CO2 wie vom Erdboden verschluckt
Feuerinfernos verschlingen Mittelmeerinseln und vernichten die Lebensgrundlage der Bevölkerung. Das Sturmtief Daniel schwemmt die Existenzen zahlreicher Menschen hinfort und forderte allein in Libyen über 10.000 Tote. Laut EU-Klimawandeldienst Copernicus war der diesjährige Sommer der heißeste seit Beginn der Aufzeichnungen im Jahr 1940. Und Copernicus-Vizedirektorin Samantha Burgess warnt: „Wir werden weiterhin Klimarekorde sowie intensivere und häufigere extreme Wettereignisse sehen, die sich auf Gesellschaft und Ökosysteme auswirken, bis wir aufhören, Treibhausgase auszustoßen.“ Hier liegt also der Hund begraben: Treibhausgase – und davon vor allem Kohlendioxid – verhindern die Abgabe von Wärmestrahlung ins Weltall. Doch was, wenn man CO2 einfach vergraben könnte?
Was kann CO2-Speicherung
CO2-Abscheidung und -Speicherung bzw. CO2-Sequestration bezeichnet den Prozess, bei dem Kohlendioxid am Erzeugungsort gefangen, komprimiert und letztlich zu einer Lagerstätte transportiert wird. Unterschiedliche chemische Verfahren können dazu verwendet werden. Als Langzeit-Lagerstätten bieten sich besondere geologische Formationen oder ausgeförderte Erdöl- und Gaslagerstätten an. Sedimentgestein im Wiener Becken eigne sich laut Holger Ott, Professor für Reservoir Engineering an der Montanuniversität Leoben. Die Methode, welche auf Englisch Carbon Dioxide Capture and Storage – kurz CCS – heißt, kann von Industriebetrieben verwendet werden, um die schädlichen CO2-Emmissionen zu minimieren. In der wissenschaftlichen Literatur wird meist von einer Abscheidungsrate von ca. 90 Prozent geschrieben. Eine britische Studie aus dem Jahr 2021 ergab, dass auch Abscheidungsraten von 98 Prozent möglich wären, ohne große Mehrkosten zu verursachen. Denn genau hier liegt ein Problem von CCS: Es ist sehr energie- und dadurch kostenintensiv. Laut Tobias Pröll, Professor am Institut für Verfahrens- und Energietechnik auf der BOKU Wien, bräuchte eine Anlage, die Strom aus fossilen Energieträgern erzeugt, 25 Prozent mehr Brennstoff, wenn CCS betrieben wird. Das verbraucht Ressourcen und kostet viel Geld.
Schattendasein einer Technologie
Im Jahr 2012 wurde in Deutschland das CCS-Gesetz verabschiedet, welches CCS nicht uneingeschränkt unmöglich machte, jedoch durch eine Länderklausel zu einem faktischen Lagerverbot von CO2 führte. Österreich war konsequenter und machte die Lagerung illegal. Zehn Jahre später setzte in der Politik ein Umdenken ein. Im Dezember 2022 kündigte der deutsche Grünen-Politiker und Klimaschutzminister Robert Habeck ein Gesetz an, das die Speicherung ermöglicht. Und das, obwohl er jahrelang gegen CCS war. Und auch dieses Mal zieht Österreich mit. Im September dieses Jahres traten Experten auf Einladung des Finanzministers Magnus Brunner zusammen und diskutierten die Möglichkeiten von CCS. Auch Umweltschutzorganisationen waren dabei. Sie sind noch nicht überzeugt. Greenpeace wittert beim Vorstoß zu CO2-Speicherung ein „Ablenkungsmanöver“ des Ministers. Wie die breite Bevölkerung die Legalisierungsbestrebungen aufnimmt, ist noch nicht klar. Eine Umfrage des Linzer Market-Instituts im Auftrag von Oecolution zeigt, dass die Österreicher zu dem Thema noch wenig aufgeklärt sind. Nur jeder zweite Österreicher kennt überhaupt die Möglichkeit der CO2-Speicherung unter der Erde. Eine Meinung zu dem Thema müssen sich die meisten Menschen wohl erst bilden.
