Alpinunfälle: Interview mit Peter Paal
2.527 verletzte Bergsportler und 122 Alpintote in Österreichs Bergen – Haben Sie mit derartigen Zahlen in diesem Sommer gerechnet?
Dass die Unfallzahlen heuer nach den Lockerungen des Covid-19-Lockdowns im Frühjahr im Vergleich zu den Vorjahren deutlich gestiegen sind ist keine wirkliche Überraschung: es hat die Menschen einfach wieder in die Berge gezogen – und v.a. auch jene, die schon länger nicht mehr im Gebirge unterwegs waren, haben sich heuer in ihrer Freizeit und im Urlaub wieder einmal in die Berge aufgemacht. In die Ausrüstung wurde Geld investiert, allerdings weniger in die Ausbildung oder ein kurzes Update bezüglich Tourenplanung und eigenem Können und Wissen. So würden sich zahlreiche Unfallereignisse erklären lassen, wo Bergsteiger einfach nicht gewusst haben, worauf sie sich einlassen und z.B. eigenes Können und Fitness ebenso falsch bewertet haben wie die Schlechtwetterprognose.
Ihr Fazit des heurigen Sommers?
Der Anteil dieser soenannten „Blockierten“ ist dem Trend der letzten Jahre folgend gestiegen, in Österreich waren das von Mai bis September insgesamt 1.213 Personen, immerhin gut 30 Prozent aller Verunfallten. Beim Klettersteiggehen z.B. war der Hauptgrund dafür „Erschöpfung“. In den meisten Fällen kann aber von einer Fehleinschätzung der eigenen technischen oder konditionellen Fähigkeiten oder aber einer schlechten Tourenvorbereitung ausgegangen werden. Dabei wäre es heutzutage recht einfach, diese wichtigen Informationen rasch und einfach via Smartphone zu bekommen – man muss nur wissen, welches die richtigen und guten Apps und Homepages sind.
Die Hälfte der Verunfallten waren Wanderer. Wie könnte man hier die Unfallzahl senken, welche Maßnahmen wären sinnvoll?
Prinzipiell ist es erfreulich, wenn Menschen ihre Freizeit beim Bergwandern verbringen. Allerdings nur, wenn man körperlich die notwendige Fitness mitbringt bzw. sich die passenden Touren aussucht. Herz- Kreislaufprobleme sind nach wie vor die Todesursache Nummer 1. Gefolgt von Stolpern, Ausrutschern und Abstürzen, die sich ebenso durch angepasste Tourenplanung bzw. -auswahl reduzieren lassen könnten: Reicht meine Fitness, um lange konzentriert gehen zu können? Reicht mein Können, um den schwarzen Bergweg zu begehen? Starte ich rechtzeitig, um vor der Mittagshitze oder dem Wetterumschwung bei der Hütte zu sein? Hilfreich wäre es, wenn sich auch Bergwanderer den Rat und einige Tipps von Bergwanderführern holen würden.
Mit welcher Entwicklung rechnen Sie für den Winter?
Mehr Menschen werden mit Schneeschuhen und Tourenskiern v.a. Pisten- und Modetouren unternehmen. Wobei heuer noch mehr Anstiege zu viel begangenen und verspurten „Modeskitouren“ werden – die Ruderhofspitze von Süden wurde ja bereits nach den ersten Schneefällen im Oktober angespurt und der Lawinenabgang am Zuckerhütl kurz darauf ist auch bemerkenswert. Es ist zu hoffen, dass weniger das „früher-schneller-höher“ v.a. via den sozialen Medien als sozial geschätztes Ziel anerkannt wird, sondern mehr die Gelassenheit mit guten Freunden tolle Tage im winterlichen Gelände zu verbringen. Dementsprechend wichtig: das Abwarten bis sich die Lawinensituation entspannt hat oder der Verzicht auf den eingeblasenen Gipfelhang.
Ihre Tipps für Skitouren-Einsteiger?
Sich anfangs sofort gut ausbilden lassen und mit einer Gruppe unterwegs sein, in der man sich wohl fühlt und wo jeder jederzeit seine Bedenken äußern kann. Studiert man die Protokolle vieler Lawinenunfäll,e liest man oft: „Ich habe eh ein schlechtes Gefühl gehabt…“. Bei allem Wissen und Können ist es beim Bergsteigen eine gute Idee, auf dieses Gefühl zu hören.
Steigt die Risikobereitschaft der Wintersportler?
Im Gegensatz zu früher sind erfreulicherweise auch mehr junge Menschen auf Skitour unterwegs, die natürliche andere Herausforderungen suchen und extrem fit sind. Diese scheinen sich aber pragmatischer und besser vorzubereiten als so mancher alter Hase, was die Unfallzahlen nach Alter ganz klar zeigen.
Und dass das modernste LVS ohne Training nichts hilft und das Tragen eines Airbag-Rucksackes kein Zeichen von Risikokompetenz ist, sollte inzwischen bekannt sein. Gerade die Beurteilung der Lawinengefahr abseits der gesicherten bzw. permanent verspurten Gelände erfordert Wissen, Erfahrung und ein gutes Gespür für den Schnee.
Welche Grundregeln sind zu beachten bzw. werden gerne missachtet?
Nur mit einer kompetenten, gut ausgebildeten Gruppe unterwegs sein – sie sind es, die mir ev. das Leben retten können. Vor jedem Winter einstimmen auf eine lange Skisaison: Material checken, sich wieder in die Thematik einstimmen-/lesen und ev. einen Auffrischungskurs besuchen. Gute Tourenplanung, nicht nur die Gefahrenstufe sondern v.a. die herrschenden Lawinenprobleme beachten, im Gelände die Lawinenprognose permanent mit der Ist-Situation updaten und v.a. das Gelände optimal ausnützen und auf Geländefallen achten. Daneben mit der Gruppe offen die jeweiligen Einschätzungen und Gedanken teilen und im Zweifelsfall umdrehen. Niemanden zu irgendetwas überreden, sich dafür auch mit anderen Gruppen austauschen und v.a. bei der Abfahrt große Abstände einhalten und die besten Sammelpunkte wählen.