Direkt zum Inhalt
Das österreichische Nationalteam im Jahr 1954.
V.li.: Ocwirk, Schmied, Happel, A. Körner, Barschandt, Koller, Wagner, Probst, R. Körner, Stojaspal, Hanappi
V.li.: Ocwirk, Schmied, Happel, A. Körner, Barschandt, Koller, Wagner, Probst, R. Körner, Stojaspal, Hanappi
Votava / brandstaetter images / picturedesk.com

12-Tore-Farce: Das war Österreichs letzter K.o.-Sieg

27.06.2024 um 14:15, Philipp Eitzinger
min read
Wer sich daran erinnert, ist wirklich alt: Im EM-Achtelfinale gegen die Türkei kämpft Österreich um den ersten Sieg in einem K.o.-Spiel seit 1954!

Dass Österreich bei einer WM oder einer EM die Vorrunde übersteht, ist schon selten. Dass es einen Sieg in einem K.o.-Duell eines großes Turnieres gibt, ist umso seltener. Das letzte Mal, dass Österreich das geschafft hat, ist so lange her, dass es nicht mal vernünftige TV-Bilder davon gibt, geschweige denn eine Übertragung des ganzen Spiels. Das war nämlich 1954 und es war eines der legendärsten Spiele der Fußball-Geschichte.

Wenige Möglichkeiten

Als Österreich bei den WM-Turnieren 1978 in Argentinien (Stichwort: Córdoba!) und 1982 in Spanien (Stichwort: Gijón!) die Vorrunde überstand, folgte danach keine K.o.-Runde, sondern eine zweite Gruppenphase, in der Österreich jeweils ausschied. Bei der EM 2021 traf das ÖFB-Team im Achtelfinale auf Italien, scheiterte knapp nach Verlängerung.

Daher muss man für einen österreichischen Sieg in einem K.o.-Duell sogar bis 1954 zurück gehen. Bei der WM in der Schweiz folgte nach der Vorrunde (die Österreich mit Siegen gegen die Tschechoslowakei und Schottland überstand) das Viertelfinale, dort traf man auf den Gastgeber, der überraschend Italien eliminiert hatte. Es war an diesem Samstag Nachmittag in Lausanne unerträglich heiß, das sollte das Spiel bestimmen.

Sonnenstich und Torflut

Der österreichische Radio-Reporter Heribert Meisel musste ob der Hitze zur Halbzeit w.o. geben und das Mikrofon seinem Assistenten Edi Finger überlassen. Man kann sich also vorstellen, welche Qualen die Spieler durchlitten. Der österreichische Torhüter Kurt Schmied, der sich in Bombenform befand, handelte sich innerhalb kürzester Zeit einen Sonnenstich ein, war kaum noch Herr seiner Sinne. Auswechslungen waren damals aber strikt untersagt – also stellte sich ein ÖFB-Betreuer hinter das Tor dirigierte den Goalie: "Kurtl, links! Achtung, Schuss nach rechts!" Dennoch gingen die Schweizer rasch 3:0 in Führung, zwei der Tore waren Torwartfehler.

Allerdings ging es dem Schweizer Abwehrchef Roger Bocquet kaum besser, die Defensive der Eidgenossen wurde ohne seine Anweisungen löchrig und innerhalb von vier Minuten machte Österreich aus dem 0:3 ein 3:3 – und es war noch nicht mal eine halbe Stunde gespielt.

Ernst Happel klärt einen Ball

Spiel hält zwei Weltrekorde

Das Match war eine absolute Farce, nach einem österreichischen Doppelschlag zum 5:3 verkürzten die Schweizer auf 4:5, Österreichs Alfred Körner verschoss noch vor Ende der ersten Hälfte (!!!) einen Elfmeter. Nachdem sich die Spieler in der Halbzeitpause sammeln und abkühlen konnten, beruhigte sich das Spiel. Turl Wagner erhöhte für Österreich zum 6:4, einem erneuten Schweizer Tor ließ Österreich in der 76. Minute den Treffer zum 7:5-Endstand folgen.

Bis heute hält die Hitzeschlacht von Lausanne den Weltrekord für die meisten Tore in einem WM-Spiel, außerdem hat niemals sonst ein Team in einem WM-Spiel drei Tore in vier Minuten erzielt, so wie Österreich hier zum zwischenzeitlichen 3:3-Ausgleich. Torhüter Schmied war vier Tage später für das Halbfinale gegen Deutschland nicht fit geworden, sein Ersatzmann Walter Zemann verschuldete beim 1:6-Debakel gegen den späteren Weltmeister einen Elfmeter und sah bei drei weiteren Gegentoren ziemlich schlecht aus.

Keiner aus dem Team lebt noch

Österreich gewann das Spiel um Platz drei gegen den entthronten und entsprechend lustlosen Titelverteidiger Uruguay mit 3:1, die Reaktionen auf das Turnier waren gemischt: Das Team befand sich 1950 und 1951 auf dem Zenit, war bei der WM 1954 schon auf dem Weg nach unten und der dritte Platz war ein schöner Erfolg. Andererseits haderte man mit dem Debakel gegen Deutschland, weil man sicher war: Da wäre mehr drin gewesen.

Was man nicht ahnte: Dass es 67 Jahre dauern sollte, bis Österreich überhaupt wieder ein K.o.-Spiel bei einem großen Turnier bestreitet – und dass es (mindestens) 70 Jahre sind, ehe das ÖFB-Team ein solches gewinnt... Jedenfalls sollte es keiner der Spieler erleben: Turl Wagner und Alfred Körner waren am 21. und 23. Jänner 2020 die letzten aus der damaligen Mannschaft, die gestorben sind und der ein Jahr später verstorbene Alfred Teinitzer war der letzte noch lebende Kaderspieler.

Das Match

Kurt Schmied (28, Vienna) - Gerhard Hanappi (25, Rapid), Ernst Happel (28, Rapid), Leopold Barschandt (28, Sportclub) - Ernst Ocwirk (28, Austria), Karl Koller (25, Vienna) - Turl Wagner (26, Wacker Wien), Ernst Stojaspal (29, Austria) - Robert Körner (29, Rapid), Erich Probst (26, Rapid), Alfred Körner (28, Rapid). Teamchef Walter Nausch, Trainer Edi Frühwirth, Hans Pesser und Josef Molzer.

Torfolge: 0:1 (16.) Ballaman, 0:2 (17.) Hügi, 0:3 (19.) Hügi, 1:3 (25.) Wagner, 2:3 (26.) A. Körner, 3:3 (27.) Wagner, 4:3 (32.) Ocwirk, 5:3 (34.) A. Körner, 5:4 (39.) Ballaman, 6:4 (53.) Wagner, 6:5 (60.) Hügi, 7:5 (76.) Dienst. Schiedsrichter: Charlie Faultless (Schottland).

more