Assoziation „Endlager“
Die Kosten sind ein Thema, das vermutlich nicht nur den Finanzminister beschäftigen wird, sondern auch die Industriemagnaten Europas. Daneben bringt CCS auch Risiken für Mensch und Umwelt mit sich. Leckagen beim Transport sind zwar unwahrscheinlich, können für Menschen in der unmittelbaren Umgebung aber zu gesundheitlichen Schäden führen. Ebenfalls möglich ist der langsame Austritt des Treibhausgases aus den Lagerstätten. So könnte es Trinkwasser und Boden kontaminieren. Außerdem besteht die Angst vor Erdbeben durch die Injektion von CO2 in die Speicherstätten. Selbst wenn die Bevölkerung durch den derzeitigen Diskurs ein positives Bild von CO2-Speicherung bekommt, werden spätestens bei der Lagerung besorgte Menschen und Bürgerinitiativen Lösungen auf österreichischem Boden verzögern. Ein Ausweg dafür ist der Export des CO2. Frei nach dem Spruch, den man an mancher Hauswand findet: „Heiliger Sankt Florian, schon’ unser Haus, zünd’ andere an.“ Doch in diesem Fall werden die Gefahren stärker wahrgenommen, als sie wirklich sind. CO2 verbindet sich mit dem Bodensediment und über längere Zeit steigt die Lagersicherheit dadurch sogar. Pilotprojekte in Skandinavien und Deutschland zeigen bereits, dass CCS zumindest in einem gewissen Maßstab ohne Risiko machbar ist.
Zukünftiger CO2-Exportmeister?
Auch Experten sind davon überzeugt, dass es dringend Vorstöße in neue technologische Felder braucht, damit die Klimaziele erreicht werden können. „Was das CO2 bei Industrieanlagen betrifft, sehe ich leider keine realistische Alternative zu CCS“, sagt Tobias Pröll, „ich stimme zu, dass wir in Österreich hier rasch machbare Konzepte vorlegen müssen.“ Während an der Montanuniversität Leoben das Lagerpotenzial in Österreich geschätzt werden soll, hat Pröll einen pragmatischeren Zugang: „Nicht jedes kleine Land braucht eigene Speicher. Das ist politisch und sicherheitstechnisch langwierig und die Zeit haben wir nicht.“ Realistischer ist wohl der Ausbau der Transportinfrastruktur zu den bereits funktionstüchtigen Speichern unter dem Nordseeboden. Pipelines, Schiffe und als Übergangslösung Tankzüge wären Möglichkeiten, das Emissionsprodukt in den hohen Norden zu verlagern. „Deutschland plant eine CO2-Pipelineinfrastruktur von den HUBs an der Nord- und Ostsee bis Bayern. Hier wären die österreichischen Bedürfnisse einzuplanen.“
Traum von grüner Industrie
CCS ist aber nichts, was der Industrie von Politik und Wissenschaft aufs Auge gedrückt wird. Denn auch die Wirtschaft wird am CCS-Ausbau Interesse haben, wenn in letzter Instanz dekarbonisierte Industriegüter vielleicht eines Tages den europäischen Standard bilden. „In einigen wichtigen Bereichen der Industrie fallen nicht vermeidbare CO2-Prozessemissionen an“, weiß Erich Frommwald, Obmann der Sparte Industrie der WKOÖ. Bereits in der März-Ausgabe des CHEFINFO-Magazins hat er sich für CO2-Speicherung ausgesprochen. Diese „unverbesserlichen CO2-Sünder“ sind viele Grundstoffproduzenten, beispielsweise Stahl-, Zement- oder Chemische Industrie. „Auch in diesen Branchen wird die Nachfrage nach klimaneutralen Produkten steigen.“ Vor allem das Industrie-Bundesland Oberösterreich darf hier nicht den Anschluss verlieren. „Ist Österreich hier säumig, drohen Wettbewerbsnachteile gegenüber Regionen mit einer ambitionierteren CCS-Strategie“, warnt Frommwald. Klar ist aber auch, dass die Industrie die Kosten für CCS kurzfristig nicht stemmen kann. Österreich steht in seiner Entwicklung noch komplett am Anfang. Nicht nur der Aufbau der Infrastruktur wird erhebliche Kosten verursachen. Frommwald wünscht sich ein Modell für die finanzielle Unterstützung von Betrieben, um Investitions- und Betriebskosten abfedern zu können. Außerdem müssten europaweit Rahmenbedingungen geschaffen werden, um nicht von Regionen, die kein CCS einsetzen, aus dem Wettbewerb gedrängt zu werden.
Hoffnungsträger CCS
Viele legen ihre Hoffnungen derzeit auf die CO2-Abscheidung. Allerdings dürfen Bestrebungen, CO2 einzusparen, dadurch nicht untergraben werden, wie Umweltschützer befürchten. CO2-Speicherung wird allein nicht imstande sein, den drohenden „Klima-Kataklysmus“ zu verhindern. Pröll meint dazu: „CCS wird sicher kommen, wird aber nur ein Instrument im Orchester zur Erreichung der Paris-Ziele sein können.“ Auf mehrere Pferde zu setzen kann aber auch nicht verkehrt sein.