Kompetenz Neurodiversität
Düstere Prophezeiungen kommen dieser Tage von Goldman Sachs: 300 Millionen Arbeitsplätze seien weltweit durch KI in Gefahr. Doch Branchenexperten beruhigen. „Im Kontext der künstlichen Intelligenz hört man oft die Befürchtung, dass Menschen durch diese ersetzt werden könnten“, sagt Lukas Fischer, Research Manager Data Science am SCCH und Vorstand bei Responsible Annotation, „jedoch wird dabei übersehen, dass es ein beträchtliches Potenzial zur Schaffung neuer Arbeitsplätze gibt.“ Eine Gruppe, die diese Chance nutzen könnte, sind 80.000 Österreicher im Autismus-Spektrum. Rund jeder Dritte von ihnen hat das sogenannte Asperger-Syndrom. Obwohl Personen dieser Gruppe häufig spezielle Fähigkeiten haben, finden 80 Prozent keinen Job. Doch nun eröffnet eben die vermeintlich stellenvernichtende KI eine Chance, von der IT-Unternehmen und neurodiverse Menschen gleichermaßen profitieren können. Ein österreichischer Verein erleichtert den Prozess.
Intelligenz-Training
Ein wesentlicher Teil in der Entwicklung von KI-Anwendungen ist das „Trainieren“ des Programms. Dazu dient die „Annotation“, bei der Informationen zu Daten hinzugefügt werden, auf die wiederum die KI in zukünftigen Fällen zurückgreift. Markus Wurm, Expert to CEO bei Kapsch TrafficCom und Vorstand bei Responsible Annotation, erklärt den technischen Prozess des Trainings der KI in einfachen Worten: „Es ist, wie wenn man einem kleinen Kind etwas beibringt. Immer Beispiele zeigen: gut gemacht und schlecht gemacht.“ Die Annotierungstätigkeit ist anspruchsvoll, zeitintensiv und repetitiv. Bisher wurde diese Arbeitslast auf Billiglohnländer abgewälzt. Ethische Grundsätze wurden häufig ignoriert und die Qualität litt darunter. In Kenia hat ein Annotierungsteam, das für ChatGPT tätig war, von erschreckend niedrigen Löhnen berichtet. Einen bis zwei US-Dollar verdienten die Angestellten in der Stunde, obwohl sie verstörende Inhalte betrachten mussten, damit die KI keine gefährlichen Themen aus dem Internet aufschnappt. Vor einigen Monaten formierte sich ein Verein in Österreich namens Responsible Annotation, der an dieser Problematik ansetzen möchte.
Erfolgreiches Pilotprojekt
Autisten haben sich bereits in einem Pilotprojekt bei Kapsch als hervorragende Annotierer herausgestellt. Mehrere Personen mit Beeinträchtigungen wurden vom Mautsystemhersteller eingestellt, um die aufwendige Arbeit, die ein Auge fürs Detail verlangt, zu erledigen. Auf die Bedürfnisse der Mitarbeiter wurde bewusst eingegangen. So wird von Angestellten mit Autismus minimale Ablenkung bevorzugt. Manche meiden soziale Zusammenkünfte wie Weihnachts- oder Geburtstagsfeiern, auf ihre Anwesenheit wird dort nicht bestanden. Die Annotierer werden nach dem IT- Kollektivvertrag bezahlt und erhalten damit im Gegensatz zu Billigarbeitskräften in fernen Ländern einen fairen Lohn. Die höheren Kosten für Unternehmen rechtfertigen sich durch die Qualität. Bei Offshore-Unternehmen sind die Daten häufig nicht brauchbar. Ursprünglich hätte es bei dem Pilotprojekt gelegentlich auch Gegenwind gegeben, erzählt Markus Wurm. Mittlerweile schätzt jeder die neuen Kollegen, die einen wichtigen Beitrag leisten.
Wie Unternehmen profitieren
Der große Erfolg der Kapsch soll für andere replizierbar werden. Die Einsatzmöglichkeiten von KI sind scheinbar grenzenlos. Wurm weiß: „Jeder, der künstliche Intelligenz schaffen will, braucht diese
Tätigkeit.“ Auch in Österreich gibt es zahlreiche Unternehmen, die an Machine Learning arbeiten und Annotation benötigen. Wurm erklärt, wie Responsible Annotation Unternehmern helfen kann: „Die Manager können sich auf die Inhalte konzentrieren. Wir helfen, ein Team aufzubauen, welches gut für die individuellen Erfordernisse gerüstet ist.“ Vor allem für größere Unternehmen ist das Angebot derzeit attraktiv. Für die Zukunft ist geplant, kleineren Unternehmen Dienstleistungen anzubieten. Martin Hartl, Vorstand von Responsible Annotation, fasst das Vereinsziel zusammen: „Wir haben es geschafft, bei Kapsch ein inklusives Annotationsteam zu etablieren, das wirtschaftlich ist und sehr gute Qualität liefert. Wäre doch schön, wenn wir das in anderen Firmen auch umsetzen können.“