Sebastian Kurz: „Mir geht es wie uns allen“
weekend: Herr Bundeskanzler, wenn Sie die letzten Monate mit drei Adjektiven beschreiben müssten, welche würden Sie wählen?
Sebastian Kurz: Fordernd, lehrreich und verbindend. Fordernd, weil wir alle – Regierung, Länder, Behörden und viele andere – rund um die Uhr daran arbeiten, einerseits die Pandemie als Gesundheitskrise und andererseits die Folgen der Weltwirtschaftskrise zu bekämpfen. Wir lernen auch laufend dazu, was den Umgang mit dem Virus angeht. Und wir haben gesehen, dass die Bundesregierung in dieser schwierigen Phase zusammenhält, deshalb würde ich die Zeit auch als verbindend bezeichnen.
weekend: Sie waren seit Ausbruch der Corona-Krise im Dauereinsatz. Wie sehr leidet das Privatleben darunter? Wie oft haben Sie Ihre Lebensgefährtin oder Ihre Familie gesehen?
Sebastian Kurz: Mir geht es wie uns allen. Die erste Zeit, als wir harte Maßnahmen setzen und Kontakte vermeiden mussten, war natürlich nicht angenehm. Ich habe – wie viele andere – meine Eltern und Großeltern einige Wochen nicht besucht. Es blieb uns eine Quarantäne im Kanzleramt Gott sei Dank erspart, also konnte ich meine Freundin nach der Arbeit sehen, wenn auch seltener und kürzer.
Glauben sie mir, das letzte, worauf wir als Regierung schauen, sind Umfragen.
weekend: In den ersten Wochen der Krise erreichte die Regierung in den Umfragen unglaublich hohe Zustimmungswerte. Nun geht es seit einigen Wochen in die andere Richtung. Im Herbst rechnen viele Wirtschaftsforscher mit krisenhaften Zuständen. Wie sehr werden Sie und die Regierung dann unter Druck geraten?
Sebastian Kurz: Glauben Sie mir, das Letzte, worauf wir als Regierung schauen, sind Umfragen. Die gehen einmal ein bisschen hinauf und dann wiedermal ein bisschen hinunter. Persönlich bin ich dankbar, dass ich 2017 und 2019 das Vertrauen der Österreicherinnen und Österreicher bekommen habe. Das Einzige, was mich im Moment interessiert, sind die Zahlen der Neuinfizierten und der Arbeitslosen beziehungsweise jener in Kurzarbeit.
weekend: Die Zahlen an Infizierten steigen und die Maskenpflicht wurde wieder eingeführt. Ist auch ein zweiter Lockdown möglich?
Sebastian Kurz: Es gilt, alles Menschenmögliche zu tun, um einen zweiten Lockdown zu verhindern. Wir setzen in dieser Phase bekanntlich stark auf regionale Maßnahmen. Wir müssen verhindern, dass aus regionalen Glutnestern ein österreichweiter Flächenbrand wird. Deshalb setzen wir auf das Ampelsystem, das es ermöglicht, österreichweit bei Auftreten von Infektionen einheitlich zu reagieren.
weekend: Viele Menschen kritisieren Ihre „unsolidarische Haltung“ in Bezug auf den EU-Wiederaufbauplan, obwohl die Position Österreichs dadurch verbessert wurde. Verstehen Sie das?
Sebastian Kurz: Es ist absurd, uns als unsolidarisch zu bezeichnen, ich bin es aber gewohnt, dass die Opposition mich kritisiert. Ich bin der Meinung, dass ich als Bundeskanzler den österreichischen Steuerzahlerinnen und Steuerzahlern gegenüber verpflichtet bin. Es kann nicht sein, dass wir viel Geld in die Hand nehmen, ohne darüber zu sprechen, wofür es verwendet werden soll. Wir können nicht in krankende Systeme investieren, sondern müssen darauf achten, dass das Geld in die Zukunft und die Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit der Länder investiert wird. Außerdem lehne ich eine Vergemeinschaftlichtung von Schulden strikt ab.
Es ist absurd, uns als unsolidarisch zu bezeichnen, bin es aber gewohnt, dass die Opposition mich kritisiert.
weekend: Insgesamt gewinnt man den Eindruck, dass Österreich in der Corona-Zeit nicht näher zusammengerückt, sondern eher noch mehr gespalten ist. Sollte eine solche Krise nicht stärker zusammenschweißen?
