Postpandemische Pleitewelle
Vom antarktischen Eisschild lösen sich ständig große Eismassen und verursachen beim Fall ins Wasser Minitsunamis. Für die österreichische Wirtschaft war die Signa wohl ein solcher Eisberg. Das Imperium von René Benko bröckelte und stürzte in das Insolvenzmeer. Bei den unzähligen Einzelfirmen, die nacheinander zahlungsunfähig wurden, kann man wohl zumindest intern von einer Insolvenzwelle sprechen. Für ganz Österreich einen Pleitensturm heraufzubeschwören wäre aber vermutlich zu pessimistisch.
Die Signa ging baden
Vergangenes Jahr zog der Pleitegeier seine Kreise über Österreich. Vor allem große Unternehmen trieben die Passiva auf ein Rekordhoch. Neben Signa erwischte es den Möbelhändler kika/Leiner, den Zweiradhändler KSR und in Oberösterreich die Sport-2000-Genossenschaft Zentrasport Österreich. Insgesamt stiegen die vorläufigen Passiva vergangenes Jahr dadurch um unglaubliche 286 Prozent auf rund 8,5 Mrd. Euro. Auch ohne Signa würden die Passiva mit 3,26 Mrd. Euro um rund 50 Prozent über dem Niveau 2022 liegen. Rund 5.400 Unternehmen schlitterten österreichweit in die Insolvenz. In Oberösterreich meldeten 573 Betriebe Insolvenz an, ein Plus von 9,3 Prozent im Vergleich zu 2022. Besonders betroffen waren hierzulande der Handel mit 117, die Bauwirtschaft mit 94 und die Gastronomie mit 86 Insolvenzen.
Am Scheitelpunkt der Welle
Dass der Höhepunkt noch nicht erreicht wurde, davon gehen Experten aus. Petra Wögerbauer, Regionalleiterin Nord beim Kreditschutzverband von 1870, erwartet für 2024 einen ähnlich hohen Anstieg der Unternehmensinsolvenzen wie vergangenes Jahr. In gewissen Branchen gibt es hier immer noch Nachholeffekte aus Pandemiezeiten, meint Wögerbauer: „Speziell in der Gastronomie wurden Coronaförderungen massiv genutzt und vor allem kleinere Betriebe konnten sich mit Fördermitteln gut über Wasser halten.“ Der Wegfall dieser Förderungen, aber auch Kostensteigerungen und ein verändertes Konsumverhalten würde man derzeit häufig in den Insolvenzanträgen lesen. Michael Haiböck, Rechtsanwalt bei Haslinger / Nagele Rechtsanwälte, ist vorsichtig mit seiner Prognose: „In den letzten Jahren sind so viele unvorhersehbare Dinge passiert, dass es jederzeit zu Veränderungen des Insolvenzgeschehens kommen kann.“ Derzeit sind laut Haiböck vor allem die internen Kosten für viele Unternehmen eine große Belastung: „Mitarbeiterkosten sind aufgrund der Inflation massiv gestiegen und auch Energie ist teurer geworden. Zudem laufen die in Zeiten der Pandemie gewährten Stundungen aus.“
Europäische Gewitterwolken
Bei einem sind sich Experten einig: Österreich hat ein vergleichsweise gutes Insolvenzrecht. Kurze Verfahrensdauer und hohe Quoten kann man sich hierzulande an die Fahne heften. Kritisch wird daher auch die geplante Harmonisierung des Insolvenzrechts durch die EU-Kommission gesehen. Ein zentraler Punkt ist die Definition von Kleinstunternehmen, die sich quasi in Eigenregie ohne Insolvenzverwalter entschulden können sollen: maximal zehn Mitarbeiter, zwei Millionen Euro Umsatz bzw. zwei Millionen Euro Bilanzsumme. Die österreichische Wirtschaft ist jedoch relativ klein strukturiert. Der KSV hat vorgerechnet, dass mit der angestrebten Definition rund 90 Prozent der Insolvenzverfahren Sonderverfahren für Kleinstunternehmer wären. Das geplante verwalterlose Verfahren könnte besonders für die Gläubiger Nachteile bergen. „Es ist auch bei kleineren Insolvenzen oftmals sinnvoll, dass ein Masseverwalter bestellt wird“, sagt Haiböck. Gerade ob Anfechtungs- und Haftungsansprüche von unvertretenen Schuldnern aufgedeckt werden, ist laut dem Rechtsanwalt zweifelhaft: „Bei kleinen GmbHs sind Anfechtungsansprüche und Geschäftsführerhaftung wegen Isolvenzverschleppung oftmals die wesentlichen Assets der Masse. Nur, welcher Geschäftsführer würde sich selbst zur Haftung heranziehen? Man würde durch diese Regelung dem Missbrauch wohl Tür und Tor öffnen.“
Ertrinkt die Bauwirtschaft?
