Bernegger: Jäger der verborgenen Schätze
Zu besonderen Anlässen setzt sich Kommerzialrat Kurt Bernegger selbst hinter das Steuer des Kleintransporters. Gäste sollten festes Schuhwerk mitbringen und etwas mehr Zeit einplanen als üblich. Nicht die angrenzende Nationalpark-Region ist das Ziel, sondern der weitläufige Firmensitz in Molln. Die eigentliche Attraktion am Gelände ist von außen nicht sichtbar: Ein Fördertunnel auf den 1.032 Meter hohen Pfaffenboden, wo in einem Trichterabbau Kalkstein ins Tal gebracht wird. 650 Meter beträgt der Höhenunterschied. Mit 3,5 Kilometern ist es der längste befahrene Tunnel Oberösterreichs. Das 2004 realisierte Projekt vereint all jene Eigenschaften, für die das Familienunternehmen steht: Weit vorausdenken und auf Spitzentechnologien setzen. Fünf Jahre benötigte Bernegger von der Idee bis zur Realisierung. Er holte Parteien und Umweltgruppen an einen Tisch und überzeugte mit einer 25-Millionen-Euro-Investition in „sanften“ Rohstoffabbau dank Tunnel statt Straße. Der Clou: Die Bremsenergie des Förderbandes wird zur Produktion von täglich 5.000 Kilowattstunden Strom genutzt. Damit war Bernegger seiner Zeit voraus. „Wir sind nicht Manager, die nur das Morgen im Sinn haben. Wir sind ein Familienbetrieb, der in Generationen denkt“, sagt Bernegger.
Rohstoffe des 21. Jahrhunderts
Die dritte Generation steht in den Startlöchern und trägt denselben Namen: Kurt Bernegger junior, Absolvent der Montanuniversität Leoben und seit 15 Jahren im Unternehmen tätig. Sein Spezialgebiet: die Rohstoffe des 21. Jahrhunderts fördern. Bei zwei spektakulären Projekten in Enns ist er federführend dabei. Um 60 Millionen Euro wird gemeinsam mit ARA und dem deutschen Sammelsystem Grüner Punkt die modernste und größte Kunststoffsortieranlage Europas errichtet. 2025 sollen 100.000 Tonnen Leichtverpackungen automatisch sortiert werden. Es sind riesige Vorhaben: Insgesamt sieben Recyclinganlagen mit einer Investitionssumme von 300 Millionen Euro sind für die nächsten 15 Jahren geplant. Der Ennshafen ist kein Neuland für den Mollner Konzern. Seit 2005 steht dort die TBS Technische Behandlungssysteme zur Verwertung von nichtmetallischen Materialien aus Altautos und Elektroschrott. In diesen Anlagen wird gebrochen, gesiebt und mit verschiedenen Technologien sortiert. Bei 20 verschiedenen Stoffströmen klingelt die Kasse. Darunter sind feine Kupfergranulate, Kunststoff als Reduktionsmittel für die Stahlindustrie oder Grobeisen und Aluminium. Das Problem: Mechanisches Recycling stößt bei kleinsten Metallresten an seine Grenzen. „Das sind feinste Kupferdrähtchen im Schaumstoffteil, die selbst mit der Pinzette nicht rauszubekommen sind“, erklärt Bernegger. „Gelöst“ werden kann es dank eines neuen thermischen Verfahrens. In jahrelanger Forschungsarbeit wurde gemeinsam mit der Montanuniversität Leoben und den Projektpartnern Technische Hochschule Aachen sowie dem Essener Industrieanlagenbauer Küttner ein mehrfach patentiertes pyrometallurgisches Verfahren zur Ressourcenrückgewinnung von Kupfer, Gold und anderen Edelmetallen entwickelt. 70 Millionen Euro werden für zwei Öfen am Recyclingzentrum im Ennshafen investiert. Bereits kommendes Jahr soll der Kupferofen in Betrieb gehen.
