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Die Anwälte Albert Heiss und Mathias Kapferer vor der Presse.
Die Verteidigung: Die Anwälte Albert Heiss und Mathias Kapferer (v. li.)
Die Verteidigung: Die Anwälte Albert Heiss und Mathias Kapferer (v. li.)
Franz Oss / OTS

Toter Bub in Ache: Scharfe Kritik an Ermittlern

29.02.2024 um 14:22, Simone Reitmeier
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Der Anwalt des in U-Haft sitzenden Vaters fordert die Enthaftung seines Mandanten. Er spricht von "Pannen und Fehlern" im Fall des sechsjährigen Leon.

Im Fall des sechsjährigen Leon, der im August 2022 tot aus der Kitzbüheler Ache in St. Johann in Tirol geborgen wurde, könnte es möglicherweise zu einer großen Wende kommen. Die Verteidiger des Vaters, der seit Februar als dringend tatverdächtig in Untersuchungshaft sitzt, haben einen Antrag auf Haftentlassung gestellt. Bei einer kurzfristig einberufenen Pressekonferenz in Innsbruck legten die Anwälte nun ihre Gründe im Detail dar.

Pannen in der Ermittlungsarbeit

Laut den Rechtsanwälten Albert Heiss (Anwalt des in U-Haft sitzenden Vaters) und Mathias Kapferer (Anwalt der Mutter des toten Buben) ist es im Fall Leon zu Pannen und Fehlern in der Ermittlungsarbeit gekommen. So seien voreilige Schlüsse auf eine mögliche Täterschaft des Vaters gezogen worden. Dies würden ein in Auftrag gegebenes und zwei unabhängige Gutachten belegen. Die Verteidiger listen eine Reihe von Argumenten und Fakten auf und stellen auch die Schlussfolgerungen der Ermittlungsbehörden in Frage. Aus ihrer Sicht ist der dringende Tatverdacht gegen den 39-jährigen Vater damit nicht mehr haltbar.

Kritik an mangelhafter Spurensicherung

Von der Flasche, mit der sich der Vater selbst auf den Kopf geschlagen haben soll, sei "nicht einmal die Hälfte gesichert", so die Anwälte. Noch Tage später hätten Passanten Scherben zur Polizei gebracht. Zudem sei auf einem Video zu sehen, wie Glasscherben Tage nach dem Vorfall von einem Straßenreiniger entsorgt worden seien. Trotz entsprechender Möglichkeiten seien die Videos nicht als Beweismittel sichergestellt worden. Dadurch könne nicht beurteilt werden, was tatsächlich das Tatwerkzeug gewesen sei.

Kinderwagen und Polizeieinsatz in St. Johann in Tirol.
Der Bub (6) wurde im August 2022 tot gefunden.

Fremdverschulden sei wahrscheinlicher

Aus medizinischer Sicht sei eine Fremdverletzung wahrscheinlicher als eine Selbstverletzung. Dies würden auch zwei unabhängige Gutachten bestätigen. "Gutachten bestätigen, dass auch eine andere Tatwaffe, zum Beispiel ein Schlagstock, möglich ist", erläutert Albert Heiss. Rückblick: Ursprünglich ging man von einem Raubüberfall auf den Vater aus. Er sei von einem Unbekannten mit einer Flasche niedergeschlagen worden. Der Bub sei dann selbst aus dem Kinderwagen gestiegen und in die Ache gestürzt. Als nach monatelangen Ermittlungen immer noch keine Spur vom vermeintlichen Räuber gefunden wurde, geriet der Vater ins Visier. Er soll das Kind getötet und den Überfall vorgetäuscht haben.

DNA-Spuren eines Unbekannten

Bei der Pressekonferenz brachten die Anwälte auch DNA-Spuren ins Spiel. Eine Analyse habe keinen Hinweis darauf ergeben, dass der Verdächtige die Scherben berührt habe. Es seien aber andere, unbekannte DNA-Spuren an den Glasscherben, am Flaschenhals und am Overall des Jungen gefunden worden. Außerdem habe es zwei Treffer eines Unbekannten auf einem Mülleimer und Zigarettenkippen in der Nähe des Tatorts gegeben. Aus welchen Gründen auch immer würden die Ermittler diese aber zurückhalten.

Fehler bei Handyauswertung

Bei der Auswertung der Handydaten sei zudem eine Software verwendet worden, die erhebliche Fehler aufweise. Schriftaufzeichnungen auf dem Smartphone seien daher als Beweise nicht haltbar. Ebenso wenig die Behauptung, der verdächtige Vater habe im Internet gezielt nach dem Begriff "Ohnmacht" gesucht, um einen Raubüberfall vorzutäuschen. Das Wort sei nicht unmittelbar vor der Tat, sondern Wochen zuvor in einem anderen Zusammenhang gesucht worden.

Motiv in Frage gestellt

Auch das Motiv, die Familie sei in einer verzweifelten Situation gewesen, stellen die Anwälte in Frage. Diese "Annahme der Polizei ist durch zahlreiche Zeugen, Videoaufnahmen, schriftliche Bestätigungen und nicht zuletzt durch ein Gutachten aus dem Bereich der Kommunikationswissenschaften klar widerlegbar", stellt Mathias Kapferer fest. Die Verteidiger führen unter anderem an, dass sich der Gesundheitszustand des Buben gebessert habe und er ein fröhliches Kind gewesen sei. Videoaufnahmen würden belegen, dass zwischen Vater und Sohn "ein ausgezeichnetes und betont liebevolles Verhältnis" bestanden habe.

Kritik von der Staatsanwaltschaft

Kritik an der Vorgangsweise der Anwälte kommt allerdings von der Staatsanwaltschaft Innsbruck. In einer Aussendung, die bereits vor der Pressekonferenz veröffentlicht wurde, heißt es: "Wenn die Verteidigung nunmehr öffentlich Ermittlungsergebnisse in ihrem Sinn interpretiert, dann verfolgt sie das Gegenteil: Dann geht es offenbar darum, bereits jetzt die späteren Richter – voraussichtlich Geschworene – zu beeinflussen." Über den Enthaftungsantrag entscheide immer noch das Gericht, nicht die Öffentlichkeit. Eine weitere Stellungnahme werde es nicht geben. Die Entscheidung soll am morgigen Freitag fallen.

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