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SOS Mittelstand

26.10.2023 um 08:00, Jürgen Philipp
min read
Der industrielle Mittelstand ist derzeit mehrfach unter Druck. Unternehmer berichten, wo der Schuh drückt und warum viele der Probleme hausgemacht sind.

Fritz Pesendorfer, Geschäftsführer von INOCON, könnte zufrieden sein. Zwei große Projekte in den USA sind gebucht, die Lieferketten funktionieren wieder, die Personalsituation entspannt sich langsam, und auch die Preise für Stahl sanken von 2.000 Euro während der Pandemie auf aktuell 800 Euro (vor der Pandemie: 460 Euro). Und dennoch gibt es zahlreiche Baustellen rund um die aktuelle Wirtschaftslage: „Wir haben zwei Geschäftsfelder. Erstens den Sondermaschinenbau und die Automatisierungstechnik und zweitens die Fördertechnik samt MUT Stockerau. In beiden Feldern hat die Konjunktur abgekühlt, vor allem beim Bau, viele Projekte haben sich mehr in Richtung Fördertechnik verschoben.“ Pesendorfer sieht Europa auf der Bremse stehen. „Die großen Player sind vorsichtiger, viele Projekte sind on hold. In den USA ist die Konjunktur weit besser.“

Fritz Pesendorfer

Mein Optimismus ist erstmals seit 2008 wieder ein wenig relativiert.

Fritz Pesendorfer, Geschäftsführer INOCON

Deutschland bremst die EU-Konjunktur
Oberbremser ist Deutschland. „Deutschland war immer schon unser wichtigster Markt. In der Autoindustrie, aber auch im Consumerbereich werden Produktneuheiten aufgeschoben. Dort wäre so vieles in die Infrastruktur zu investieren, aber es geht alles in die Rüstung oder in Soziales.“ Das ist auch für Joachim Haindl-Grutsch, Geschäftsführer der IV OÖ, einer der Hauptgründe für gedämpfte Stimmung bei den heimischen produzierenden KMU. „Deutschland ist nicht mehr das industrielle Zugpferd, sondern am Weg, der kranke Mann der EU zu werden. Wenn die letzte große Reform die Agenda 2010 aus dem Jahr 2003 von Herrn Schröder war, sagt das mehr als 1.000 Worte. In den 2010er-Jahren haben sie davon noch profitiert, doch Angela Merkl hat nicht viel gemacht.“ Dabei wäre einiges zu investieren. „Es gibt eine alte Infrastruktur und eine überbürokratisierte und eher schwerfällige Wirtschaft. Und dann ist man noch so unklug, dass man die eigenen Stärkefelder wie die Autoindustrie oder den Maschinenbau massiv unter Druck gesetzt hat.“ Im Gegensatz zu Europa sieht Haindl-Grutsch China und die USA am Drücker. „Sie holen wieder Industrie ins Land, und das wirkt. Europäische Firmen investieren daher stärker in den USA, sie ziehen Wertschöpfung an.“

Ochsner
Selbst Green-Tech-Unternehmen wie Ochsner haben derzeit wenig Grund zur Freude.

„Wir haben ein Kostenthema“
Die aktuelle Stimmung in der Branche und in der Breite der Industrie ist deutlich angespannt. „Ich sehe in den kommenden zweieinhalb Monaten keine Konjunkturbelebung, frühestens im zweiten Halbjahr 2024, aber das wäre Kaffeesudleserei“, berichtet Fritz Pesendorfer und ergänzt: „Mein Optimismus ist erstmals seit 2008 wieder ein wenig relativiert.“ Für Joachim Haindl-Grutsch kommt die aktuelle Entwicklung nicht überraschend: „Die Zinserhöhungen haben schließlich im Sinn, dass sich die Konjunktur abkühlt, um die Inflation zum Sinken zu bringen.“ Dennoch sieht er einiges als hausgemacht an. „Gerade für die Mittelständler ist die Kostenthematik des Standorts Österreich entscheidend. Wir sind bei den Arbeits- und Energiekosten überdurchschnittlich teurer geworden und haben gleichzeitig die höchste Inflation in Westeuropa.“ Das lässt die Preise steigen und schade der Wettbewerbsfähigkeit. „Wir haben also ein Kostenthema. Mittelständler, hauptsächlich Familienbetriebe, die in Österreich ansässig sind und nicht auf der ganzen Welt verteilt, können nicht aus. Es trifft sie härter als Große, die durch ihre internationalen Standorte breiter aufgestellt sind.“ Davon kann auch Fritz Pesendorfer berichten: „IV-OÖ-Präsident Stefan Pierer hat vorgerechnet, dass er sich Österreich nur leisten kann, weil er auf andere Standorte zugreifen kann. In Österreich kostet ein Mitarbeiter im Schnitt 54.000 Euro, in Serbien 18.000 Euro und in Indien 4.000 Euro.“

