Die Revolutionen sind ausgeblieben
Wie hat sich der Arbeitsmarkt in den letzten 50 Jahren verändert? Dieser Frage ging Alois Markschläger, Jahrgang 1949, nach – und blickt dabei auch auf ein langes Arbeitsleben zurück: 1973 schloss er sein Studium der Betriebswirtschaft an der Johannes Kepler Universität ab und trat seinen ersten Job an. Er arbeitete als Uni-Assistent und als kaufmännischer Leiter in der Industrie. Seit 1980 ist er selbstständiger Unternehmensberater und Organisations- entwickler. „Auch wenn vieles anders geworden ist, die großen Revolutionen sind ausgeblieben“, resümiert Markschläger.
Frauen und Ausländer sichern Wohlstand
Für CHEFINFO sah er sich auch die Veränderung der Bevölkerungsstruktur anhand der Daten von 1974 und 2022 an. Demnach ist die Zahl der Erwerbstätigen um etwa 1,4 Millionen gestiegen – ein Plus von 44 Prozent. Die Gründe dafür sind in der erhöhten Beschäftigung von Frauen und im Bevölkerungs- wachstum zu suchen, das überwiegend durch Zuwanderung geprägt war. Gleichzeitig veränderte sich die Anzahl der nicht Erwerbstätigen nur geringfügig. 1974 entfielen auf einen Erwerbstätigen 1,44 nicht Erwerbstätige, 2022 lag diese Zahl in etwa bei einer Person. „Unser Wohlstand stieg durch die Erhöhung der Beschäftigten, da die Zahl der zu Versorgenden in etwa gleich geblieben ist“, so Markschläger.
Am Arbeitsmarkt vorbeigebildet
Für das Paradoxon steigender Arbeitslosigkeit, die heute etwa fünfmal höher ist als 1974, und eines historischen Arbeitskräftemangels sieht Markschläger unterschiedliche Ursachen: Die Höhe der Arbeitslosenunterstützung, die zu lasche Bekämpfung der Schwarzarbeit, eine nachlassende Arbeitsmoral sowie die höhere Sicherheit in der Familie, weil nicht mehr nur einer etwas zum Familieneinkommen beiträgt. Zu den geschätzten 50.000 Maturanten und Akademikern, die möglicherweise am Arbeitsmarkt „vorbeigebildet“ wurden, gesellen sich rund 140.000 Arbeitslose ohne Berufsausbildung. Für eine erhöhte Personalnachfrage sorgen auch die Pflegeberufe und verkürzte Arbeitszeiten.
System an der Kippe
Die jährliche Arbeitszeit pro Beschäftigten ist in den letzten 50 Jahren um etwa 25 Prozent gesunken. Die gute wirtschaftliche Entwicklung der letzten 50 Jahre habe es aber erlaubt, einen realen Lohnzuwachs von geschätzten 50 Prozent zu erzielen. Die Kosten pro Arbeitsstunde haben sich damit inflationsbereinigt in etwa verdoppelt. „Wir arbeiten heute um 25 Prozent weniger, verdienen dafür um 50 Prozent mehr“, fasst es Markschläger zusammen. Das hat seinen Preis: Durch die Verteuerung der Arbeitszeit wurden die Rationalisierung, die Mechanisierung und die Digitalisierung vorangetrieben. Um wettbewerbsfähig zu bleiben, wurden teure Mitarbeiter ersetzt. Die Rationalisierung war lange eine Win-win-Situation. Markschläger: „Ob dies mittelfristig gehalten werden kann, erscheint mir nicht gesichert. Die strukturelle Arbeitslosigkeit birgt die Gefahr, dass das System kippen könnte. Eine Trendumkehr lässt sich kaum erkennen.“
Wert der Arbeit ist anders
Einer Beschäftigung nachzugehen hat heute eine andere Bedeutung als vor 50 Jahren. Arbeitsplatzsicherheit hatte einen hohen Stellenwert. Zusätzlich hat sich der soziale Status eines Arbeitslosen verändert, wodurch auch Ängste weggefallen sind. Eine soziale Ächtung wie vor 50 Jahren ist nur noch selten bemerk- bar. Mit der Abnahme des Sicherheitsaspekts hat sich auch die Bindung an den Arbeitsplatz verändert. Die längere Betriebszugehörigkeit bedeutete früher eine Sicherung des Arbeitsplatzes. Heute trennen sich Mitarbeiter leichter von ihrem bisherigen Job, auch weil mit einem Wechsel in der Regel die Verdienstchancen steigen.
Was Mitarbeiter motiviert – damals und heute
Laut Markschläger sei die Basis der Einsatzbereitschaft bei Mitarbeitern zwar gleich ausgeprägt wie damals, „vor 50 Jahren gab es aber Verstärker dieser Einsatzbereitschaft, die heute für weite Teile der Mitarbeiter nicht mehr eine hohe Bedeutung haben.“ Durch die generell gestiegenen Einkommen bei beiden Partnern ist kein extremer Arbeitseinsatz mehr nötig, die Statusunterschiede sind geringer geworden – ein neues Auto sei heute keine Sensation mehr. „Ein Großteil der Bevölkerung konnte sich in der Nachkriegszeit nur durch erhöhten Arbeitseinsatz ein Vermögen schaffen. Heute wird dies teilweise durch Erben erledigt.“ Der Druck auf die „Erbengeneration“ ist daher niedriger. Dafür ist die Sinnhaftigkeit der Tätigkeit heute ein wichtiger Faktor für die Motivation.
Andere Führungs- und Unternehmenskultur
Das Führungsverhalten hat sich laut Markschläger in den letzten 50 Jahren gravierend verändert. Die Demokratisierung, die wir in allen Lebensbereichen erlebt haben, hat auch vor Unternehmen nicht haltgemacht. Zwischen Arbeitnehmer- und Arbeitgebervertretern sei aus einem Gegeneinander ein Nebeneinander, teilweise ein Miteinander, aber noch kaum ein Füreinander entstanden. Gier und der gegenseitige Neid verhindern eine wirkliche Win-win-Situation. Erste Schritte zu einem stärkeren Miteinander und zu einem Füreinander sind laut Markschläger an Erfolgsbeteiligungen für die Belegschaft erkennbar. „Leider hat sich der erste revolutionierende Ansatz zu einem Füreinander von Arbeitgebern und Arbeitnehmern, der zu Beginn der Siebzigerjahre von Karl Leitl in seinem Betrieb initiiert wurde – eine echte Mitarbeiterbeteiligung –, bis heute nicht durchgesetzt oder weiter- entwickelt. Hier liegen noch viele Chancen vor uns.“