Von Moltke: Halten ideologische Verbote für falsch
CHEFINFO: Herr von Moltke, an Superlativen fehlt es derzeit nicht in Ihrer Branche. Aktuell findet der größte Umbau in der Geschichte der Automobilindustrie statt. Wie nehmen Sie diesen Umbruch wahr?
Klaus von Moltke: Es ist sehr dynamisch. Im Fokus stehen der Verbrenner, der Hochlauf der E-Mobilität und neue Player in der Industrie aus den USA und China, die mit ihren Produkten in den Markt drängen. Auch die Höhe der Investitionen, die in diesen Umbau fließen, sind bedeutsam. Das haben wir in dieser Form bisher noch nicht erlebt. Aber wir sind sehr stolz, dass wir mit unserem Ansatz der Technologieoffenheit das alles hervorragend bewältigen.
BMW stellt um über eine Milliarde Euro ein Antriebswerk in Steyr für E-Mobilität fertig. Zusätzlich wird der 8-Zylinder hier gebaut. Worin sehen Sie die größte Herausforderung?
Von Moltke: Die größte Herausforderung ist der Umgang mit der Komplexität und letztendlich auch mit der Flexibilität, die von uns erwartet wird. Wir bedienen einen Weltmarkt mit dem Ansatz der Technologieoffenheit, und wir haben über die letzten zwei Jahre gesehen, wie volatil die Märkte sind. Die starke Abhängigkeit von China als Absatzmarkt hat sich mittlerweile gedreht. Das stärkste Wachstum kam für BMW zuletzt aus den USA und Europa. Viele aktuelle Entwicklungen spiegeln nicht jene Prognosen wider, die wir vor zwei Jahren intern angestellt haben. Daran zeigt sich, wie flexibel man heutzutage agieren muss.
Die New York Times nannte BMW als Gewinner der E-Mobilität, der es als einziger deutscher Hersteller mit Tesla aufnehmen könne. Wurden Sie unterschätzt?
Von Moltke: BMW ist ein Pionier in der E-Mobilität und hat mit dem Einstieg der Modelle i3 und i8 früh ein Fundament gesetzt. Es mag damals noch nicht der richtige Zeitpunkt für den Markt gewesen sein, aber diese Erfahrung hat uns geholfen, unser E-Mobilitätsangebot für die Zukunft richtig zu gestalten. Die Nachfolgegenerationen basieren schon auf Bestandsarchitekturen. Heute sind wir in jedem Segment und jeder Marke mit elektrifizierten Angeboten am Markt. Wir sind breit aufgestellt und können die unterschiedlichen Wünsche der Märkte bedienen. Hinzu kommt, dass wir in den letzten Jahren größere Sprünge im Bereich der Batteriezellenentwicklung verzeichnen konnten, begleitet von einem sehr starken Impuls in Richtung Digitalisierung im Fahrzeug.
BMW hat mit 15 Prozent die höchste Elektroquote aller deutschen Hersteller. Wie geht es weiter?
Von Moltke: Wir hatten uns als Ziel die 15 Prozent gesetzt und die haben wir auch punktgenau erreicht. Derzeit befinden wir uns in einer Übergangsphase. Bis 2030 sollen 50 Prozent unserer Flotte als elektrifiziertes Angebot abgesetzt werden. Das zeigt auch unser klares Commitment gegenüber dieser Technologie.
Aktuell befindet sich die „Neue Klasse" in den Startlöchern. Welche Rolle wird Steyr dabei spielen?
Von Moltke: Die nächste Generation der E-Mobilität wird ab 2025 am Standort in Debrecen, Ungarn, anlaufen. Mit dieser neuen Fahrzeugarchitektur, ihrem überarbeiteten Antriebsstrang, einem völlig neuen Konzept in puncto Digitalisierung, Teleservices und Infotainment werden wir einen weiteren Sprung nach vorne machen. Damit wollen wir auch unseren Wettbewerbern beweisen, dass wir Marktführer in diesem Segment sind. Aus Steyr wird die E-Antriebsmaschine der sechsten Generation geliefert - inklusive der Leistungselektronik, die hier entwickelt und produziert wird. Steyr ist innerhalb der BMW Group dann nicht nur größter Antriebsstandort, sondern auch gesamthaftes Antriebskompetenzzentrum, das auch federführend bei der E-Mobilität ist.
Trotzdem sprechen Sie sich bei BMW klar gegen ein Verbrennerverbot in Europa aus. Warum?
Von Moltke: Wir halten nicht am Verbrenner per se fest, wir halten nur ideologische Verbote für falsch. Die CO,-Ziele als Konzern zu erreichen ist unser klares Commitment. Aber in dieser entscheidenden Phase eine Technologie auszuschließen, in der wir nicht wissen, wohin sich ein Weltmarkt orientiert, wäre für den Erhalt eines Industriestandorts mit Risiko verbunden. Der Verbrenner ist das Fundament für Investitionen in dieser Übergangsphase der Industrie. In den Hochlauf der E-Mobilität fließen Milliarden Euro und die Investitionsquoten in der Industrie übersteigen bereits die Fünf-Prozent-Grenze.
Ist Wasserstoff ein mögliches Zukunftskonzept für den Antrieb?
Von Moltke: Ja, es ist eine Alternative, an der wir als BMW arbeiten. Wir haben eine Testflotte mit knapp 30 BMW iX5 Hydrogen-Fahrzeugen ausgerollt. Wir sind auch regelmäßig in Kontakt mit Stakeholdern aus der Wissenschaft, aus den Energiekonzernen und der Transportindustrie, um Einsatzmöglichkeiten auszuloten. Falls sich die BMW-Konzernzentrale für die Technologie entscheiden sollte, streben wir an, in Steyr ganz vorne mit dabei zu sein. Ich bin guter Dinge, dass wir in der zweiten Hälfte dieser Dekade ein Projekt auf der Straße sehen werden.