Seit 18 im Rollstuhl: Vollgas Leben
Ein Moment kann das Leben für immer verändern. Niemand weiß das besser als Jakob Lorenz aus Feldkirchen an der Donau. Am 20. Juli jährt sich dieser „Moment“ für ihn zum vierten Mal. Es war ein Freitag, er hatte die Frühschicht als Maschinenbaulehrling in der voestalpine beendet und schwang sich auf sein Motorrad, um zu seiner damaligen Freundin zu fahren. Als er einen Lkw überholte, stieß er mit einem einbiegenden Auto zusammen und wurde unter den Sattelschlepper geschleudert.
Auf der Kippe
Drei Tage lang lag Jakob Lorenz danach im künstlichen Koma. Aufgrund der zahlreichen Verletzungen war nicht klar, ob er das Ganze überleben würde. Doch nach drei Wochen auf der Intensivstation wurde er schließlich auf die normale Unfallstation verlegt, wo er weitere drei Monate verbrachte. Erst ab diesem Zeitpunkt setzt das Gedächtnis des Mühlviertlers wieder ein – an den Unfall selbst sowie an die Wochen danach kann sich der heute 22-Jährige bis dato nicht erinnern, erzählt er uns. Er weiß auch nicht mehr, wie er reagierte, als ihm die Ärzte sagten, dass er querschnittsgelähmt sei.
Das Leben und Erfolge gefeiert
„Mit den ganzen Schmerzmitteln und Narkosen immer wieder – allein mein linker Arm wurde sieben Mal operiert – ist man nicht ganz bei Sinnen“, sagt Jakob Lorenz. Doch auch als er „richtig realisierte“, dass er von nun an im Rollstuhl sitzen wird, stürzte er nicht in ein Tief. Nein – er freute sich darüber, den schweren Unfall überlebt zu haben: „Ich habe nie geflucht oder war wochenlang traurig, habe nicht hinterfragt, ‚warum ist das gerade mir passiert?‘. Ich habe meinen Humor behalten und mich über die kleinen Fortschritte gefreut. Ich weiß noch, als ich zehn Sekunden lang frei sitzen konnte – ohne anzulehnen“, erinnert sich Lorenz. Mehr als ein halbes Jahr war er auf Reha in Tirol. Eine begleitende Psychotherapie, die ihm angeboten wurde, lehnte er dankend ab.
Nach dem Unfall bin ich von einem Schlag auf den anderen reifer geworden. Ich habe vieles anders gesehen und gedacht – bei allen schlechten Sachen, habe ich das bisserl Positive rausgezogen und mich darüber gefreut. – Jakob Lorenz
Leidenschaft neu entflammt
Im Juli 2021, nur drei Jahre nach seinem schweren Unfall, stieg Jakob Lorenz das erste Mal wieder auf ein Motorrad. „Das war sowieso von Anfang an klar“, sagt er zu uns im Interview. Doch damit nicht genug, mittlerweile fährt der 22-Jährige sogar auf Rennstrecken: „Ich nehme so oft wie möglich an Trainings- und Gaudi-Rennen teil – in der Slowakei, Ungarn, Kroatien, und so weiter“, so Lorenz, der zum Zeitpunkt des Interviews Ende Juni 2022 schon an zehn Rennen heuer teilgenommen hat.
Herausforderungen
„Ich schaue, dass ich jede zweite Woche zum Fahren komme. Aber es ist sauteuer. Ticket, Maut, Vignette, Sprudel für die Anreise und auf der Strecke, der Reifenverschleiß, da muss man für ein Rennwochenende schon rund 1.000 Euro hinlegen“, veranschaulicht der Motorsport-Fan. Um an den Rennen teilnehmen zu können, braucht Jakob Lorenz als Rollstuhlfahrer außerdem ein Team aus zwei bis drei Personen, die ihm beim Starten, Auf- und Absteigen helfen. Sein Vater und sein Cousin, selbst begeisterte Rennfahrer, unterstützen ihn viel. „Aber mein Vater kann sich natürlich auch nicht immer Urlaub nehmen. Und wenn die Strecken sehr weit weg sind, ist es noch schwieriger, Leute zu finden, die das freiwillig in ihrer Freizeit machen.“
Ziel vor Augen
Bei diesen Rennen ist Jakob Lorenz übrigens der einzige Rollstuhlfahrer. Es gibt aber eine Europameisterschaft – nur für beeinträchtigte Menschen. Daran teilzunehmen, ist das große Ziel des 22-Jährigen. Nächstes Jahr will er spätestens dabei sein: „Wenn‘s schon so eine Meisterschaft gibt, dann muss ich da rein! Wir sind gerade einmal drei deutschsprachige Fahrer – ein Tiroler, einer aus Bayern und ich. Da müssen wir schon schauen, dass wir gegen die Italiener und Franzosen auftrumpfen“, so der ehrgeizige Mühlviertler.
Langeweile? No Way!
Beruflich hat Jakob Lorenz nach seinem Unfall von Maschinenbau- auf Werkstofftechniker umgesattelt. Im Februar 2023 schließt er seine Lehre bei der voestalpine ab. Neben seinem Hobby, dem Motorradfahren, spielt er gerne Tischtennis. Nach wie vor stehen außerdem viele Physiotherapien am Programm. Die pandemiebedingten Ausgangsbeschränkungen in den letzten beiden Jahren fand der 22-Jährige nicht schlimm: „Ich war nie der Fortgeher, ich trinke keinen Alkohol und rauche nicht. Ich setze mich lieber gemütlich zusammen – zum Beispiel beim Grillen.“ Während der Lockdowns legte er sich eine Hantelbank und andere Home-Trainingsgeräte zu. Langweilig war ihm nie und wird ihm wohl auch nie werden. Ein Leben, das auf der Kippe stand, ist heute noch praller gefüllt mit Leben und der Freude am Leben. Von Jakob Lorenz kann sich manch einer eine Scheibe abschneiden.