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Gesicht in gelber Leinwand
Betriebliche Datensammlungen dürfen die Menschenwürde nicht berühren. Sind sie „geneigt“, diese zu berühren, braucht es die Zustimmung des Betriebsrates.
Betriebliche Datensammlungen dürfen die Menschenwürde nicht berühren. Sind sie „geneigt“, diese zu berühren, braucht es die Zustimmung des Betriebsrates.
OLEKSANDR SHCHUS / ISTOCK / GETTY IMAGES PLUS

Betriebliche Überwachung – wenn der Chef mithört

12.06.2023 um 11:15, Jürgen Philipp
min read
Laut einer deutschen Studie überwachen vier von zehn Unternehmen ihre Mitarbeiter. Was dürfen Chefs eigentlich? Wir fragen Rechtsanwalt Georg Streit.

Ein Fall, der vor einigen Jahren für Aufregung sorgte: Eine oberösterreichische Bäckerei ­hatte einen Verdacht. Immer wieder fehlte Geld in der Kassa, also schritt man zur Tat, installierte eine versteckte ­Kamera und überführte damit eine Mitarbeiterin, die einen Schaden von mehreren Tausend Euro verursacht hat. Die ging zur AK und gewann den Prozess, trotz nachgewiesenen Diebstahls. Die Kamera hätte nicht installiert werden dürfen. Vertrauen ist bekanntlich gut, Kontrolle besser, sagt eine Redewendung. Doch wie weit dürfen Firmen kontrollieren? Eine deutsche Studie erhob, dass vier von zehn Unternehmen ihre Mitarbeiter überwachen. Dazu gibt es laut Georg Streit, geschäftsführender Gesellschafter und Partner von Höhne, In der Maur & Partner (H-I-P) Rechtsanwälte in Wien, eine Art Faustregel: „So wenig wie möglich und nur so viel wie unbedingt nötig.“

Eine Frage der Menschenwürde

Der oben skizzierte Fall der Videoüberwachung hat eine klare rechtliche Grundlage: „Videoüberwachung ist eine Kontrollmaßnahme, die in vielen Fällen – um die Worte des Gesetzgebers zu verwenden – die Menschenwürde berühren kann. Derlei Maßnahmen bedürfen einer Betriebsvereinbarung.“ Dabei reicht die „bloße Möglichkeit, dass eine Maßnahme, die die Menschenwürde berühren könnte, um die Mitwirkungspflicht des Betriebsrats zu begründen.“ Die tatsächliche Absicht des Dienstgebers ist daher unwesentlich. Gibt es einen Betriebsrat, muss – wenn die Menschenwürde berührt wird – zwingend eine Vereinbarung mit der Belegschaftsvertretung gefunden werden. Und dann wäre da noch das Thema der Verhältnismäßigkeit: „Wenn es ein gelinderes Mittel gibt, so ist dieses einzusetzen.“ Ist die Menschenwürde nicht berührt, geht es auch ohne Zustimmung des Betriebsrats, doch Streit schränkt ein: „Die Rechtsprechung ist bei der Frage der Berührung der Menschenwürde – zum Schutz der Dienstnehmer – eher streng.“ Eine Überwachungskamera beim Betriebseingang, von der kein Dienstnehmer dauerhaft bei der Arbeit erfasst wird, benötigt keine Zustimmung des Betriebsrats. „Ebenso die Anwesenheitskontrolle durch ein bloßes Zeiterfassungssystem. Die Installation von Überwachungskameras, weil im Betrieb der Verdacht des Diebstahls besteht, hingegen schon.“ Womit der skizzierte Fall einen klaren Verstoß bildete und die Mitarbeiterin Recht bekam.

Überwachungskamera in einem Büro
Videoüberwachung im Betrieb hat klare rechtliche Grundlagen. Auch hier geht es viel um die Menschenwürde und um Betriebsvereinbarungen.

Zustimmung einholen

Die Überwachung endet nicht bei Kameras, auch eine automationsunterstützte Telefonanlage, die Nummern, Gesprächsgebühr, Datum und Uhrzeit aufzeichnet, ist nur mit Zustimmung des Betriebsrats umsetzbar. „Jedenfalls unzulässig sind Maßnahmen, die die Menschenwürde verletzen, zum Beispiel Leibesvisitationen durch Personen des anderen Geschlechts, die ­Installation von Überwachungskameras in Toiletten oder Waschräumen, die Installation einer Telefon­anlage, mit der ohne das Wissen der Dienstnehmer Gespräche abgehört werden können, oder die Installation von Einwegglasscheiben in Büros.“ Scheiben, bei denen die Dienstnehmer nicht sehen, ob sich jemand bzw. wer sich davor befindet. Und was machen Unternehmen ohne Belegschaftsvertretung? In diesem Fall muss der Dienstgeber „die Zustimmung zu Videoüberwachung, die die Menschenwürde berührt bzw. berühren kann, von allen Mitarbeitenden einzeln einholen – einseitig anordnen kann sie der Dienstgeber in Betrieben ohne Betriebsrat also auch nicht.“

Keylogger – egal oder illegal?