54.000 Euro
Karl Ochnser
Karl Ochsner sieht zwar keinen Kaufkraftverlust, aber eine massive Verunsicherung bei den Konsumenten, die bei Investitionen wie eine Wärmepumpe abwarten.

Der Rückgang bei Anfragen für Wärmepumpen in Deutschland liegt derzeit bei 75 Prozent.

Karl Ochsner, Mehrheitseigentümer Ochsner Wärmepumpen

Unternehmerische Resilienz
Um wettbewerbsfähig zu bleiben und harte Zeiten durchzutauchen, braucht es für Pesendorfer „unternehmerische Resilienz“. Die INOCON zeigt das vor. „Wir haben in den letzten drei Jahren mittelständische Unternehmen übernommen, etwa von Christof Industries die Doubrava oder von MUT Stockerau die Fördertechnik, dazu eine Firma in Niederösterreich. Der Grund für diese Akquisitionen war auch das Personal. Sie können nun bei Projektierungen einspringen. Das macht uns flexibler.“ Pesendorfer hält Österreich die Treue. „Das liegt an der Verbindung zu den Mitarbeitern und an der langen Tradition des Standorts.“ Dennoch könnten vermehrt Mittelständler an größere Unternehmen verkaufen, doch Pesendorfer warnt: „Einige überlegen das. Doch es ist keine lohnende Zeit für Wertoptimierung.“

Drohen Übernahmen durch „Große“?
Auch Karl Ochsner, Mehrheitseigentümer von Ochsner Wärmepumpen, wird immer wieder mit solchen „Angeboten“ konfrontiert. „Ich bekomme monatlich ein bis zwei Übernahmeangebote, die wehre ich gleich ab. Die Familie Ochsner ist seit 150 Jahren ein Industrieunternehmen, wenn, dann übernehmen wir jemanden. Wir wurden 1872 von Karl Ochsner gegründet, da wird nicht 2023 Karl Ochsner verkaufen.“ Ochs- ner exportiert 80 Prozent seiner Produkte. Produkte, die aktuell so heiß diskutiert werden wie die Wärme, welche die umweltfreundliche Technologie produziert. Man müsste daher meinen, Ochsner hätte gerade viel Grund zur Freude. Hat er aber nicht, denn die Realität sieht anders aus. „Der Rück- gang bei Anfragen für Wärmepumpen in Deutschland liegt derzeit bei 75 Prozent.“ Wie das, wo doch Deutschland gerade mit dem Heizungsgesetz die Weichen klar in Richtung Wärmepumpe gestellt hat? „Der Markt für den Neubau in Deutschland ist komplett eingebrochen. Die Eigenkapitalrichtlinien in Österreich und Deutschland bei hoher Zinsbelastung haben ihn zum Erliegen gebracht. Ob bei diesem hohen Zinssatz die Beschränkungen noch notwendig sind, ist fraglich. Damit wird das Sanierungsgeschäft der wichtigste Markt und auch dieser Sektor steht aufgrund der schlechten Kommunikation der deutschen Bundesregierung still.“

18.000 Euro

Politik schafft Konsumenten-Verunsicherung
Der Streit um Förderungen innerhalb der Ampelregierung führte zu Verunsicherung, welche die Hersteller spüren. „2023 wird ein vernünftiges Jahr, wir werden gegenüber 2022 um 25 Prozent wachsen. Der Fokus liegt aber auf 2024 und da sehen wir in der gesamten Branche Auftragsrückgänge.“ Sollte sich das Thema der Förderthematik wieder beruhigen, sieht Ochsner möglicherweise im zweiten Quartal 2024 wieder Hoffnung. In Österreich sei die nicht begründet: „Das Erneuerbare-Wärme-Gesetz fehlt bei uns ja noch immer.“ Dennoch macht er sich mittelfristig keinerlei Sorgen. „Keine Energiewende ohne Wärmewende und keine Wärmewende ohne Wärmepumpe. Es bleibt eine Schlüsseltechnologie“, so der Unternehmer.

