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Sportauto vor schwarzem Hintergrund
Mobilität verändert sich derzeit radikal.
Mobilität verändert sich derzeit radikal.
CHESKY_W / ISTOCK / GETTY IMAGES PLUS

Automobilität – Zwischen Luxus und Burn-out

12.06.2023 um 14:47, Klaus Schobesberger
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Mit dem fossilen Verbrenner-Aus stellt sich die Branche ganz auf E-Mobilität ein. Aber ist es wirklich sinnvoll, dass jeder elektrisch fahren soll?

Der Komplexitätsforscher Luca ­Dellanna hat vor Kurzem einen interessanten Vergleich zum festgesetzten Verbot von fossilen Brennstoffen für Neuwagen im Jahr 2035 in Europa gezogen. Der Wissenschaftler findet die Idee umweltfreundlicher Autos zwar gut, ist aber von einer schnellen und vollständigen Umstellung nicht angetan. Er bringt die Olympischen Sommerspiele als Metapher ins Spiel – eine Megaveranstaltung, deren Budget regelmäßig um durchschnittlich 213 Prozent überschritten wird. Sie sind das einzige infrastrukturelle Megaprojekt, bei dem es aus einem einzigen Grund zu Kostenüberschreitungen kommt: Unausweichliche Fristen. Sie führen zu überstürzten Handlungen und damit zu Kostenexplosionen. Dellanna fürchtet, dass ein künstlicher Termin für die Dekarbonisierung der Mobilität ein ähnlich teures Chaos bei der Stromversorgung verursachen könnte. Und nicht nur in diesem Bereich. Man kappt die Lebensadern einer ganzen Zulieferindustrie und nimmt in Kauf, dass eine gesamte Raffinerie- und Tankinfrastruktur verkümmert. Warum muss jeder unbedingt ein Elektroauto haben? Warum sollte eine wertvolle Batterie an jemanden verschwendet werden, der nur 100 Kilometer pro Woche fährt? Und kann es nicht sein, dass aufgrund dieser Gesetzgebung EU-Bürger länger an ihren alten Autos festhalten, was für Umwelt und Klima negativer ist, als wenn sie die Möglichkeit hätten, effizientere konventionelle Autos zu kaufen?

E-Mobilität Symbolbild
1.500 E-Ladestationen will die Asfinag an den heimischen Autobahnen bis 2035 bereitstellen. 15.663 E-Ladepunkte sind österreichweit bereits jetzt im Einsatz.

Besser technologieoffen

Das sind Fragen, mit denen sich Gerhard Meister, Vize-Chef der Elektrifizierungssparte bei AVL List, auseinandersetzt. Das Unternehmen entwickelt für Automobilhersteller Antriebssysteme, deren Komponenten und integriert sie in Fahrzeuge. Früher standen nur Verbrenner im Zentrum, ­heute sind es Hauptkomponenten wie Batterien, E-Motoren, Leistungselektronik, Brennstoffzellen, Thermalmanagement- und Fahrerassistenzsysteme. Der Weltmarktführer agiert technologie­offen – ein Wort, das zum politischen Kampfbegriff rund um die Zukunft des Autos geworden ist. Während die grüne Umweltministerin Leonore Gewess­ler ausschließlich auf E-Mobilität setzt, will Bundeskanzler Karl Nehammer an E-Fuels festhalten. „Wasserstoff oder nachhaltig erzeugte synthetische Treibstoffe, E-Fuels, eignen sich wesentlich besser für langfristige Energiespeicherung oder den Transport über weite Strecken. Für den Verkehr in urbanen Gebieten ist das batterieelektrische Fahrzeug die beste Option“, sagt Meister. Der Experte gibt zu bedenken, dass es dabei nicht nur um die Umstellung des Verkehrs geht, sondern auch um alle anderen Energieverbraucher wie die gesamte Industrie und Heizungsbranche. „Kurz gesagt, wir werden aus heutiger Sicht unterschiedliche Energieträger benötigen, um eine vollständige Dekarbonisierung erreichen zu können.

Drei Frauen feiern im Auto
Carsharing-Modelle, Mieten oder Auto-Abos: In Zukunft soll der Besitz eines Autos nicht mehr dieselbe Rolle spielen wie heute.

Luxus E-Mobilität?

