Science-Fiction für Unternehmen
Zahlreiche spannende Produktprototypen des 21. Jahrhunderts wurden nicht im Silicon Valley von einem Tech-Startup erdacht, sondern erschienen bereits vor einem halben Jahrhundert auf den Seiten eines Pulp-Fiction-Magazins. Der Autor der 1956 veröffentlichten Kurzgeschichte „Minority Report“ war Philip K. Dick. Er beschreibt darin die Probleme eines Polizeichefs in einer Zukunft, die von vorausschauenden Computern, mit Maschinen verkabelten Menschen und bildschirmbasierter Videokommunikation geprägt ist. Dicks Werk inspirierte eine ganze Generation von Wissenschaftlern und Ingenieuren, über diese Art von Zukunft nachzudenken. Regisseur Steven Spielberg machte 2002 aus der Science-Fiction-Story einen Kinohit und ließ im Vorfeld 15 namhafte Forscher erheben, welche Technologien unsere Zukunft bis zum Jahr 2054 prägen könnten. Zu sehen waren Multitouchscreens, Gestensteuerung, biometrische Retinascanner, autonom fahrende Autos, personalisierte Werbung oder Insektenroboter. Hundert Patente gingen daraus hervor und Innovationen wie iPhone, Touchscreen-Tablets oder die Wii von Nintendo wurden zu Synonymen für Unternehmen, welche die Zukunft prägen.
Realistische Science-Fiction
„Einige Zukunftstechnologien in dem Film sind heute nicht mehr Science-Fiction, sondern bereits Vergangenheit, die Gesichtserkennung zum Beispiel“, sagt Ari Popper, Gründer und CEO von SciFutures, einer Beratungsfirma mit Sitz in Kalifornien, die sich mit Zukunft und Innovation beschäftigt. „Oft haben mir Wissenschaftler und Ingenieure erzählt, dass sie NASA-Mitarbeiter wurden, weil sie dieser oder jener Science-Fiction-Streifen inspiriert hat. Sie wollen Roboter, Raumschiffe oder Hologramm-Kommunikation entwickeln – und das ist es, wie Science-Fiction funktioniert.“ Als wir mit Ari Popper über Zoom sprechen, sitzt er gerade in Mexiko in einem Hotel. Der nach Eigendefinition „digitale Nomade“ berät große Unternehmen wie Coca-Cola, Visa, Ford oder auch das Verteidigungsbündnis NATO und sprach von 10. bis 14. Mai auch in Linz vor Publikum am Zukunftskongress „Sharing Desired Futures“. Im Unterschied zu Filmen betreibt Popper „realistische Science-Fiction“. In der Zusammenarbeit mit großen Unternehmen brauche es eine Balance zwischen „zu fantastisch“ und „zu nah an der Realität“ – das sei immer ein schwieriges Abwägen.
Die Richtung stimmt
Große Unternehmen finden es schwierig, einen sinnvollen und disruptiven Wandel herbeizuführen, weil die Zukunft mehrdeutig und komplex ist. Dabei geht es auch darum, als Vorstand oder als Geschäftsführer für die Zukunft gewappnet zu sein. „Was Science-Fiction schafft, ist uns eine mentale Landkarte, ein gedankliches Modell darüber zu geben, wie die Zukunft sein könnte“, sagt Popper. Science-Fiction kann sehr negativ sein wie „Terminator“, wo Maschinen die Welt zerstören, und sie kann auch ein sehr positives Bild vermitteln. „Große Organisationen brauchen eine Vision, die inspirierend und hoffnungsvoll ist. Aber auch realistisch. Damit meine ich auf Fakten basiert, mit neuen Technologien und Trends, die rund um uns passieren. Wenn du einen großen Truck fährst und das Ziel nicht kennst, wie willst dort ankommen? Science-Fiction liefert uns ein mögliches Ziel. Das heißt nicht, dass du dieses Ziel erreichen wirst, aber zumindest fährst du in diese Richtung. Und das hat mehr verändernde Einflüsse, als wenn man orientierungslos dahinstolpert“, sagt Popper.
CEOs ohne Zukunftsvision
Laut Popper geht es darum, mit Narrativen Modelle zu schaffen, die eine emotionale Verbindung mit der möglichen Zukunft herstellen. Eine Vision, mit der das Unternehmen leben kann und sagt: Das ist die Zukunft, wie wir uns sie vorstellen. „Wenn man das hat, kann man von dort aus rückwärts arbeiten, um Initiativen für eine transformativere Zukunft zu ergreifen. Die Alternative ist, im Dunkeln zu tappen und ein bisschen an diesem und an jenem zu arbeiten. Das passiert nicht selten in großen Organisationen, wo die linke Hand nicht weiß, was die rechte tut. Die Folge ist ein komplettes Durcheinander.“ Der CEO müsse die Richtung vorgeben und sagen: Das ist die Zukunft, an der wir arbeiten. Wer das laut Popper sehr gut macht, ist Elon Musk mit seiner Zukunftsvorstellung, mit neuen Antriebstechnologien und Autos die Welt zu retten, bis zur Vision, Menschen auf den Mars zu bringen.
Science-Fiction-Prototyp
Ein Artefakt der Zukunft, das von der Gegenwart geprägt ist, nennt Popper einen Science-Fiction-Prototyp. Er nennt ein Beispiel von der Zusammenarbeit mit der US-Heimwerkerkette Lowe’s Home Improvement. „Wir ließen uns vom Holodeck in Star Treck inspirieren. Und bauten ihnen so etwas wie einen Holoraum, in den du reinspazieren kannst und über Augmented Reality dein Badezimmer gestalten kannst. Und es hat funktioniert.“ Was diese Artefakte tun, ist, die Fantasie der Menschen anzuregen. Sie wecken ein Gefühl der Überraschung und ein gutes Gespräch darüber, was es bedeutet, wie die Zukunft aussehen könnte. Der Austausch untereinander sei der allerwichtigste Teil. Popper sieht sich nicht als Zukunftsforscher, im Gegenteil: „Wir wollen nicht die Zukunft vorhersagen, wir wollen die Gegenwart verändern. Ich bin auch kein großer Freund von Szenario-Planning. Ich halte das für Zeitverschwendung. Der beste Weg, die Zukunft vorherzusagen, ist, sie zu selbst zu gestalten.“