Innovation: Kupferofen statt Kupferbergwerk
Lohnt sich dieses Investment? Der junge Montanist bringt einen Vergleich mit dem Abbau von Kupfererz. „In einem Tagebau in Skandinavien werden jährlich 40 Millionen Tonnen Gestein mit einem Kupfergehalt von 0,25 Prozent abgebaut. Das wird feinst vermahlen, aufbereitet und konzentriert. Wir deponieren in Österreich fast 100.000 Tonnen mit 1 Prozent Kupfergehalt. Damit sind wir weltweit die Ersten, die das in dieser Form ausprobieren“, sagt Bernegger. Im Unterschied zu mineralischen Rohstoffen kann Kupfer aufgrund des hohen Preises in alle Welt verschickt werden. Für die Tonne Kupfer wurden Anfang des Jahres mit 9.500 Dollar Rekordpreise bezahlt. Auch die Abwärme soll Geld bringen: Mit der Rohstoffgewinnung wird das minderwertige Material verbrannt und eine Dampfturbine für die Stromerzeugung betrieben. „Ab dem nächsten Jahr produzieren wir als Konzern doppelt so viel Strom, wie wir intern benötigen. Derzeit liegt die Eigenproduktion mit PV-Anlagen und Kleinkraftwerken zwischen 18 und 20 Prozent. Wir werden dann 15 Millionen kWh extern verkaufen können. Auch Fernwärme für die Stadt Enns kann geliefert werden.“ Strom ist ein zukünftiges Geschäftsfeld für Bernegger – wenn auch ein sehr unsicheres. Denn niemand weiß, wie sich die Strommärkte entwickeln. Die Turbulenzen auf den Energiemärkten in den letzten beiden Jahren haben Bernegger Mehrkosten von einigen Millionen Euro verursacht. Die Energiewende mit hohen Strompreisen und zunehmenden Schwankungen bei der erzeugten Strommenge aus Erneuerbaren bedeuten auch eine Chance. Um das Netz stabil zu halten, werden Stromspeicher benötigt. Konkret: Pumpspeicherkraftwerke.
Stromspeicher ante portas
„Als Unternehmer sind wir immer auf der Suche nach Technologien, die in Zukunft benötigt werden. Was morgen passiert, ist schon gelaufen“, sagt Kurt Bernegger. 2003 hat das Unternehmen mit der Planung seines privaten Speicherkraftwerks mit 300 MW Leistung in Molln begonnen. Eine ideale topografische Lage und die Erfahrungen mit dem Projekt Pfaffenboden wiesen den Weg. Mittlerweile sind alle Genehmigungen für den Baubeginn unter Dach und Fach. Kostenpunkt des Projekts: 500 Millionen Euro. „Wir brauchen einen Mitinvestor, das ist kein Geheimnis. Die Investitionssumme ist für das Hause Bernegger zu groß. Seit November gibt es für den 220-kV-Netzzugang durch die Austria Power Grid, der uns 2021 gekündigt wurde, wieder grünes Licht.“ Inzwischen zeigt sich Bernegger von den derzeitigen politischen Rahmenbedingungen zunehmend genervt. Hat die EU nicht den Green Deal verabschiedet, und heißt es nicht, die Nachfrage nach Stromspeichern sei enorm? Warum interessiert sich dann niemand für ein Projekt, das alle Genehmigungen in der Tasche hat? „Da fragt man sich: Ist so ein Kraftwerk mit Einspeisung ins 220-kV-Netz vielleicht nur ein paar Privilegierten oder dem Staat vorbehalten?“ Derzeit muss Bernegger bei schönem Wetter am Wochenende seine PV-Anlagen mit 4 MW abschalten, weil die Marktpreise negativ sind. Genau hier machen Speicherkraftwerke Sinn: Bei Stromüberschuss kann das Wasser mit hohem Wirkungsgrad auf den Berg gepumpt werden – und wenn Strom benötigt werde, würden die Generatoren einige Stunden laufen. „Wenn wir in puncto Speicherkapazitäten nicht schnell handeln, werden wir in Europa und Österreich an den Baum fahren“, sagt Bernegger.