Heimische Green-Tech-Branche unter Druck
Der Zeitpunkt, jetzt in eine Wärmepumpe zu investieren, ist laut Ochsner daher ideal: „In Österreich gibt es super Förderungen, und es ist ganz klar, dass Öl und Gas der Vergangenheit angehören. Doch bei der schlechten Stimmung in Österreich kauft keiner, dabei hat sich von der Kaufkraft her in diesem Land null verändert. Die Leute sind dennoch vorsichtig und die Inflation treibt die schlechte Stimmung an.“ Doch es gibt auch Positives zu berichten. Lange Lieferzeiten wie noch vor einiger Zeit sind etwa passé. „Das hat sich verbessert. Die Lage hat sich entspannt und wir haben Kapazitäten erhöht“. Wenn die Konjunktur anspringt, ist Ochsner zwar gerüstet, sieht aber, dass dann auch die Lieferketten wieder anziehen. Dazu könnten weitere Zinsschritte der EZB für anhaltende Anspannung sorgen. Und auch die laufenden Lohnverhandlungen könnten die Lage verschärfen. „Wenn der Abschluss so hoch wie gefordert ist, kann das Arbeitsplätze kosten. Ich liebe Österreich, zahle hier meine Steuern, aber wenn wir über überhöhtes Gehalt und Arbeitszeitverkürzungen diskutieren und die Genehmigungen für neue Standorte weiter ewig dauern, werden sich einige überlegen, ob sie in diesem Land noch den nächsten Schritt setzen können.“ Nicht nur Wärmepumpen, die ganze heimische Green-Tech-Branche steht unter Druck, so Ochsner. „Wir sind da besonders gut, und jeder auf der Welt will in diese Branche rein, ob bei Bio masse oder in der Abfallwirtschaft usw. Wir dürfen da unsere starke Rolle nicht verlieren, indem wir unseren Standort unprofitabel gestalten.“

Metaller
Metallbauunternehmen trafen Energiekrise und hohe Lohnabschlüsse besonders hart.

Marktversagen bei Energiekosten
Christoph Neubacher, Geschäftsführer von Neubacher Metalltechnik, kann Karl Ochsners Sorgen und Ärger verstehen. Der Lohnfertiger im Metallbau und der mechanischen Fertigung arbeitet für große österreichische Weltmarktführer im Maschinenbau und der Lagertechnik. Die knapp 50 Mitarbeiter am Standort Traun sind aktuell gut ausgelastet. „Wir haben zusätzlich noch zwei Partnerbetriebe in Ungarn, die im Bereich Kesselfertigung für Biomasse tätig sind. Dieses Geschäft ist derzeit massiv rückläufig.“ Neubacher, die vierte Generation des Familienbetriebs, hat sich aber breit aufgestellt. „Auf mehreren Beinen fällt man nicht so leicht um.“ Dennoch sind KMU oft nur Passagiere, etwa wenn es um die Energiepreise geht. „Wir haben für Strom 5,47 Cent pro KWh gezahlt und dann hat sich der Preis schlagartig auf 43,2 Cent verachtfacht. Glücklicherweise haben wir schon vor drei Jahren in PV-Anlagen investiert. Unsere Firmendächer sind voll damit, das hilft uns, diese Preise etwas abzufedern.“ Noch härter kam es beim Gaspreis. „Der stieg von 2,17 Cent auf aktuell 21,75 Cent. Das sind Kosten die wir, wenn überhaupt, nur zu einem kleinen Teil an die Kunden weitergeben können. Die Mehrkosten müssen wir aus Rücklagen stemmen.“

