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Arnold Schwarzenegger mit Zigarre im Whirlpool.
Der österreichische Selfmademan schlechthin ist Arnold Schwarzenegger.
Der österreichische Selfmademan schlechthin ist Arnold Schwarzenegger.
Netflix / Everett Collection / picturedesk.com

Selfmademen – ein zeitgemäßes Konzept?

19.07.2023 um 11:00, Jürgen Philipp
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Selfmademen/-women stehen für Leistung und Erfolg. Sie sind Symbole einer dahinterliegenden Ideologie. Doch ist diese Figur heute überhaupt noch zeitgemäß?

Benjamin Franklin erfand den Blitzableiter, den Harnkatheter oder die bifokale Brille. Und er ging als Gründervater und späterer Präsident der USA in die Geschichte ein. Franklin wurde so zum Stereotypen des Selfmademan. „Er hat es aus eigener Kraft geschafft und gab sogar Anleitungen, wie man sich verhalten muss, um Großes zu erreichen“, erzählt Jana Vijayakumaran. Vijayakumaran ist selbst eine Art akademische Selfmadewoman. Mit 15 schlug sie Literaturkritiker Hellmuth Karasek in der Spielshow „Klein gegen Groß“, indem sie mehr Fragen zu Goethes Faust beantworten konnte als der Professor. Mit 16 studierte sie bereits, mit 26 ist sie Professorin für vergleichende Literaturwissenschaften an der Universität Antwerpen. An der John Hopkins University in Baltimore schrieb sie das Buch „Der Selfmademan in der deutschsprachigen Erzählliteratur der Moderne“. Untertitel: „Zur Imaginationsgeschichte einer Schlüsselfigur“. 

Selfmade-POTUS

Die USA waren wohl der perfekte Ort, um dieses Buch zu schreiben, denn nirgendwo sonst ist der Selfmademan präsenter und nimmt fast staatstragenden Rang ein. Für Vijayakumaran hat das viel mit Selbstdarstellung zu tun, denn: „Wenn man betont, von unten zu kommen, führt das dazu, dass sich mehr mit der Person identifizieren. Man kennt die ­Probleme der unteren Schichten und kann sich für diese einsetzen.“ Auch Donald Trump gibt gerne den Macher: „Das zeigt, wie normativ dieses Bild geworden ist. Trump hat geerbt und kommt nicht von unten, aber das Bild ist in den USA fast schon Verpflichtung.“ 

Arnie: Selfmademan aus dem Bilderbuch

Auch hierzulande gibt es einige echte Selfmademen. Auf kaum einen trifft die Definition so zu wie auf Arnold Schwarzenegger. Er kam von ganz unten, verfolgte seinen Traum und schaffte es nach ganz oben. Und wäre das US-Gesetz nicht so rigide, vielleicht wäre er bereits ein Nachfolger Benjamin Franklins geworden. Auch die Biografien von Dietrich Mateschitz oder Frank Stronach erfüllen die Douglassschen Kriterien ebenso wie René Benko. Der wohl umstrittenste Unternehmer Österreichs nutzte zwar später seine Kontakte, die wurden ihm aber nicht in die Wiege gelegt. 

Oprah Winfrey bei einer Abschlussfeier
Selfmadewomen waren in der Definition nach Frederick Douglass nicht vorgesehen. Sie kamen erst später. Oprah Winfrey ist eine der bekanntesten Selfmadewomen.

Selfmademan vs. Homo oeconomicus

Doch hat diese kapitalistisch ­geprägte Symbolfigur heute eigentlich noch Bestand? „Der klassische Selfmademan hat schon um 1900 teilweise ausgedient“, erzählt Vijayakumaran und ergänzt: „Das Narrativ hat schon damals Gegenbewegungen hervorgebracht. Ich glaube, dass auch in unserer Gegenwart dieses Denken eine Gegenbewegung erfährt, gleichzeitig überträgt sich das Narrativ auf viele andere Bereiche, etwa in der Gesundheit. Man muss etwas tun, um fit zu bleiben.“ Dennoch ist er kein Homo oeconomicus: „Er hat etwas irrationales, geradezu obsessives. Der Homo oeconomicus strebt diese Optimierung auf rationalem Wege an.“

Eine desillusionierende Projektionsfläche?

Elon Musk etwa hat mit einem Homo oeconomicus nur wenig gemeinsam. „Figuren wie Musk sind Projektionsflächen. Diese Geschichten gehen zurück auf 1900. Dort wird vermittelt, dass alle, die es in hohe Positionen geschafft haben, sich das selbst erarbeitet haben: Krupp, Benz, Siemens. Das ist ein populäres Selbstdarstellungsmuster. Dass man keine Hilfe von außen erfahren hat, ist Teil dieses Beschreibungsmodells. Um 1900 war man deutlich optimistischer, dass man es nur durch Arbeit und Leistung und nicht durch Herkunft schaffen kann. In der heutigen Zeit gibt es eine Desillusionierung: „Kontakte, Erbschaft, Geschlecht oder Ethnie sind entscheidender und das zeigt die Grenzen der Aufstiegsmöglichkeiten auf, speziell bei Geschlechter­aspekten, nicht umsonst sind Selfmademen männlich kodiert.“

Komplexitätsreduzierendes Weltbild

Für die Literaturwissenschaftlerin ist das dahinterstehende Weltbild sehr komplexitätsreduzierend. „Vieles an dieser Ideologie, an dieser bestimmten Denklinie ist heutzutage obsolet geworden. Das meritokratische Weltbild besteht noch, aber man kann eben nicht alles selbst gestalten. Die Selfmademan-Ideologie desensibilisiert die Komplexität der Realität.“ Ausgedient hat es dennoch nicht. Mit dem Trend zur Selbstoptimierung hat sich das Konzept allerdings ein wenig verlagert, von der beruflichen Karriere zur höchstpersönlichen physischen und psychischen Optimierung.

