Wenn der Luciano die Helene singt
Stellen sie sich vor, Luciano Pavarotti würde „Atemlos“ von Helene Fischer singen oder Maria Callas inbrünstig „Hulapalu“ von Andreas Gabalier intonieren? Absurde Gedanken? Mag sein, ist aber heutzutage kein Problem. Musik-KI macht das möglich und dafür müssen Sie nicht in Hagenberg studiert haben. Einige kleine Soundfiles einer x-beliebigen Stimme reichen und Sie können selbst Deep Fakes produzieren. Das Netz ist voll damit. Ein Battlerap zwischen Joe Biden und Donald Trump etwa – den Text dazu produzierte ChatGPT. Oder bevorzugen Sie Johnny Cash, der den ultrakommerziellen Euro-Trash-Song der schwedischen Band Aqua „Barbie Girl“ von 1997 singt? Letzteres wurde vom Texaner Dustin Ballard ins Netz gestellt, samt viralem Hype. All diese Möglichkeiten von audiobasierter KI löst Debatten aus. Etwa ob man einfach die Stimme eines Menschen nehmen und verändern darf.
Ja darf man denn das?
Die Antwort: Jein. Es gibt kein allgemeines Recht auf die Einzigartigkeit der eigenen Stimme – noch nicht. „Denkbar ist einerseits eine Unterstellung unter das allgemeine Persönlichkeitsrecht nach § 16 ABGB, der ja relativ weit gefasst ist, aber auch analog, da es sich grundsätzlich um Ansprüche bei Lichtbild- oder Videoveröffentlichungen handelt, unter § 78 Urheberrechtsgesetz“, erzählt Urheberrechtsexperte und Anwalt Gernot Sattlegger. Vor allem bei Celebreties, Berühmtheiten – sprich Menschen, die in der Öffentlichkeit stehen –, könnte das der Fall sein. „Wenn der Bekanntheitsgrad (der Stimme) ausgenutzt wird. Nicht vergessen werden darf, dass nach dem Gesetz aber auch ,berechtigte Interessen verletzt‘ sein müssen, damit eine Anspruchsberechtigung, primär eine Unterlassung, bzw. ein eventueller Schadenersatz besteht.“ Es ist also letztlich eine Argumentationsfrage, „woraus eine sehr kasuistische, also einzelfallbezogene Judikatur resultiert“. Ein solcher Fall war die Klage der Schauspielerin und Sängerin Bette Midler, die Ford verklagt hatte, weil der Autobauer in einer Werbung ihre Stimme imitierte. Das Gericht entschied: Midlers Stimme ist Teil ihrer Identität.
Gibt es ein Recht an der eigenen Stimme?
Im Fall von KI werden Problemstellungen bei Verletzungen von Persönlichkeitsrechten immer wichtiger, wie Sattlegger erzählt: „Es kann, wenn man verschiedenste Techniken der KI betrachtet, wo auch Stimmen imitiert werden oder für verschiedenste Zwecke eben Stimmen Verwendung finden können, auch zu einem Missbrauch und damit zu einer Beeinträchtigung von Persönlichkeitsrechten durch die Verwendung der Stimme eines Menschen kommen.“ Der Urheberrechtsexperte sieht zwar noch keine allgemeine Judikatur, es aber als sachgerecht an, sein Recht bei Missbrauch durchzusetzen, und zwar „unabhängig davon, ob es sich um eine berühmte Persönlichkeit handelt oder nicht. Meines Erachtens ist es sachgerecht, dass ein Recht an der eigenen Stimme gegebenenfalls – durch Unterlassungsklagen – bei Missbrauch durchsetzbar ist, wenn die entsprechenden Voraussetzungen vorliegen.“
Sprache, Lingua, Language, Yuyán ...
Adobe geht dabei einen anderen, in diesem Fall wohl unumstrittenen Weg. Mit den „Project Dub Dub Dub“ werden Video- und Audioclips bzw. Podcasts direkt und synchron in 70 verschiedene Sprachen und 140 Dialekte übersetzt. Das Sendungsbewusstsein eines Richard David Precht mit Markus Lanz würde keine Grenzen mehr kennen. Der Clou: Es werden in dem Fall die Originalstimmen von Precht und Lanz verwendet. Auch ältere Audioclips können so nachvertont werden. Das von Zeyu Jin bei Adobe entwickelte Projekt moduliert die Stimme und gibt sie in anderen Sprachen originalgetreu wieder. Noch gibt es nur eine Testversion für Entwickler, es soll aber schon bald marktfähig sein.
„ChatGPT der Musik“ made in Europe
Doch nicht nur Stimme, auch Musik wird heute KI-generiert. Ein solches ist das Kompositionssystem AIVA des Franzosen Pierre Barrot, der vor sieben Jahren mit seinem Bruder AIVA aus der Taufe hob, und das in Insiderkreisen „Europas KI-Antwort auf ChatGPT“ genannt wird. AIVA vollendet sogar „Unvollendete“, indem es die Struktur der Kompositionen erkennt und ergänzt. Das mittlerweile in Luxemburg beheimatete Startup zeigt dabei auch ein europäisches Schicksal. Finanziert mit EU-Mitteln und Förderungen von Luxemburg gelingt die Internationalisierung nur mit Kapital aus China. AIVA soll schon bald Filmmusik oder Soundtracks für Computerspiele schreiben und zwar völlig an den Spannungsbogen angepasst. Barrot legt Wert darauf, dass AIVA nicht einfach nur trainierte Musik reproduziert, sondern eigene erschaffen kann. Das von AIVA komponierte Werk „Let’s make it happen“ etwa wurde zum französischen Nationalfeiertag von einem Orchester uraufgeführt. Von Deep Fakes oder bloßer Neuinterpretation kann bei AIVA keine Rede sein.
Musicbox 4.0.: YouTube Music AI Incubator
Dass dahinter ein Geschäft stecken kann, haben die großen Player längst entdeckt. YouTube und Universal Music bündeln ihre Kräfte. Der „YouTube Music AI Incubator“ kann auf die Künstler von Universal zurückgreifen. Universal-CEO Lucian Grainge zu den gemeinsamen Anstrengungen im Rahmen der Pressekonferenz im August 2023: „Unser anhaltender Glaube an die menschliche Kreativität ist unser Fundament. Im Mittelpunkt unserer gemeinsamen Vision steht die Ergreifung von Schritten zum Aufbau eines sicheren, verantwortungsvollen und profitablen Ökosystem für Musik und Video – eines, in dem Künstler und Songwriter die Möglichkeit haben, ihre kreative Integrität und Entscheidungsfreiheit zu bewahren und eine faire Vergütung zu erhalten.“ Na dann, bleiben wir gespannt.