Seine Zeit kann noch kommen: Landeshauptmann Hermann Schützenhöfer im Interview
weekend: Sie feiern Ende des Monats Ihren 70. Geburtstag. Welche Gedanken gehen Ihnen da durch den Kopf?
Hermann Schützenhöfer: Als mein Vater 70 wurde, habe ich in Erinnerung, dass er ein alter Mann war. Dieses Gefühl habe ich von mir nicht. Natürlich ist der 70er ein markanter Punkt, aber ich fühle mich nicht alt.
weekend: Mit welchem Gefühl gehen Sie ins neue Jahrzehnt?
Hermann Schützenhöfer: Mit Demut und mit dem Wissen, dass es nicht noch einmal 70 Jahre geben wird. Aber auch mit dem Wissen, dass sich der 80er oder sogar der 90er ausgeht. Insofern ist der 70er auch eine Zäsur, weil man weiß, dass man noch viel im Leben vorhat, vor allem mit der Familie. Aber nach 51 Jahren in der Politik kann ich sagen, dass das Wesentliche an politischer Arbeit gemacht ist.
weekend: Würden Sie lieber noch einmal 40 sein?
Hermann Schützenhöfer: Nein, ich halte es für verkehrt die Vergangenheit zu verklären. Wir leben aktuell in einem nie dagewesenen Sozial- und Wohlfahrtsstaat, wo es den Menschen sehr gut geht. Dieses Bewusstsein hat sich aber aus den Köpfen der Menschen wegentwickelt. Damit hängen einige der Probleme, die wir aktuell haben, zusammen.
Nach 51 Jahren in der Politik kann ich sagen, dass das Wesentliche an politischer Arbeit gemacht ist. –Hermann Schützenhöfer über das politische Leben.
weekend: Warum hat sich das wegentwickelt?
Hermann Schützenhöfer: Es ist schwierig geworden, mit jungen Menschen darüber zu reden, welche Ziele und Wünsche vorherige Generationen hatten. Heute muss alles gleichzeitig passieren und ich glaube, dass das ein Problem ist. Es wird so viel gemacht, um in die Schlagzeilen zu kommen oder einen Gag zu landen, aber die Substanz fehlt. Es ist ein Wertverlust eingetreten. Ich hätte niemals gedacht, als ich 1981 im Landtag angefangen habe, dass wir jemals Sicherheitsschleusen in den Bezirkshauptmannschaften brauchen werden.
weekend: Ein pessimistischer Ausblick. Glauben Sie, dass diese Entwicklung weitergeht?
Hermann Schützenhöfer: Ich bin heute viel optimistischer als noch vor 30 Jahren, als gesagt wurde, dass die Arbeit ausgehen wird. Die Arbeit geht nicht aus. Die Steiermark ist Forschungsland Nummer eins in Europa. Da gibt es so viele Entwicklungen, wo sich neue Arbeitsfelder auftun, dass ich nicht pessimistisch sein kann. Die Entwicklung geht in eine andere Richtung. Wir haben Menschen, die nicht arbeiten können oder wollen und die werden wir nicht wegbringen. Wir müssen den Sozialstaat fit halten für jene, die ihn brauchen und nicht für die, die es sich richten wollen.
weekend: Wie hat sich die politische Landschaft in den letzten 51 Jahren verändert?
Hermann Schützenhöfer: Als ich begonnen habe, hat es die ÖVP und die SPÖ gegeben – auch immer eine FPÖ, die es gerade so in die Parlamente geschafft hat. Die innenparteiliche Erneuerung ist damals durch die Jugendorganisationen gekommen. Wir waren die, die den Finger auf die Wunde gelegt haben. Heute tun sich die Jugendorganisationen sehr viel schwerer. Wir leben in einer Gesellschaft in der vieles brüchig geworden ist. Die staatliche Ordnung wird nicht als solche anerkannt und die Hemmschwelle ist gefallen.
weekend: Spiegelt sich das auch in der Debatte um die Impfpflicht wider?
Hermann Schützenhöfer: Es hat jüngst ein Theologe bei einem Vortrag gesagt: „Der Glaube ist abgeschafft und die Menschen flüchten in den Aberglauben.“ Die sozialen Medien will ich nicht verteufeln, aber ich halte es für eine Aufgabe der Zukunft, Regeln einzuführen. Wir brauchen diese Regeln auch im Umgang miteinander. Ich habe noch nie so viele abschätzige Mails und Schreiben bekommen. Es ist eine Verrohung der Sprache, die schon im Parlament beginnt. Das bekam auch Sebastian Kurz deutlich zu spüren.
Im Volksmund werden wir immer die Schwarzen bleiben – da können wir noch fünf mal die Farbe wechseln. – Hermann Schützenhöfer über die Umfärbung der ÖVP.
weekend: Apropos Sebastian Kurz: Mit seinem Rücktritt ist die „klassische“ ÖVP zurück. Wohin wird sich die Partei in den nächsten Jahren entwickeln?
Hermann Schützenhöfer: Im Volksmund werden wir immer die Schwarzen bleiben – da können wir noch fünfmal die Farbe wechseln. Sebastian Kurz hätte das Zeug gehabt, uns in eine gute Zukunft zu führen. Ich schließe auch nicht aus, dass seine Zeit noch einmal kommt. Jetzt sammeln wir uns aber um Karl Nehammer, dessen großer Vorteil es ist, dass es durch ihn bei den Menschen einen Erwartungsbruch gibt. In keiner anderen Partei liegt „Himmelhoch jauchzend, zu Tode betrübt“ nämlich so eng beisammen, wie bei uns. Bei Nehammer gibt es diese Extreme nicht.
weekend: Hatte die „türkise“ ÖVP nicht den Vorteil kurzer Entscheidungswege?
Hermann Schützenhöfer: Nach seiner Wahl hat Sebastian Kurz einige Bedingungen gestellt. Ich habe ihm schon damals gesagt, dass, wenn man Erfolg hat, man kein maßgeschneidertes Statut braucht.
weekend: Die Gerüchte um einen möglichen Rückzug aus der Politik halten sich hartnäckig. Haben Sie schon eine Entscheidung getroffen?
Hermann Schützenhöfer: Sagen wir so: Ich gehe mit der Entscheidung schwanger. Es schwirrt in meinem Kopf, wie fürchterlich es ist, wenn man so etwas nicht gut vorbereitet. Ich kann nur sagen, man muss bei solchen Entscheidungen mutig sein und ich überlege ernsthaft, ob ich es nochmal angehe. Auch, wenn es viele glauben, zu meinem Geburtstag gibt es nichts Neues.