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Statt kalter Progression warmer Geldregen?

11.12.2023 um 08:00, Jürgen Philipp
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Mehr Netto vom Brutto, darin sind sich wohl alle einig. Wie das funktionieren könnte und wo das bereits funktioniert, weiß Steuerberater Klaus Lobmayr.

In letzter Zeit wird viel über Vollzeit- versus Teilzeitarbeit diskutiert. Welche steuerlichen Hebel hätte man, um Mehrarbeit attraktiver zu gestalten, sprich, dass mehr Netto vom Brutto bleibt?
Es können verschiedene steuerliche Maßnahmen ergriffen werden, um Mehrarbeit attraktiver zu gestalten und damit mehr vom Brutto bleibt. Aktuell gebührt für Mehrarbeitsstunden ein gesetzlicher Zuschlag von 25 Prozent des auf die Arbeitsstunden entfallenden Normallohns, und dieser ist immer steuerpflichtiger Arbeitslohn. Eine der direktesten Möglichkeiten besteht darin, die Grenzsteuersätze weiter zu senken. Im Zuge der ökosozialen Steuerreform wurden dahingehend bereits erste Maßnahmen umgesetzt. So kann verhindert werden, dass Mitarbeiter durch Mehrarbeit in höhere Einkommensteuertarifstufen gelangen. Um Vollzeitarbeit attraktiver zu machen, könnte die Erhöhung von Steuerfreibeträgen das Mehreinkommens von Arbeitnehmern vor der Besteuerung schützen. Aus meiner Sicht muss sich Leistung lohnen.

Wie sieht es mit Überstunden aus? Sollten sie steuerlich entlastet werden?
Mitarbeiter, die bereit sind, Mehrarbeit oder Überstunden zu leisten, müssen großzügiger entlastet werden, um mehr steuerfrei dazuverdienen zu können. Das EStG besagt derzeit, dass pro Lohnzahlungszeitraum, also pro Monat, höchstens zehn Überstundenzuschläge mit 50 Prozent, jedoch maximal 86 Euro steuerfrei bleiben dürfen. Dieser Freibetrag wird ab 01.01.2024 auf 120 Euro angehoben. Die Überstundengrundlöhne sind immer voll steuerpflichtig. Im Sinne des Arbeitskräftemangels wird – befristet für die Kalenderjahre 2024 und 2025 – die steuerliche Begünstigung von Überstunden ausgeweitet, als die Zuschläge für die ersten 18 Überstunden im Monat im Ausmaß von höchstens 50 Prozent des Grundlohns, insgesamt höchstens jedoch 200 Euro steuerfrei sein werden. Die Frage, ob es sinnvoll ist, die Besteuerung von Überstunden zu reduzieren, hängt von verschiedenen Faktoren und Zielen ab. Es ist wichtig, dass Regierung und Steuerbehörden eine umfassende Analyse durchführen, um sicherzustellen, dass diese Senkung der Besteuerung von Überstunden auch die gewünschten wirtschaftlichen Ergebnisse erzielt, ohne die öffentlichen Finanzen zu stark zu belasten. Außerdem sind Begleitmaßnahmen zur Verhinderung von Missbrauch oder Steuervermeidung zu ergreifen, damit die Vorteile auch tatsächlich den Arbeitnehmern zugutekommen. Auch aus Arbeitgebersicht ergeben sich Vorteile, Stichwort Lohnnebenkosten. Arbeitgeber könnten finanzielle Anreize bieten, ohne die Lohnkosten erheblich zu erhöhen. Arbeitgeber sollten generell mehr Möglichkeiten bekommen, um steuerfreie Zusatzleistungen wie Gesundheitsleistungen, Kinderbetreuungszuschüsse oder Altersvorsorge anbieten zu können. Dies würde auch die Attraktivität eines Arbeitgebers steigern.