Bahn statt Lkw: Die Logistik von morgen
In puncto Energie sind die Berneggers Getriebene, denn sie wissen: In naher Zukunft werden fossile Brennstoffe nicht mehr in diesem Ausmaß zur Verfügung stehen. „Bernegger verbraucht rund zehn Millionen Liter Diesel pro Jahr. Es ist aufgrund der politischen Vorgaben absehbar, dass diese Menge irgendwann verknappt wird. Vielleicht sind wir dann auch hier unserer Zeit wieder voraus.“ In allen Bereichen prüft das Familienunternehmen, verborgene Schätze zu heben. Im Zentrum steht die Konzernlogistik, die zunehmend auf Schiene gebracht wird. Mittlerweile wurde nach Spital am Pyhrn, Linz und Enns der vierte Bahnanschluss in Leobendorf nördlich von Wien in Betrieb genommen. Bernegger verfolgt auch hier ein langfristiges Konzept. Weil es in Europa aufgrund von Brancheninteressen nicht möglich war, ließ man anfangs in Asien Prototypen für ein eigenes Containersystem fertigen, das den rauen Anforderungen des Baustellenbetriebs gerecht wird. „Du hast immer das Problem: Wie kommst du mit dem Material den letzten Kilometer zur Baustelle?“, sagt Bernegger. Die Mollner sind inzwischen der größte private Kunde bei der ÖBB im Schüttguttransport. Vor sieben Jahren wurde eine Abteilung mit Spezialtiefbau gegründet. Bernegger erhofft sich vor allem im im Großraum Wien zusätzliche Baustellen, etwa bei Tiefgaragen für Supermärkte. Bernegger betreibt unter anderem auch einen Hartsteinbruch in Ybbs-Persenbeug. Diese Partnerschaft mit Alexander Habsburg-Lothringen soll die Versorgung mit mineralischen Rohstoffen im Raum Wien absichern. „Unsere Philosophie ist klar: Mineralische Rohstoffe müssen künftig verstärkt auf der Bahn transportiert werden, um wettbewerbsfähig zu bleiben und künftige Anforderungen zu Nachhaltigkeit und EU-Taxonomie-Verordnung bestmöglich erfüllen zu können.“
Innovativ und konservativ zugleich
Die umtriebige Firmenpolitik ruft potenzielle Kooperationspartner auf den Plan. „Jede Woche trudeln Vorschläge mit konkreten Angeboten ein. Wir machen nur Projekte, für die wir auch die Personalressourcen haben. So gesehen sind wir innovativ und konservativ zugleich“, sagt Bernegger senior. Das nahezu unüberschaubare Angebot der Gruppe reicht von Rohstoff, Bau, Logistik über Recycling und Umwelt bis hin zur Biolandwirtschaft. „Wir sind ein Bauchladen.“ Der Sohn präzisiert: „Rohstoff ist die Klammer für alles. Ursprünglich haben wir Kalkstein abgebaut, dann kam die Kalkbrennerei dazu. So hat sich das eine an das andere gefügt. Wer mineralische Rohstoffe abbaut, der veredelt sie auch. Der nächste Schritt ist Beton, so ist das Ganze mit dem Erdbau und in Folge mit der Bautätigkeit entstanden.“ In einem Punkt sind sich beide Generationen einig: Rohstoffe sind essenziell für das Land und die Wirtschaft. Es ist wie beim Brettspiel „Die Siedler von Catan“: Jener Spieler mit den besten Rohstoffkarten gewinnt. Die Interessenkonflikte liegen auf der Hand. „Wir schlagen in die Natur Wunden, das kann man nicht verleugnen. Wir geben der Natur aber auch in Form von Magerwiesen, die heute wieder gefragt sind, etwas zurück.“ Es seien gemeinsam mit Naturschutzverbänden wie dem Alpenverein tolle Projekte gelungen. „Wir haben heute deshalb ein gutes Standing bei den Behörden. Das Vertrauen ist groß.“
"Das wird dein spannender Herbst"
Einbruch der Baukonjunktur. Dass sich Kurt Bernegger ein zielsicheres Gespür für langfristige Trends in der Bau- und Rohstoffbranche zu eigen gemacht hat, ist nicht von der Hand zu weisen. Umgekehrt ist seine Branche die erste, die sich mit einem drohenden Konjunktureinbruch konfrontiert sieht. Im ersten Quartal 2023 ist der private und soziale Wohnbau weiter stark eingebrochen. „Wir sind als Rohstofflieferanten nur die ersten Boten. Die Nachfrage sinkt, und es ist schneller gegangen, als wir gedacht haben“, sagt Bernegger, der schon auf den Abschwung reagiert. Gewisse Dinge werde man im Unternehmen neu aufstellen müssen. Wenn die Bauwirtschaft steht, treffe das auch den kleinen Bauunternehmer, den Frächter oder den Zimmermann. Erstaunlich findet Bernegger, dass in der Politik das Szenario offenbar noch nicht angekommen ist. „Wir werden einen spannenden Herbst bekommen. Aber keiner spricht es an. Viele denken, dass die Wirtschaft wie nach der Coronapandemie wieder anspringen wird. Doch das wird nicht so schnell passieren.“