Literaturwissenschaftlerin Jana Vijayakumaran
Literaturwissenschaftlerin Jana Vijayakumaran untersuchte das Konzept des Selfmademan in der Literatur. Ein Konzept, das bis heute wirkt.

„Selfmademen sind für alle Ideologien brauchbar“

Interview. Wie entstand und wie veränderte sich das Konzept des Selfmademan? Welche Bedeutung und welche Funktion hat es heute? Jana Vijayakumaran hat das mithilfe historischer Literatur untersucht.

CHEFINFO: Was sind die Kernelemente des Selfmademan-Konzepts?
Jana Vijayakumaran: Dahinter steckt eine Ideologie, die an eine bestimmte Welt und ein bestimmtes Menschenbild gekoppelt ist. Leistung und Arbeit entscheiden über den Status und in welche Position man gerät. Diese Weltsicht lässt sich historisch verfolgen. Sie hat sich um 1800 herausgebildet. Damals entstand der Gedanke, dass die Zukunft gestaltbar ist und nicht von der Herkunft abhängt. Um 1900 kam dazu, dass man selbst hart arbeiten und Leistung erbringen muss, um es nach oben zu schaffen. Je nachdem wie man sich in der Gegenwart anstrengt, wird sich das in der Zukunft auswirken. Diese Denkweise lässt sich bis in unsere heutige Zeit verfolgen. 
 

Der Selfmademan dient(e) als Projektionsfläche für anti- bzw. prokapitalistische, antiaristokratische oder antisemitische Ideologien.

Jana Vijayakumaran

Das Konzept gehört zum Selbstverständnis der USA (vom Tellerwäscher zum Millionär). In Europa scheint es nicht ganz so verbreitet. Warum? 
Vijayakumaran: Es wurde historisch gesehen so um 1900 herum auch in Deutschland populär. Das ­Interessante ist, dass es nicht unbedingt positiv gewertet wurde. Es gibt viele Romane, die Figuren beinhalten, die aus armen Verhältnissen Millionäre werden. Allerdings schwingt dabei oft Kapitalismus- und Amerikakritik mit. Die Texte stellen das Streben nach Reichtum und Aufstieg negativ dar, weil es scheinbar nur um Geld geht und dabei andere Dinge verloren gehen würden. In Deutschland spielten Bildung und Kultur damals eine größere Rolle als das Gewinnstreben. Der Selfmademan wurde hierzulande aber auch zur populären Figur, weil man durch sie viel Kritik üben kann. Um 1850 steckte noch viel antiaristokratisches Denken dahinter. Der Selfmademan repräsentiert die bürgerliche Schicht, die entschlossen ist, zu arbeiten, und damit den bürgerlichen Tugendhorizont erfüllt. Die Aristokratie hingegen erbt und bringt keine Leistung. Das Streben nach Aufstieg wurde aber auch als typisch für die jüdische Mentalität gesehen und hat den Antisemitismus geschürt. Es ist eine Verdichtungsfläche von Kritikpunkten und Beschreibungsmustern. Diese wandeln sich in den 1920er- und 1930er-Jahren. Nun ist der Selfmademan plötzlich der Held. Er steht für Leistung und Tüchtigkeit. Damit wird er zum Repräsentanten einer Bewegung, die fast schon in eine faschistoide Richtung geht. Wer es nicht schafft und wer arm bleibt, ist selber schuld. Das Aufstiegsdenken vollzieht damit eine Kehrtwende. Es wurde fast zur Pflicht, seine Kraft zu mobilisieren. 

Welche Funktion hat das Konzept aus Ihrer Sicht heutzutage?
Vijayakumaran: Das Konzept ist für alle Ideologien brauchbar und eignet sich daher als komplexes Beschreibungsmuster. Der Selfmademan dient(e) als Projektionsfläche für anti- bzw. prokapitalistische, antiaristokratische oder antisemitische Ideologien. Die unterschiedlichen Kontexte sind das Faszinierende an diesem Narrativ. Schon um 1900 gab es viele Ratgeber, die Anleitungen vom Tellerwäscher zum Millionär beinhalteten. Das Konzept wurde zu einer „subjektiven Norm“, hinter der immer ein Imperativ steht: „Verlasse dich nicht auf deine Herkunft!“, „Es zählen nur Leistung und Arbeit!“. Das provoziert auch Gegenbewegungen. Gerade heutzutage nimmt der Glaube, es selbst schaffen zu können, stark ab.