„Die Baubranche wird aus Sicht des KSV1870 immer mehr zum Sorgenkind“, sagt Wögerbauer. Die Branche kämpft tatsächlich sehr. Viele Jahre konnte man auf eine hervorragende Auftragslage blicken und Bauunternehmen wuchsen beständig. Vor allem der Einfamilienhaussektor ist zuletzt aber stark eingebrochen. Rückgänge in den Auftragsbüchern von 70 bis 80 Prozent haben Unternehmen zu beklagen, die sich auf den Bau von Einfamilienhäusern konzentrieren, so Norbert Hartl, Landesinnungsmeister Bau Oberösterreich, auf einer Pressekonferenz. „Es wird bei denen Insolvenzen geben, wo die Firmen es nicht geschafft haben, sich in den guten Jahren zu wappnen“, meint er dazu. Er geht von etlichen Insolvenzen quer durch die Branche aus. Derzeit stagniert die Nachfrage aufgrund hoher Zinsen und verschärfter Rahmenbedingungen in der Kreditvergabe. „Endverbrauchern fehlen Finanzierungsmöglichkeiten“, bringt es Wögerbauer auf den Punkt. Die Baubranche fordert deshalb weiterhin vehement eine Abschwächung der sogenannten KIM-Verordnung, die im Regelfall einen Eigenmitteleinsatz von 20 Prozent verlangt. Finanzminister Magnus Brunner kann sich zumindest vorstellen, Kreditzinsen beim ersten Eigenheimkauf steuerlich absetzbar zu machen.
Nach der Flut
Die Insolvenzen bergen allerdings auch einen Nutzen für heimische Betriebe. Durch Hilfspakete der Regierung wurde das Leid einiger unterkapitalisierter Unternehmen künstlich verlängert. Beispielsweise bei den Steuern: Sie sind für Unternehmen immer ein großer Verbindlichkeitsposten. „Das Finanzamt und andere Abgabengläubiger haben wegen Corona unverzinste Stundungen gewährt“, erzählt Haiböck, „das führte dazu, dass insolvenzreife Unternehmen weiterbestehen konnten.“ Gesunde Unternehmen haben dadurch Konkurrenz von solchen, die es am Markt eigentlich nicht mehr geben sollte. Förderungen nahmen außerdem den Wettbewerbsdruck von den Schultern der Unternehmen. „Jetzt laufen Umsatzersatz, Stundungen und dergleichen aus und Insolvenzen werden nun aufgeholt“, so Haiböck. Außerdem halten diese „kränkelnden“ Unternehmen Arbeitskräfte. „Durch Insolvenzen dieser nicht langfristig lebensfähigen Unternehmen werden Mitarbeiter dann frei für den allgemeinen Arbeitsmarkt“, so Wögerbauer. Der Arbeitskräftemangel, der auch Oberösterreich nun schon so lange plagt, wird durch Firmenpleiten gedämpft. Trotz hoher Insolvenzzahlen kann angenommen werden, dass es sich um eine Normalisierung der Insolvenzen nach der Pandemie handelt. „Der erwartete Aufholeffekt rückständiger Insolvenzen ist geringer ausgefallen als anfangs erwartet“, meint Haiböck, „die Welle ist zumindest weniger schlagartig gekommen.“ Und auch Wögerbauer sieht es ähnlich: „Der Insolvenz-Tsunami, den manche erwartet haben, ist nicht gekommen. Durch staatliche Förderungen wurde dieser abgefedert, aber jetzt gleicht es sich an das Normalniveau an.“ Für die Zukunft würde sich der KSV aber ein gezielteres Fördermodell wünschen, welches nur solche Unternehmen zum Ziel hat, die eine wahre Zukunftsperspektive haben. Dabei verweist man auf eine interne KSV-Mitgliederbefragung, bei der ein Drittel der Befragten meinte, man hätte auch ohne erhaltene Förderungen die Krise bewältigen können. Die berüchtigte Förderungsgießkanne hat letztlich anscheinend keinen Insolvenz-Tsunami verursacht. Die Wellen, die nun marode Unternehmen davonspülen, hätte man aber vielleicht dennoch kleiner halten können.