AMS-Chef Snobe im Interview: "Historische Situation"
weekend: Sie sind seit 20 Jahren AMS-Chef. Haben Sie so eine Situation wie derzeit schon erlebt?
Karl-Heinz Snobe: Nein! Die Situation von Ende 2021 bis jetzt ist historisch. Geringe Arbeitslosigkeit und Fachkräftemangel trotz stotternder Konjunktur gab es noch nie. Das sieht man an allen Kennzahlen und das ist noch nie dagewesen.
weekend: Was sind die Gründe dafür?
Karl-Heinz Snobe: Es ist ein Mix: Einerseits gibt es weniger Arbeitskräfte am EU-Markt, weil diese oft in ihren eigenen Ländern bleiben. Die Situation dort hat sich nämlich verbessert. Andererseits natürlich die demografische Entwicklung. Also geburtenstarke Jahrgänge, die in Pension gehen. Das wussten wir aber schon lange und haben davor gewarnt.
weekend: Haben die Warnungen nicht gefruchtet?
Karl-Heinz Snobe: Das lässt sich schwer beantworten, aber es darf niemand überrascht sein – wir wussten um die Entwicklung. Allerdings beschäftigen sich auch Unternehmer oft zu wenig oder gar nicht mit der demografischen Entwicklung. Wir weisen darauf hin, mehr können wir nicht tun.
weekend: Heißt, wir müssen jetzt Arbeitskräfte aus Übersee holen, wie es zum Beispiel die KAGes im Pflegebereich bereits tut?
Karl-Heinz Snobe: Eigentlich ist das nichts Neues – die Deutschen tun das seit Jahren. Die KAGes holt derzeit Arbeitskräfte aus Südamerika (Kolumbien), weil diese eine soziale Nähe zu unserer Kultur haben und ausgezeichnet qualifiziert sind. Aber einfach ist das trotzdem nicht, da bedarf es Strukturen.
weekend: Gibt es solche Strukturen oder sind sie geplant?
Karl-Heinz Snobe: Die Außenhandelsstellen der Wirtschaftskammer helfen teilweise mit. Aber eine Anwerbestrategie wie für die Gastarbeiter der 1970er-Jahre gibt es nicht, weil die bisher nicht nötig war. Der politische Wille, dies zu ändern, muss vorhanden sein und es gibt Überlegungen in diese Richtung.
weekend: Kommen wir zurück zum Arbeitsmarkt. Es gibt derzeit in etwa so viele offene Stellen wie Arbeitslose. Passen die nicht zusammen?
Karl-Heinz Snobe: Leider nein! Ein Beispiel: In der Steiermark hatten wir im März rund 31.000 Arbeitslose, aber nur rund 10 Prozent davon sind für den Arbeitsmarkt und Unternehmen interessant. Der Rest sind Langzeitarbeitslose, ältere Personen und unter anderem gesundheitlich stark beeinträchtigte Menschen. Plakativ gesagt haben 90 Prozent der Arbeitslosen ein oder mehrere gravierende Probleme. Wobei sich die Situation vor allem bei älteren Arbeitslosen entspannt und auch diese immer öfter von Firmen genommen werden.
weekend: Kommen wir komplett in die Steiermark. Das Verbrenner-Aus der EU dürfte uns stark treffen, oder?
Karl-Heinz Snobe: Wenn wir nichts tun auf jeden Fall! Wir haben in der Steiermark rund 40.000 unselbstständige Beschäftigte in dieser Branche, also Autobau und Zulieferer. 8.000 bis 10.000 dieser Jobs sind akut bedroht, weil Elektroautos auch weniger komplex sind als Verbrenner. Positiv ist jedoch: Wir haben noch Zeit und den Verantwortlichen ist das Problem bewusst. Ich bin in regem Austausch mit der Wirtschaftslandesrätin Barbara Eibinger-Miedl und wir arbeiten an Lösungen.
weekend: Ist eine potenzielle Lösung die Schaffung von Green-Jobs, wie jetzt angekündigt?
Karl-Heinz Snobe: Ich muss noch ergänzen, dass einige dieser wegfallenden Jobs in der Auto-
branche auch durch Pensionierungen abgefedert werden können. Da hilft uns die Demografie. Aber ja, Umschulungen, Weiterbildungen und Qualifizierungen im Umweltsektor sind stark gefragt. Wir haben mit allen Bildungsbetrieben der Steiermark ein Paket für rund 700 Plätze im Green-Sektor geschnürt. Da geht es um Solartechniker, Weiterbildung von Intallateuren, Qualifizierung im Bereich Elektronik und da wollen wir stark unterstützen. Es braucht diesen Umbau, da Metalltechnik in Zukunft eher an Bedeutung verlieren wird. Das gute daran: Wir müssen nicht unbedingt nur neue Mitarbeiter ausbilden, sondern bestehende umschulen. Das kann ein großer Erfolg werden.
weekend: Kommen wir zu einem weiteren akuten Problem: der Inflation. Merken Sie das als AMS-Chef?
Karl-Heinz Snobe: In vielerlei Hinsicht sogar. Die Nachfrage nach Vollzeit steigt, auch hier im AMS. Meine Mitarbeiter wollen wieder mehr arbeiten. Das sehen wir auch bei den Vermittlungen von Arbeitslosen. Die Menschen brauchen mehr Geld zum Leben. Arbeitslosengeld und Notstandshilfe wurden auch bisher nicht an die Inflation angepasst.
weekend: Sind Sie dafür, es anzupassen oder soll es so bleiben wie bisher?
Karl-Heinz Snobe: Wir könnten so eine Anpassung nicht vornehmen, das braucht eine gesetzliche Änderung. Ich bin eher für die Unterstützung per Einmalzahlung, wie bereits passiert. Das Arbeitslosengeld muss sich vom Arbeitseinkommen unterscheiden!