Die neue Geschäftsführung von Jugend am Werk im Interview
weekend: Seit 1. Jänner stehen Sie gemeinsam mit Walerich Berger an der Spitze der Geschäftsführung von Jugend am Werk. We ist der erste Eindruck Ihrer neuen Position?
Sandra Schimmler: Es ist definitiv eine Position, die viele Herausforderungen mit sich bringt. Die Vielfalt unserer Gesellschaft spiegelt sich auch an den Themen wider, die an uns herangetragen werden. Beeindruckt hat mich vor allem die hohe fachliche Kompetenz und Professionalität von Jugend am Werk.
weekend: Sie haben an sich selbst den Anspruch, Bewährtes beizubehalten und Neues entstehen zu lassen. Was kann man sich darunter vorstellen?
Sandra Schimmler: Bei gewissen Themen braucht es einfach den Mut, Neues auszuprobieren. Auch, wenn man Gefahr läuft, zu scheitern. Das Problem ist, dass sich hierzulande nach wie vor noch keine Fehlerkultur etabliert hat. Bei Jugend am Werk steht der Mensch im Mittelpunkt und das wird so bleiben. Wir müssen schauen, was gebraucht wird und wie wir das individuell umsetzen können.
weekend: Wo braucht es denn Neues?
Sandra Schimmler: Bei den psychiatrischen Unterstützungsleistungen, weshalb wir hier unser Angebot erweitert und einen Begleitberatungsdienst ins Leben gerufen haben. Auch, was das Thema Wohnen betrifft wollen wir verstärkt präventiv tätig sein, insbesondere bei Frauenwohnungslosigkeit.
weekend: Mit dem Projekt Housing First und dem neuen Frauencafé geht es bereits in die richtige Richtung.
Sandra Schimmler: Das stimmt! Gerade bei Housing First merken wir, dass Frauen durch niederschwellige Begleitung und Beratung in ihrer Wohnungssituation stabilisiert werden können. Es gibt einfach ein hohes Maß an versteckter Obdachlosigkeit und da wollen wir ansetzen.
weekend: Ist es insgesamt schwieriger geworden, die Leute zu erreichen?
Walerich Berger: Auf jeden Fall. Psychische Erkrankungen, Vereinsamung oder der Abbruch von sozialen Kontakten haben in den letzten Jahren massiv zugenommen. Vor allem ist es schwer, Jugendliche zu erreichen, die weder in der Schule sind noch eine Ausbildung absolvieren. Hier müssen wir mit offenen und freiwilligen Angeboten reagieren, dann geht es Schritt für Schritt. Viele haben jedoch nicht einmal mehr die Kraft, sich an uns zu wenden.
weekend: Mitunter spielt auch das Thema Scham eine große Rolle...
Sandra Schimmler: Gerade das darf es in einem reichen Land wie Österreich nicht geben. Wir müssen an einen Punkt kommen, wo die Inspruchnahme von Unterstützung nicht mehr schambehaftet ist.
weekend: Jugend am Werk steht für Chancengleichheit. Hand aufs Herz: Wie weit sind wir derzeit davon entfernt?
Sandra Schimmler: Gerade aus frauenpolitischer Sicht sehe ich in manchen Bereichen einen Rückschritt. Aufgrund der Vielfalt an Herausforderungen wird die Vereinbarkeit von Familie und Karriere wieder stark zum Thema. Das hat starke Auswirkungen auf die Chancengleichheit bei Frauen und Männern. Aber auch, was Menschen mit Behinderungen betrifft, gibt es noch Luft nach oben.
weekend: Inwiefern?
Sandra Schimmler: Echte Inklusion passiert erst dann, wenn Menschen mit Behinderungen direkt am Arbeitsmarkt teilnehmen, ein Gehalt bekommen und als vollwertige Kolleginnen und Kollegen angesehen werden.
Walerich Berger: Die Grundsituation für Menschen mit Behinderungen hat sich in den letzten Jahren kein bisschen verändert. In Österreich gibt es nach wie vor eine starke Unterteilung in arbeits- und nicht arbeitsfähig. Und wer nicht arbeitsfähig ist, wird ausgegrenzt. Dabei haben wir mit steirischen Pilotprojekten bereits bewiesen, dass es durch entsprechende Instrumente, Hirnschmalz und dem Verrücken der einen oder anderen Grenze möglich ist, Menschen mit Behinderungen gleichberechtigt in den Arbeitsmarkt zu inkludieren.
weekend: Kommen wir kurz zu Corona: Die Pandemie gilt zumindest am Papier für beendet. Welches Fazit ziehen Sie?
Walerich Berger: Die Steiermark hat im Sozialbereich sehr gut reagiert. Wir konnten mit dem Land eine Vereinbarung treffen, sodass unsere Einrichtungen weiter finanziert werden konnten. Wir mussten auch keine Mitarbeitenden in Kurzarbeit schicken und konnten somit ihnen und auch unseren Kundinnen und Kunden Sicherheit und Orientierung bieten.
weekend: Braucht es im Allgemeinen wieder mehr Zuversicht?
Sandra Schimmler: Die Liste der Krisen ist mittlerweile lang, deshalb verstehe ich Teile der Bevölkerung, die sie zurzeit nicht aufbringen können. Meiner Meinung nach braucht es aber Zuversicht sowie echte Solidarität und ein gutes Miteinander.
weekend: Und wie blicken Sie als Unternehmen auf das Jahr 2023?
Walerich Berger: Optimistisch. Wir sind gut aufgestellt, haben super Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und unglaubliche Kompetenzen, um uns weiterzuentwickeln. Die Vielfalt von Jugend am Werk ist eine Schatzkiste, die uns einfach auszeichnet.