Die Senioren-Republik
Anfang der 1990er-Jahre wirkte die Zweite Republik noch jung. Herr und Frau Österreicher waren im Schnitt 39 Jahre alt und die im Wirtschaftswunder geborenen Babyboomer dominierten den Arbeitsmarkt. Die zu finanzierenden Pensionen waren überschaubar, weil die Kriegsjahre deutliche Lücken in den Reihen der Älteren gerissen haben. 30 Jahre später verabschieden sich die Boomer in die Pension. Das Durchschnittsalter liegt heute bei 43,2 Jahren und Österreich ist auf dem Weg zur Seniorenrepublik. Ohne Zuwanderung hätten wir diesen Status schon erreicht. Eine Entwicklung, die Fragen aufwirft: Wer füllt die Lücken am Arbeitsmarkt, in den Supermärkten und in der Gastronomie oder in den Krankenhäusern? Wer betreut die Alten, wenn fast die Hälfte der Erwerbstäigen in Österreich Teilzeit arbeitet und die Boomer in Rente sind. Wenn weniger Leute in das Pensionssystem einzahlen und die Bevölkerung weiter altert, wie sicher sind dann künftig noch die Pensionen?
Wo die größten Gefahren lauern
Fragen, denen Erhard Prugger in seinem Buch „Sozialfall Sozialstaat“ nachgeht und versucht, praktikable Antworten zu geben sowie „Glaubensätze“ rund um den Sozialstaat wie „die Pensionen sind sicher“ zu entmythologisieren. „Die unumkehrbare demografische Entwicklung ist dabei die am lautesten tickende Zeitbombe für den Sozialstaat“, sagt der Leiter der Abteilung Sozialpolitik in der Wirtschaftskammer Oberösterreich. Dabei möchte der 1961 Geborene, und damit selbst Teil der Babyboomer-Generation, den Sozialstaat österreichischer Prägung keineswegs schlechtreden, er müsse nur vernünftig dimensioniert und zukunftsfähig gemacht werden. Sollte das nicht passieren, sieht Prugger ein echtes Gefährdungspotenzial für die nächste Generation: „Am meisten kracht es derzeit beim Arbeitskräftemangel und bei den Pensionen.“ Lösungen hat der studierte Jurist nicht parat, „es gibt nur Linderungen des Problems“. Denn alle großen Herausforderungen des Sozialstaats hängen mit der Überalterung der Gesellschaft zusammen. Ungesteuerte Zuwanderung aus Drittstaaten verschärft die Lage nur noch. Hilfe von anderen EU-Staaten ist nicht zu erwarten, weil diese mit denselben Problemen zu kämpfen haben.
Die westliche Welt altert
2019 gab es erstmals mehr über 65-Jährige auf der Welt als unter Fünfjährige. Bis 2030 wird sich die Zahl der Rentner weltweit verdoppeln. Fast alle Industriestaaten befinden sich seit Jahrzehnten im demografischen Niedergang und sie sind dabei, massenhaft zu überaltern. Allen voran Japan. Der Inselstaat kämpft seit Langem mit der Frage, wie er für seine alternde Bevölkerung sorgen soll. Japan hat nach Angaben der Vereinten Nationen die älteste Bevölkerung der Welt. Nationale Daten zeigen, dass einer von zehn Bürgern inzwischen älter als 80 Jahre ist. 29,1 Prozent der 125 Millionen Einwohner sind über 65 Jahre alt – ein Rekord. Bis 2040 steigt dieser Wert auf 34 Prozent. Japan befindet sich dabei in guter Gesellschaft mit China, Korea, Thailand, Deutschland, Italien – und Österreich. Seit dem Jahr 2022 wurden hierzulande erstmals mehr über 64-Jährige als unter 20-Jährige gezählt. Wien hat heute mehr über 100-Jährige als vor 20 Jahren und 2035 wird bereits jeder dritte Österreicher Pensionist sein. Das werde das Kräfteverhältnis in der Gesellschaft weiter zulasten der Jungen verändern, glaubt Prugger. Die großen Verlierer werden dann die heute unter 40-Jährigen sein: Sie zahlen viel ein und werden wenig herausbekommen. „Das wird unweigerlich zu sozialen Spannungen führen. Zudem laufen wir Gefahr, an die nächste Generation ein finanziell ausgeblutetes Land mit einer horrenden Staatsverschuldung zu übergeben.“
Viele hausgemachte Probleme
Doch Prugger weist darauf hin, dass vieles auch hausgemacht ist. So hat sich das aktuelle faktische Pensionsantrittsalter trotz einer wesentlich höheren Lebenserwartung praktisch nicht verändert. Vor Wahlen würden regelmäßig „Pensionsfüllhörner“ geöffnet. Beispiel: Die 2019 eingeführte „Hacklerregelung“, die Langzeitversicherten einen abschlagsfreien Pensionsantritt ermöglichte. Profitiert haben davon vor allem Männer und Beamte. Vor Kurzem hat die Regierung den Pensionisten die volle Abgeltung der Teuerung zugesichert – ein Plus von 9,7 Prozent. Für ein Prozent Pensionserhöhung muss der Staat rund 600 Millionen Euro zuschießen. Dieses Geld muss am Kapitalmarkt aufgenommen werden und belastet das Budget für Jahre. Ein Viertel des Budgets wird inzwischen im Pensionsloch versenkt, 25 Milliarden Euro. Das ist das Fünffache der Dotierung der Hochschulen. Es braucht einen neuen Generationenvertrag und eine Belohnung aller, die länger arbeiten. 2040 müssten wir der Lebenserwartung entsprechend bis 71 Jahre arbeiten, rechnete die EU-Kommission Österreich vor. Die Dänen sind diesen Weg bereits 2011 gegangen.