Kommt 2024 eine„richtige Watsche“?
Neubacher sieht in puncto Energie ein massives Marktversagen. „Beim Strom hat unser Lieferant angeboten, uns 2024 Strom für 24,6 Cent zu liefern, wenn wir uns drei Jahre binden. Ich habe daraufhin verschiedene Energielieferanten kontaktiert, doch ich bekam nur Absagen.“ Der Energiekostenzuschuss (EKZ) hilft laut Neubacher nur wenig, und wenn, dann spät. „Beim EKZ 1 sind wir rausgefallen. Den EKZ 2 wollten wir im dritten Quartal beantragen. Am 29.9. bekamen wir die Information, dass eine Voranmeldung immer noch nicht möglich ist und um Geduld gebeten wird. Selbst bei positiver Entscheidung dauert es weitere sechs Monate, bis er ausbezahlt wird. Man muss also bis zu eineinhalb Jahre vorausfinanzieren. Das schaffen viele nicht, wenn sie nicht – so wie wir – vorgesorgt haben.“ Neubacher vermutet, dass im nächsten Jahr KMU eine „richtige Watsche kassieren“. „Die Coronakrise hat uns wirtschaftlich nicht getroffen, wir sind gut durchgekommen. Doch Betriebe, wie wir es sind könnte es nächstes Jahr so treffen wie 2008/2009, das war weitaus schlimmer.“

Christoph Neubacher
Christoph Neubacher von Neubacher Metalltechnik muss bis zu zehnfache Energiepreiserhöhungen stemmen.

In Österreich wird Arbeit durch hohe Steuern bestraft.

Christoph Neubacher, Geschäftsführer Neubacher Metalltechnik
Christoph Neubacher im Gespräch
Christoph Neubacher sieht Mehrleistung in Österreich steuerlich benachteiligt.

Wird Mehrarbeit bestraft?
Und dann gibt es noch bürokratische Hürden: „Nur ein kleines Beispiel: Wir schufen ein neues Bohrwerk an, das von der AWS finanziert werden sollte. Wir bekamen die Zusage über einen AWS- Kredit von rund einer Million Euro. Wir haben die Anlage gekauft und in Betrieb genommen. Trotz Zusage erreichte uns nach Abschluss des Projekts die Information, dass der ERP-Fonds aktuell über keine liquiden Mittel verfügt. Ohne guten finanziellen Background, samt verlässlicher Hausbank, hängt man in der Luft.“ Ein weiteres Thema sind die aktuellen KV-Verhandlungen. „Ich bin absolut dafür, dass unsere Mitarbeiter gut verdienen, und gönne es jedem. Wir zahlen jetzt schon weit über KV.“ Die Metallindustrie verfügt über den zweithöchsten KV, wie Neubacher anmerkt. „Höhere Löhne werden mit der Inflation begründet, doch das Problem ist, dass damit keine Kaufkraft erhöht wird, weil nur der Staat kassiert. Effektiv bleibt den Mitarbeitern wenig. Man müsste die Erhöhungen netto weitergeben dürfen.“ Ein Modell, das er ebenso bei den Überstunden gerne sehen würde. „Man gibt den Mehrverdienst netto weiter, dann bleibt unterm Strich jedem viel mehr. Doch in Österreich wird Arbeit durch hohe Steuern bestraft.“

Dem Standort Österreich verpflichtet
Neubacher will am Standort festhalten, wenngleich auch seinem Unternehmen Übernahmeangebote ins Haus flatterten. „Wir sind ein Familienbetrieb und dennoch bekamen wir zur Coronazeit mehrere Anfragen von Unternehmen und Investoren, die Interesse bekundeten.“ Neubachers Maschinenpark, das Know- how, die namhaften Kunden und vor allem die Mitarbeiter hätten Begehrlichkeiten geweckt. „Es wäre einfach und wirtschaftlich gesehen vernünftig, alles zu verkaufen oder zu vermieten. Jedoch hängt mein Herz an meinem Team und Oberösterreich. Ich bin unseren Mitarbeitern verpflichtet, von denen einige noch meinen Großvater kannten.“