Angst: Schwule halten nicht Händchen
Die Regenbogenparade brachte wieder Hunderttausende aus der queeren Community auf die Straße. Nicht nur um eine große gemeinsame Party nach den Entbehrungen den letzten Pandemie-Sommern zu feiern, sondern auch um lautstark gegen Ausgrenzung und Diskriminierung zu demonstrieren. Das Schwule, Lesben & Co. auch im toleranten Wien mit Hass und Gewalt konfrontiert, weiß Wolfgang Wilhelm. Wir haben beim Leiter der Wiener Antidiskriminierungsstelle für LGBTIQ-Angelegenheiten nachgefragt, welche Ausgrenzungen Wienerinnen und Wiener in ihrem Alltag erfahren.
weekend.at: Womit haben Mitglieder die Regenbogen-Familie regelmäßig zu kämpfen?
Wolfgang Wilhelm, Leiter der Wiener Antidiskriminierungsstelle für LGBTIQ-Angelegenheiten (WASt): Die Diskriminierung von LGBTIQ-Personen beginnt oft in der Familie und setzt sich leider auch im Freundeskreis, in der Schule und am Arbeitsplatz fort. Gerade auch im öffentlichen Raum gibt es abschätzige Blicke, dumme Kommentare oder sogar gewalttätige Übergriffe, weshalb sich 60 Prozent der Lesben und Schwulen nicht trauen, händchenhaltend auf der Straße zu gehen.
60 Prozent der Lesben und Schwulen trauen sich nicht, händchenhaltend auf der Straße zu gehen.
weekend.at: Gibt es Schilderungen von Betroffenen, die Ihnen besonders nah gehen?
Wolfgang Wilhelm: Mit erschüttert jeder Fall von Diskriminierung, denn sie ist eine Form von Gewalt. Aber wenn jemand aus einem Taxi geworfen wird, wenn zwei junge Lesben auf der Straße aus heiterem Himmel fotografiert werden und ihnen der Täter mit den Worten „Na wartet nur, ich weiß, wo ihr wohnt!“ droht, wenn ein junger schwuler Mann von Handwerkern in seiner eigenen Wohnung verhöhnt und angegriffen wird, weil er die Regenbogenfahne an der Wand hängen hat oder wenn Schülerinnen und Schüler ihren Lehrer im Bus zur Schule anpöbeln und einschüchtern, dann wird deutlich, wie übergriffig Diskriminierung ist und dass sie keinen Platz in Wien haben darf!
weekend.at: Wer wird vergleichsweise häufig stigmatisiert?
Wolfgang Wilhelm: Wir wissen, dass das Risiko für schwule Männer, im öffentlichen Raum Opfer einer Körperverletzung zu werden, etwa zehn Mal höher ist, als für heterosexuelle Männer. Lesbische Frauen werden oft sexistisch angepöbelt und Transgenderpersonen erleben nochmals häufiger Gewalt. Generell aber können leider manche Menschen nicht damit umgehen, dass andere Menschen anders sind – sei es, dass sie gleichgeschlechtliche Partnerinnen oder Partner haben, sich nicht geschlechterstereotyp kleiden oder verhalten oder ihre Geschlechtsidentität flexibel ist.
Wir wissen, dass das Risiko für schwule Männer, im öffentlichen Raum Opfer einer Körperverletzung zu werden, etwa zehn Mal höher ist, als für heterosexuelle Männer.
weekend.at: Wien will aktiv gegensteuern – wie?
Wolfgang Wilhelm: Mit der Kampagne „Lebe deine Liebe!“ setzt die Stadt Wien im Juni 2022 einen Meilenstein, indem sie das Thema ganz groß und deutlich aufs Tapet bringt. Auf Straßenbahnen, auf Plakaten oder den Stadteinfahrtstafeln. Wir zeigen damit, dass gleichgeschlechtliche Paare, dass LGBTIQ-Personen, ein ganz selbstverständlicher Teil der bunten Vielfalt sind und dass Wien dafür eintritt, dass hier alle Menschen leben und lieben können wen und wie sie wollen. Niemand soll sich mehr verstecken müssen!
weekend.at: Haben die rechtlichen Gleichstellungen das Bild in der sogenannten Mehrheitsgesellschaft verändert?
Wolfgang Wilhelm: Das ist immer ein zirkulärer Prozess der wechselseitigen Entwicklung. Aber ja, natürlich hat beispielsweise die Öffnung der Zivilehe auch für gleichgeschlechtliche Paare vielen Menschen vor Augen geführt, dass jede Form der Liebe gleichberechtigt sein sollte – im Rechtssystem ebenso wie im gesellschaftlichen Alltag. Das ist im besten Sinn des Wortes eine Normalisierung, denn es zeigt, dass gleichgeschlechtliche Paare genauso „normal“ sind, wie verschiedengeschlechtliche Paare auch, dass die die gleichen Gefühle haben und die gleichen Träume und Hoffnungen auf ein gemeinsames Leben in Liebe.
weekend.at: Welche Probleme sind mittlerweile weitgehend vom Tisch?
Wolfgang Wilhelm: In den letzten Jahren wurde wirklich sehr viel erreicht: Die Öffnung der Zivilehe, die Möglichkeit der Adoption von Kindern auch durch gleichgeschlechtliche Paare oder ganz aktuell die Abschaffung des Blutspendeverbots für homo- und bisexuelle Männer. Die Rechte von LGBTIQ-Personen, die ja Menschenrechte sind, wurden in Österreich deutlich gestärkt.
weekend.at: Wohin können Sie Mitglieder im Falle des Falles in Wien wenden?
Wolfgang Wilhelm: Für alle Fälle von Diskriminierung ist die WASt, die Wiener Antidiskriminierungsstelle für LGBTIQ-Angelegenheiten, eine gute erste Anlaufstelle. Das Service dieser Einrichtung der Stadt Wien ist zudem kostenfrei und auch anonym möglich. Ich empfehle hier unsere Webseite.