Wie die deutsche Studie erhob, werden oft sogenannte Keylogger, eine Hard- oder Software, die Eingaben des Dienstnehmers am Computer protokollieren, zur Überwachung eingesetzt. Auch hier gibt es klare Regelungen. „Grundsätzlich gilt, dass immer das ­schonendste Mittel eingesetzt werden muss. Der Einsatz von Keyloggern ist also nicht schon bei begründetem Verdacht automatisch zulässig.“ Wird vom Dienstgeber sämtliche private Korrespondenz untersagt, werden sämtliche Daten als geschäftlich qualifiziert. „In diesem Fall hat der Dienstgeber kompletten Zugang.“ Streit gibt aber zu bedenken, dass eine partielle Videoüberwachung oder Tracking der Telefonanlage gelindere Mittel zu Keyloggern seien. Ob diese Tools die Menschenwürde verletzen, und damit gänzlich unzulässig wären, muss im jeweiligen Einzelfall entschieden werden.

TikTok-Verbot. Darf man das?

Und wie sieht es beim „Bring Your Own Device“-Prinzip aus, also einer Mischung aus privater und beruflicher Nutzung des Smartphones, Tablets oder Notebooks? „Eine Mischnutzung, egal ob am privaten oder am betrieblichen Gerät, ist immer problematisch – in vielerlei Hinsicht“, so Streit. Diese Nutzung sollte, auch im Interesse des Dienstgebers, durch konkrete Regeln abgesichert werden. In letzter Zeit macht das Verbot etwa der App TikTok in Unternehmen und Behörden von sich Reden. Was also, wenn ich mein Device dienstlich und privat nutze? „Wenn die Nutzung einer App während der Arbeitszeit generell untersagt ist, ist die Abgrenzung nicht schwer.“ Eine Weisung, die App auf privaten Handys zu deinstallieren, ist aber wohl ein unzulässiger Eingriff in den privaten Bereich des Dienstnehmers. „Auch wäre hier die Kontrolle schwierig.“ Ein Ausweg: Die dienstliche Nutzung des privaten Devices zu untersagen ist zulässig. „Am praktikabelsten wäre es wohl, Firmenhandys, die nur zur beruflichen Nutzung bestimmt sind, zur Verfügung zu stellen, auf denen bestimmte Apps eben nicht installiert sind und weitere Anwendungen nur von einem Administrator des Dienstgebers installiert werden können.“ Der Königsweg wäre also in jedem Fall, Streits Faustregel: „So wenig wie möglich und nur so viel wie unbedingt nötig.“

Kontrolle im Homeoffice ist implizit gegeben

INTERVIEW. Rechtsanwalt Georg Streit über Kontrolle von ­Mailservern, Social Media, ERP-Programmen und wie weit Arbeitgeber Arbeitnehmer im Homeoffice überwachen dürfen.

CHEFINFO: Darf eine Führungskraft geschäftliche Mails am Firmen-Mailserver (nach)lesen?
Georg Streit: Ja, aber eben geschäftliche Inhalte – und die Kontrolle ­sollte abgesprochen bzw. vorangekündigt sein. Private E-Mails dürfen nicht eingesehen werden.
 
Es gibt immer wieder Fälle, in denen ein Arbeitnehmer offiziell krank ist, aber Fotos zur besagten Zeit von Freizeitaktivitäten postet. Wie sehr darf eine Führungskraft diese privaten Infos nutzen?
Streit: Wenn der Dienstnehmer öffentlich postet – oder innerhalb eines Adressatenkreises, der eben auch Kollegen oder/und Vorgesetzte einschließt –, so kann der Dienstgeber diese Information nutzen. Er sollte dabei bedenken, dass ein Foto, das zu einer gewissen Zeit gepostet wurde, noch nicht heißt, dass die Aktivität auch zu dieser Zeit durchgeführt wurde. Außerdem ist es nicht grundsätzlich untersagt, dass der Dienstgeber im Krankenstand auch etwas unternimmt – er darf nur nichts tun, was seiner Genesung abträglich ist. Da wird es auf die ärztliche Bestätigung ankommen. Wenn der Dienstnehmer aber klar einen Entlassungsgrund setzt und das öffentliche Posting diesen auch belegt, so kann der Dienstgeber das jedenfalls nutzen.

Homeoffice und hybride Arbeitswelten bringen einen gewissen Kontrollverlust für Arbeitgeber mit sich. Welche Möglichkeiten hat eine Führungskraft, die auch im Homeoffice geltende Anwesenheitspflicht zu kontrollieren?
Streit: Eine Kontrolle im Homeoffice ist ohnehin implizit gegeben. Wenn der Output der Mitarbeitenden stimmt, sie grundsätzlich erreichbar sind und auf Anfragen reagieren, gibt es faktisch wie rechtlich keinen Grund, engmaschiger zu kontrollieren. Gibt es im Unternehmen auch eine (automatisierte) Zeitaufzeichnung und nutzen die Mitarbeiter dieses System auch im Homeoffice, so ist dadurch – zumindest ein Minimum an – Kontrolle gegeben. Sollte sich zeigen, dass es zu Verschleppungen und längeren Reaktionszeiten im Homeoffice kommt, kann man die „Überwachung“ durch regelmäßigen Kontakt substituieren – oder die Homeoffice-Vereinbarung auflösen. Grundvoraussetzung für das Angebot ist ein gewisser Vertrauensvorschuss – wenn dieser nicht gegeben werden kann, oder wenn man ihn nicht geben möchte, sollte man Homeoffice gar nicht oder nur für Ausnahmefälle anbieten. Jedenfalls ist es empfehlenswert, konkrete Kündigungsmöglichkeiten in die Homeoffice-Vereinbarungen aufzunehmen.