum Geburtstag bekomme, wenn dieser auf ein Wochenende fällt.
Vernunft versus Sehnsucht
Die Vernunft sagt mir: "Ziehe einen Schlussstrich. Dein Leben ist eine einzige Warteschleife. Du kannst nur verlieren." Das Herz klammert sich an die Vorstellung, dass mir gelingen könnte, was vor mir noch keine geschafft hat. Ich will die wichtigste Frau in seinem Leben werden. Dazu ist voller Einsatz gefragt. Denn ich bin nicht wie all die anderen, rede ich mir ein. Er, der gerne vergleicht, denkt, vermutlich bereits an die Nächste. Seine Ehefrau bleibt dabei sein ewiger Trumpf. Sie, die er nicht verlassen kann, dient ihm als Schutz gegenüber jeglichen Erwartungen all jener, die sich mehr erhoffen.
Wann siegt die Selbstliebe?
Woher rührt mein Hunger nach Selbstbestätigung in dieser Verbindung ohne ersichtliche Zukunft? Das für mich herauszufinden und die nötigen Konsequenzen zu ziehen, dazu bin ich entschlossen, aber noch nicht bereit. Dazu ist meine Selbstliebe noch nicht groß genug, schreibe ich in mein Tagebuch. Solange kann ich keine Gewinnerin sein. Also lebe ich im Hier und Jetzt. Versuche das Wenige zu genießen, das ich habe. Meine unerfüllten Sehnsüchte wird am Ende nicht er stillen. Ich selbst werde mein Leben in die Hand nehmen - müssen. Nur noch nicht dieses Wochenende. Vielleicht erst, wenn eine neue Geliebte an meine Stelle tritt ...
Zur Autorin
Mit ihren wohl überlegten Gedanken und praktischen Tipps liefert die in Wien lebende freie Autorin Valerie Vonroe wertvolle Anstöße für einen bewussteren Umgang mit den eigenen Potenzialen und Ressourcen – in jedweder Hinsicht.