Die Abschaffung der kalten Progression 2024 wird als Meilenstein gefeiert. Was bringt sie den Menschen wirklich?
Die kalte Progression tritt auf, wenn die Einkommen der Steuerpflichtigen aufgrund von Inflation und Lohnsteigerungen steigen, ohne dass die Tarifstufen entsprechend angepasst werden. Steuerpflichtige bezahlen im Laufe der Zeit mehr Steuern, ohne dass das tatsächlich verfügbare Nettoeinkommen steigt. Folglich ist die Kaufkraft unter Berücksichtigung der Inflation rückläufig. Die Abschaffung entlastet in erster Linie Steuerpflichtige mit niedrigeren und mittleren Einkommen. Dadurch verbleibt mehr Nettoeinkommen und die Kaufkraft bleibt aufrechterhalten. Es ist aber nur eine Maßnahme von vielen, um die finanzielle Situation der Menschen zu verbessern. Andere Faktoren, wie beispielsweise die positive allgemeine Entwicklung der Wirtschaftslage, die Senkung der Inflation und die Kosten des täglichen Lebens, spielen ebenfalls eine Rolle.

Klaus Lobmayr
Leistung muss belohnt werden. Arbeitnehmer, die bereit sind, Mehrarbeit oder Überstunden zu leisten, sollten mehr Netto vom Brutto haben, laut Klaus Lobmayr.

Eine Vereinfachung des Steuersystems hätte viele Vorteile. Es wäre für die Bürger und Unternehmen transparenter und sie könnten ihre steuerlichen Verpflichtungen besser planen.

Klaus Lobmayr, Geschäftsführer BNP

Das Steuerrecht in Österreich ist ausgesprochen komplex. Wäre es nicht an der Zeit, es deutlich zu vereinfachen und klarere, transparentere Regeln zu erstellen?
Die Vereinfachung des Steuerrechts ist zweifellos ein würdiges Ziel und hätte viele Vorteile. Es wäre für die Bürger und Unternehmen transparenter und sie könnten ihre steuerlichen Verpflichtungen besser planen. Außerdem würden vereinfachte Steuergesetze die Verwaltungskosten der Steuerbehörden senken. Die Herausforderung besteht darin, ein Gleichgewicht zwischen der Notwendigkeit steuerpolitischer Ziele und der Schaffung eines transparenten und verständlichen Systems zu finden. Eine umfassende Steuerreform erfordert Zeit, sorgfältige Planung und breite politische Unterstützung, um die gewünschten Ergebnisse zu erzielen. Das Steuerrecht muss häufig angepasst werden, um Veränderungen in der Wirtschaft und der Gesellschaft widerzuspiegeln. Dies führt zu ständigen Gesetzesänderungen und erhöht die Komplexität. Steuergesetze helfen, verschiedene wirtschaftliche und soziale Ziele zu erreichen oder Anreize zu schaffen wie die Förderung von Investitionen, die Reduzierung der Einkommensungleichheit oder die Unterstützung bestimmter Industrien oder Branchen. Allerdings kann auch die Rechtsprechung dazu führen, dass das Steuerrecht komplexer wird. Steuergesetze müssen oft auf neue rechtliche Entwicklungen und Präzedenzfälle reagieren. Auch Interessengruppen können dazu beitragen, dass steuerliche Regelungen vielschichtiger werden, indem sie spezielle steuerliche Vorteile oder Ausnahmen für ihre Interessen durchsetzen wollen.

Welche internationalen Beispiele für ein einfaches, transparentes Steuersystem gibt es?
Ein Beispiel ist Estland, das ein einfaches Flat-Tax-Steuersystem mit einem festen Einkommensteuersatz von 20 Prozent hat. Es gibt keine Kapitalertragsteuer und keine Besteuerung von Unternehmensgewinnen, so lange diese im Unternehmen reinvestiert werden. Wenn Dividenden an die Aktionäre ausgeschüttet werden, sind sie mit einer Abgeltungssteuer von 20 Prozent belegt. Diese wird von den Empfängern der Dividenden gezahlt. Estland hebt zudem keine Kapitalertragsteuer auf Gewinne aus dem Verkauf von Wertpapieren oder anderen Kapitalanlagen ein und es gibt keine Erbschaftssteuer.