Zeit als Währung: Heute schenken, morgen profitieren
Während ein rüstiger Pensionist womöglich nicht weiß, was er mit all seiner freien Zeit anfangen soll, kämpfen junge Eltern mit Betreuungsengpässen und alte Menschen mit Einsamkeit. Genau hier kommt die Organisation „Zeitpolster“ ins Spiel, die sich nach coronabedingten Startschwierigkeiten vor zwei Jahren nun auch in Salzburg etablieren möchte. Mit einem unkonventionellen Vorsorgemodell sagt der Verein Altersarmut und Betreuungsproblemen den Kampf an.
Zeitgutschriften aufbauen
Der Grundgedanke ist einfach: Heute Zeit schenken, morgen davon profitieren. Zeitpolster-Mitglieder unterstützen ältere Menschen, Personen mit Beeinträchtigungen, pflegende Angehörige oder Familien mit Kindern bei Alltagstätigkeiten und schenken ihnen freiwillig Zeit und Aufmerksamkeit. Diese investierten Stunden werden auf einem Konto für später gutgeschrieben. Brauchen die Helfer eines Tages selbst Unterstützung, kann das Guthaben eingelöst werden. Wer noch nichts auf seinem Stundenkonto angespart hat, jedoch Hilfe braucht, hat auch die Möglichkeit, sich um acht Euro pro Stunde einen Zeitpolster zu kaufen.
Bedarf steigt
Laut Statistik Austria wird Österreich heuer voraussichtlich die 9-Millionen-Marke in puncto Einwohnerzahl knacken. Insbesondere der Anteil der Generation 65+ nimmt zu und gewinnt an Gewicht in der Gesellschaft. Die Geburtenzahlen hingegen stagnieren, es leben mehr Menschen im Alter von 65+ als unter 20-Jährige im Land. Zudem sterben vielerorts Großfamilien und Nachbarschaftsnetzwerke aus, wodurch es immer weniger Junge gibt, die betreuungsbedürftigen Menschen helfen können. „Zeitpolster ist eine gute Ergänzung zu den bestehenden Angeboten des Ehrenamts im sozialen Bereich und bietet einen professionellen Rahmen für gemeinwohl-orientierte Dienstleistungen“, zeigt sich auch Landesrätin Andrea Klambauer überzeugt. Zeitpolster ersetzt weder professionelle Pflege noch medizinische Leistungen durch geschultes Personal. Schaffen es die Verantwortlichen jedoch, ein gutes Netzwerk aufzubauen, kann der Verein in Zukunft die klassische Altersvorsorge entlasten.
Nachbarschaftshilfe als Vorsorge
Zu den Aufgaben, die von Zeitpolster-Mitgliedern übernommen werden, zählen zum Beispiel Fahrdienste, Hilfe beim täglichen Einkauf, kleine Reparaturen im Haushalt sowie das Begleiten zu Arztterminen. Oder man passt einige Stunden auf Kinder auf und verbringt mit alten und/oder beeinträchtigten Menschen nette Nachmittage, um Angehörige zu entlasten. Darunter fallen auch gemeinsame Aktivitäten wie Spaziergänge in der Natur, Ausflüge oder gemütliches Kaffeetrinken im Garten. Um es so unkompliziert wie möglich zu halten, können Freiwillige selbst entscheiden, ob sie regelmäßig oder nur in Einzelfällen anderen unter die Arme greifen möchten.
Salzburg-Pool
In Österreich wurde der soziale Verein 2018 von Gernot Jochum-Müller in Vorarlberg aktiviert. Mittlerweile sind in Tirol, Wien, Niederösterreich, Salzburg und der Steiermark Ableger aktiv, mehrere 100 ehrenamtliche Helfer sind im Einsatz. Zeitpolster ist außerdem auch in Deutschland sowie Liechtenstein tätig, ein ähnliches Modell gibt es in Japan. In der Stadt Salzburg arbeitet bereits seit zwei Jahren ein Zeitpolster-Team, zwei weitere befinden sich aktuell in der Gründungphase. „Aus Erfahrungen wissen wir, dass vor allem Personen im Alter von 55+ Interesse haben. Die beruflichen Hintergründe sind ganz verschieden“, erläutert Regionalkoordinatorin Susanne Liedauer. Im besten Fall kann ein flächendeckender Helfer-Pool aufgebaut werden, um die Dienste in so vielen Gemeinden wie möglich anzubieten.
Kurzinterview: "Wir haben ein Notfallkonto"
weekend.at: Frau Liedauer, Sie sind Regionalkoordinatorin des Vereins Zeitpolster in Salzburg. Gibt es Kriterien, die ein Mitglied erfüllen muss?
Susanne Liedauer: Helfen kann jeder, sofern Freude an der Tätigkeit vorhanden ist. Als einzige Voraussetzung benötigen wir einen doppelten Strafregisterauszug von allen Helferinnen. Wir unterstützen bei diesem Vorgang und stellen das zweckgebundene Antragsformular zur Verfügung.
weekend.at: Sucht man sich Personen aus, denen man hilft oder wird das zugewiesen?
Susanne Liedauer: In jedem Team gibt es eine Person, die alle Helfer und Betreuten kennt. Sie weiß um den Bedarf und die Angebote Bescheid und organisiert ein Kennenlernen. Die Helfenden können jedoch selbst bestimmen, wie viele Stunden sie unterstützend tätig sind.
weekend.at: Was aber, wenn ich heute helfe, in zehn Jahren selbst Hilfe brauche und keiner zur Verfügung steht?
Susanne Liedauer: Jeder der Hilfe braucht, aber keine Zeitpolster hat, kann Unterstützung für 8,– Euro/Stunden kaufen. Davon gehen stets 4,– Euro auf unser Notfallkonto, mit dem in einen solchen Fall externe Leistungen zugekauft werden können.