Derzeit kann die Autoindustrie nicht klagen. Sie fährt Rekordumsätze und -gewinne ein. Alle namhaften Autohersteller haben Zeitpunkte für den endgültigen Umstieg von Verbrenner auf E-Mobilität bekanntgegeben. Das Problem: Das Geschäft mit den Elektroautos rechnet sich bei vielen noch nicht. Die Milliardenumsätze liefern im Moment noch die Verbrenner-SUVs, die damit die Transformation in Richtung Elektromobilität finanzieren. Spätestens bis zum Ende des Jahrzehnts wollen Hersteller wie Mercedes Gewinne mit ihren Modellen einfahren. Derzeit zeigt sich: E-Mobilität ist für den Normalbürger kaum leistbar oder machbar, weil etwa Lademöglichkeiten fehlen. 80 Prozent der Anmeldungen neuer E-Autos gehen auf die Kappe von Unternehmen und Selbstständigen. Private Besitzer von Tesla & Co wohnen in guten und exklusiven Wohngegenden. Nicht selten stehen zwei oder mehr Pkw bereits in der Garage. Gekauft werden Elektroautos überwiegend von Männern zwischen 35 und 59 Jahren mit hohem Sozialstatus. Diese Daten stammen aus einer Untersuchung, die das deutsche Kraftfahr-Bundesamt zusammengetragen hat und die auch für Österreich anwendbar sind. Die Befürchtung, dass Elektroautos für viele Luxusgut bleiben wird, teilen viele aus der Branche. „Mobilität wird insgesamt teurer werden“, ist Christoph Günther vom Linzer Autohaus Günther überzeugt.

Christian Lindner und Robert Habeck im deutschen Bundestag
Kontrahenten im Deutschen Bundestag: FDP-Chef und Porsche-Fahrer Christian Lindner (li.) mit dem grünen Wirtschaftsminister Robert Habeck.

Hang zum Verbrenner

Aktuelle Zahlen zeigen, dass die Bevölkerung sowohl in Deutschland als auch in Österreich einen Hang zum Verbrenner hat. 55 Prozent der Deutschen sind gegen ein Verbot des Verbrennermotors ab dem Jahr 2035, nicht einmal jeder Vierte unterstützt es, hat das Institut für Demoskopie Allensbach er­hoben. Ähnlich sind die Umfragedaten in Österreich: 56 Prozent vertrauen nach wie vor traditionellen Verbrennungsmotoren. 18 Prozent können sich vorstellen, ein Hybrid- oder Elektroauto zu kaufen. Mehr als ein Drittel würde sich für einen Benziner und ein Viertel für ein Auto mit Dieselmotor entscheiden. Das Mobilitätsverhalten will künftig nur ein Fünftel der Befragten ändern. Interessant dabei ist, dass vor allem unter 30-Jährige kein E-Auto kaufen wollen, sondern knapp 80 Prozent zu klassischen Verbrennungsmotoren tendieren. Alternative Antriebsarten wie Hybrid oder Elektro werden von 49 Prozent der Generation 50+ bevorzugt. Das ergab eine Onlineumfrage unter 1.000 Österreichern im Auftrag der Wiener Städtischen. 

Bytes statt Benzin

Wie groß der Wandel in der Automobilindustrie ist, zeigt sich an der steigenden Bedeutung des Software­themas. Das „digitale Auto“ wird inzwischen auf der Consumer Electronic Show (CES) in Las Vegas präsentiert und es braucht eine 5G-Datenautobahn, um schnell unterwegs zu sein. Das einzelne Fahrzeug wird ein Datenpunkt im World­wide Web und kann jederzeit mit ­neuen Updates versorgt werden. Derzeit gibt Tesla den Ton in diesem Bereich an: Deutsche Hersteller geben unumwunden zu, dass die Amerikaner einen Vorsprung von fünf bis sieben Jahren bei der Software haben. Bis zum Ende des Jahrzehnts hoffen BMW, VW und Mercedes, dass sich ihre Digital- und Softwarearchitekturen durchgesetzt haben. 

Entwicklungsteam bei einem E-Auto.
Entwicklungsteam bei einem E-Auto. ­Derzeit sind die meisten E-Autosparten der einzelnen Hersteller nicht profitabel und müssen vom Verbrenner gestützt werden.

Neue Driver-Experience

Im Bereich Elektronik geben die E-Modelle bereits den Takt vor. So kommen wichtige Elemente des voll digitalen Cockpits im neuen Porsche Cayenne direkt vom Elektrosport­wagen Taycan. Auch die „In-Cabin-Experience“ wird immer wichtiger – vor allem in Asien wollen Leute im Auto Karaokesingen oder mit ihrem Avatar reden. Apropos Porsche: Der Sportwagenbauer hat im Vorjahr ein Rekordergebnis erzielt und will den 911er so lange wie möglich mit Verbrenner bauen. In Chile arbeitet das Stuttgarter Unternehmen daher an einer Fabrik für synthetische Kraftstoffe. Mit massenhaft Windstrom von der Magellanstraße soll der synthetische Sprit produziert werden und dafür sorgen, dass Verbrennerautos dann doch noch eine Zukunft haben – aber eben klimaneutral betrieben. Für Freunde des luftgekühlten Boxermotors gibt es offenbar in Zukunft keine echte Emo­tion ohne die Kraft von acht Zylindern im Rücken.