Sebastian Kurz: Wir haben zu Beginn der Krise einen nie dagewesenen nationalen Schulterschluss erlebt. Bund, Land, Gemeinden und alle Parteien haben erkannt, dass wir schnell handeln müssen. Der Erfolg aller gesetzten Maßnahmen im Kampf gegen das Virus ist vor allem auf die Bevölkerung zurückzuführen, die in den vergangenen Monaten vorbildlich mitgemacht hat.
weekend: Die politischen Fronten werden immer verhärteter. Sie selbst polarisieren sehr stark. Warum gelingt es Ihnen nicht, ein Bundeskanzler für alle Österreicher zu sein?
Sebastian Kurz: Als Bundeskanzler bin ich natürlich für alle Österreicherinnen und Österreicher da. Man sollte sich von der aufgeheizten Stimmung bei manchen Debatten nicht täuschen lassen. Es gehört zum Geschäft der Opposition, uns zu kritisieren. Mir ist wichtiger, was bei den Leuten ankommt. Egal, was wir machen, wir haben immer das große Ganze im Blick. Das erkennt man auch an unseren Entlastungsmaßnahmen. Wir entlasten kleine und mittlere Einkommen, Familien und gleichzeitig die Wirtschaft – nur so werden wir aus der Krise kommen.
Angela merkel hat sich sehr über die Sachertorte gefreut, die wir ihr mitgebracht haben.
weekend: Den ÖVP-Ministern, speziell den weiblichen, werden immer wieder sachliche Defizite vorgeworfen. Es wird auch schon von einer Regierungsumbildung gemunkelt. Schließen Sie eine solche aus?
Sebastian Kurz: Sehen wir uns die Qualifikationen an. Margarethe Schramböck war vorher eine absolute Spitzenmanagerin und war unter anderem CEO von A1. Su- sanne Raab baute die Integrationssektion auf, ist top ausgebildet und hat sich jahrelang führend mit dem Thema befasst. Christine Aschbacher war Risikoanalystin im Finanzministerium, hat Erfahrung im Wirtschaftsministerium gesammelt und war erfolgreiche Unternehmerin. Klaudia Tanner hat sich als Frau in einer Männerdomäne, dem Bauernbund, durchgesetzt und ist nun sehr engagiert im Verteidigungsressort. Karo Edtstadler war als Richterin in Straßburg. Elisabeth Köstinger wurde bereits als junge EU-Abgeordnete von den anderen MEPs zur Abgeordneten des Jahres gewählt. Ich stehe voll und ganz hinter meinem Regierungsteam.
weekend: Sie prägen seit 2013 die österreichische Außenpolitik in verschiedenen Funktionen, seit 2017 als Bundeskanzler. Wie wichtig ist es, Erfahrung am internationalen Parkett zu haben?
Sebastian Kurz: Es ist natürlich immer von Vorteil, wenn man international Verbündete hat. Gerade im Zuge der CoronaKrise war der Austausch mit anderen Staats- und Regierungschefs aus der ganzen Welt enorm wichtig.
weekend: Lernt man sich bei den EU-Gipfeln auch privat kennen? Plaudern Sie beispielsweise mit Angela Merkel oder Emmanuel Macron über banale Dinge des Alltags wie Familie, Kinder, Lieblingsspeisen oder Lieblingsmusik?
Sebastian Kurz: Natürlich unterhält man sich auch mal über anderes als die Tagesordnung. Angela Merkel hat sich kürzlich sehr über die Sachertorte gefreut, die wir ihr zum Geburtstag mitgebracht haben. Ich hoffe, sie hat ihr auch geschmeckt.
weekend: Mit welchen Regierungschefs können Sie besonders gut?
Sebastian Kurz: Ich bemühe mich immer, Allianzen zu schmieden, die unserem Land helfen. Wir haben im Zuge der Verhandlungen zum EUBudget und des Wiederaufbaufonds als sogenannte sparsame Vier erreicht, dass wichtige Verbesserungen vorgenommen wurden. Auch Finnland hat uns unterstützt. Aber bei anderen Themen sind es wiederum andere Staats- und Regierungschefs, mit denen wir eng zusammenarbeiten.
weekend: Sie waren einige Tage in Kärnten auf Urlaub. War es das schon oder haben Sie noch einen weiteren Urlaub vor? Zypern soll im Herbst sehr schön sein …
Sebastian Kurz: Ja, ich habe ein paar Tage in Kärnten an einem See verbracht. Das war der Wunsch meiner Freundin. Wenn es die Zeit zulässt, dann möchte ich noch die eine oder andere Bergtour machen.