Corona: So leiden unsere Kinder
In Italien öffnen die Schulen am 14. September mit reduzierten Klassengrößen von nur 15 Schülern. Um trotzdem unterrichten zu können, wird das pädagogische Personal aufgestockt. Der Unterricht soll teilweise in angemieteten Kinos, Theatern und Museen stattfinden. Viele deutsche Bundesländer schreiben den Schülern das Tragen von Masken vor. Und es wird überlegt, Raumluftreiniger in den Schulklassen anzubringen. Und in Österreich? Laut Bildungsminister Heinz Faßmann soll der Schulbetrieb möglichst normal starten. Wobei – was ist derzeit schon normal?
Belastete Kinderseelen.
Das letzte Schulsemester hat Spuren hinterlassen. Die COPSY-Studie (Corona und Psyche) belegt: 71 Prozent der befragten Kinder und Jugendlichen fühlten sich psychisch stark belastet. Fast jedes dritte Kind (31 Prozent) zeigt ein Risiko für psychische Auffälligkeiten, vorher war es nur jedes fünfte (18 Prozent). Die Kinder und Jugendlichen machen sich mehr Sorgen und zeigen häufiger Auffälligkeiten wie Hyperaktivität (24 Prozent), emotionale Probleme (21 Prozent) und Verhaltensprobleme (19 Prozent). Auch psychosomatische Beschwerden treten vermehrt auf. Neben Gereiztheit (54 Prozent) und Einschlafproblemen (44 Prozent) haben viele auch Kopf- und Bauchschmerzen (40 bzw. 31 Prozent). Die Folgen können aber auch zu einer posttraumatischen Belastungsstörung führen.
Extremerfahrung.
Was Kinder in der Corona-Krise erlebt haben und noch erleben, prägt sie sehr. Der Kontakt mit Freunden, der soziale Austausch mit Gleichaltrigen und der regelmäßige Schulbesuch sind nicht nur für den Alltag wichtig, sondern auch für die psychische Gesundheit von jungen Menschen. Das bestätigt auch die Österreichische Gesellschaft für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie: „Ein längerer Ausschluss aus diesen Lern- und Erfahrungsräumen schädigt Kinder und Jugendliche in ihrer kognitiven, emotionalen und sozialen Entwicklung und hinterlässt Spuren, die schon jetzt sichtbar sind und sich auch für längere Zeit nach der Aufhebung der Restriktionen zeigen werden.“
Virtueller Alltag.
Denn eines ist klar: Fehlende Rückzugsräume, kein Kontakt zu Freunden, virtuelles Homeschooling – das alles hat dazu geführt, dass sich viele Kids zurückgezogen haben, kaum noch das Zimmer verlassen und sich selbst noch mehr isoliert haben. Und auch am virtuellen Klassenleben kaum bis gar nicht teilgenommen haben. Diese Jugendlichen wieder in den Schulalltag zu integrieren wird eine Herausforderung. Schon allein deshalb, weil sie neben der Belastung durch COVID-19 häufig mit noch einer zweite Belastung leben müssen: Cybermobbing. Durch die Corona-Krise haben Kinder die elektronischen Medien weitaus intensiver genutzt, als es vor der Krise der Fall war. Das führt auch dazu, dass Cybermobbing Tür und Tor geöffnet wird. Mehr als jeder dritte Schüler war schon einmal davon betroffen. „Das klassische Bullying am Schulhof gibt es kaum noch, meist spielt sich das Mobbing in der Realwelt und gleichzeitig virtuell ab“, bestätigt Johannes Achammer, klinischer Psychologe und selbst Lehrer an einer NMS.
Corona vs. Cyberspace.
Cybermobbing ist gerade jetzt besonders perfide: Kinder brauchen die Gemeinschaft für ihr Selbstwertgefühl und ihre Entwicklung gerade jetzt besonders. Da muss es nicht einmal eine aktive Anfeindung sein, es reicht oft schon der Ausschluss aus einer WhatsApp-Gruppe, um zu schlimmen Zweifeln zu führen. Und das zudem in immer früheren Jahren: „Ich kenne bereits Kinder im Volksschulalter, die Cybermobbing erleben, auch wenn dies noch nicht ganz so häufig ist“, so Barbara Buchegger, pädagogische Leiterin von saferinternet.at
Im Herbst alles anders?
Corona-Schule und Cybermobbing – eine doppelte Belastung. Umso wichtiger, gegenzusteuern. „Die Verhaltensweisen der Jugendlichen haben sich geändert. Die digitale Welt ist nicht nur Spaß, sondern auch Arbeitsumfeld. Was man dort macht, hat Relevanz. Und viele sind auch übersättigt von der Onlinewelt. Das kann zu einer weiteren Entspannung bei Cybermobbing beitragen“, hofft Buchegger. Achammer hingegen sieht eine wichtige Möglichkeit zur Vorbeugung eingeschränkt: „Gerade zu Schulanfang ist es wichtig, die Klassengemeinschaft zu stärken. Durch COVID-19 sind wir als Lehrer leider stark in unseren Möglichkeiten eingeschränkt. Fakt ist nur: Ausflüge und Co. stärken das Gemeinschaftsgefühl viel mehr als ein Vortrag über Mobbing.“ Sein Vorschlag wäre überhaupt die Schaffung eines eigenen unparteiischen Kinderministeriums: „Kinder haben keine eigene Lobby. Die Entwicklung und Förderung unserer Kinder sollte aber oberste Priorität haben, so z. B. auch eine Therapie auf Krankenschein, um Langzeitfolgen nach Mobbing zu verhindern.“ Mit einer eigenen Lobby wären aber natürlich auch eine Schulschließung und das Abwälzen der Aufgaben auf die Eltern nicht mehr ganz so einfach.
Kids & Corona: Die traurigen Fakten
Kinder und Jugendliche sind abhängiger von ihrem psychischen Umfeld als Erwachsene. Wenn Erwachsene Sorgen haben (Jobverlust, Kurzarbeit oder finanzielle Schwierigkeiten), leiden sie mit. Wenn dann auch noch die schulischen Strukturen wegbrechen, wird das als sehr bedrohlich erlebt. Warnhinweise sind Ängste, Schlafstörungen, Zwangshandlungen, Antriebslosigkeit, Depressionen. Die Problemverarbeitung kann aber auch nach außen gerichtet sein und sich in vermehrtem Drogenkonsum, ungezügeltem Internetgebrauch oder dem Nichteinhalten von Regeln äußern.