Klaus Eckel: Im Salon der guten Hoffnung
Inhalt
- Buch und Bühne
- Humor und Tragik
- Die Grenzen der Satire
- Vertrauen und Kontrolle
- Die Wut über das Bildungssystem
- Spaltung ist herbeigeredet
- Die Macht von Social Media
- Alles ist politisch
- Das Leben braucht Zuversicht
- Genussfeindlichkeit ist bedenklich
Mit „In meinem Kopf möchte ich nicht wohnen“ legt Kabarettist Klaus Eckel bereits sein viertes literarisches Werk vor. Seinen neuesten Wurf nennt der 50-Jährige gegenüber weekend liebevoll ein „Worst-of“ – eine Art literarische Resteverwertung zum Bühnenprogramm. Kabarettist Klaus Eckel im Gespräch über sein neues Buch, die Baustelle Bildung und das Recht auf Wurschtigkeit.
Buch und Bühne
Wie fühlt es sich an, das Buch fertig zu haben?
Klaus Eckel: Ich warte auf die Leere nach dem Fertigwerden. Aber da das so ein Nebenprodukt neben einem Kabarett ist, ist es jetzt nicht ganz so. Ich bin ja nicht hauptsächlich Autor, sondern hauptsächlich Kabarettist.
Ist es im Entstehen eines Kabaretts mit entstanden?
Klaus Eckel: Ich schreibe wahnsinnig viel und es gibt so viele Überlauftexte, die ich nicht ins Programm reinbringen kann. Und dann habe ich mir gedacht, okay, manche Themen sind auch ein bisschen vielleicht sogar tiefgründiger, aber trotzdem humorig. Es sind Texte, die nicht ins Programm reinfinden. Bevor ich sie auf der Ersatzbank verharren lasse, packe ich sie lieber in ein Buch.
Eine Resteverwertung.
Klaus Eckel: Resteverwertung, man könnte auch sagen ein Worst-of, wenn das Best-of im Programm ist.
Wenn Sie wählen müssten, Kabarett oder Buch?
Klaus Eckel: Eindeutig Kabarett. Das Schöne ist die Unmittelbarkeit, dass die Leute die Laune widerspiegeln. Kabarett ist der ehrlichste Beruf, den es gibt. Es gibt keinen Beruf, der so dauernd unter diesem Feedbackstress lebt. Ich habe alle drei Sätze ein Feedbackgespräch mit meinen Chefs, nämlich den Zuschauern. Es kann keiner dich belügen. Humor kannst du, die Pointen funktionieren oder funktionieren nicht.
Humor und Tragik
Worüber können Sie privat lachen?
Klaus Eckel: Ich schaue mir gerne Stand-up-Sachen an, gerne auch von den Kollegen aus England und Amerika. Ich lese auch gerne – und Tragikomödien. Das ist mein Lieblingsgenre. Wenn etwas tragisch ist und dann gleichzeitig Humor findet, das kommt dem Menschen am nächsten.
Brauchen gerade tragische Situationen Humor?
Klaus Eckel: Ich glaube, das braucht es. Humor ist zwei Sachen: Leichtigkeit reinbringen und Distanz zum eigenen Schicksal, sich nicht ernst nehmen. Ich sage immer, Menschen, die sich ernst nehmen, kann man nicht ernst nehmen. Auch wenn die Situation ganz schwierig ist, muss man zumindest versuchen, ein bisschen auf Distanz zu gehen. Und das ist Humor. Humor versucht, den Leuten Gelassenheit ins Gehirn zu zaubern.
Ich sage immer, Menschen, die sich ernst nehmen, kann man nicht ernst nehmen.
"Dieses Buch enthält gedankenschwere Leichtigkeit, kombiniert mit ernsthaftem Witz", so die Warnung. Kolumnen, Gedankensplitter und Gedichte bilden das im Interview mit weekend liebevoll genannte "Worst-of" aus der Feder von Klaus Eckel.
Klaus Eckel
In meinem Kopf möchte ich nicht wohnen
erschienen im Ueberreuter Verlag
Die Grenzen der Satire
Es gibt kein Thema, keine Situation, wo er unangebracht ist. Oder doch?
Klaus Eckel: Ja, doch. Also ich bin kein Freund von Beleidigendem. Es gibt immer diesen Satz, dass Satire oder Humor alles darf. Das finde ich nicht. Ich versuche niemanden zu kränken. Das ist für mich ein Grundgesetz der Komik, dass du über Dinge, für die die Person nicht verantwortlich ist, keine Witze machst.
Gibt es auch Themen, über die man keine Witze macht?
Klaus Eckel: Die ganzen Missbrauchssachen, das erschließt sich mir nicht, ich habe selbst Kinder. Man kennt die Zustände, wo keine Transparenz stattfindet. Ich war selber Pfadfinder.
Prinzipiell, präventiv vertraue ich Menschen.
Vertrauen und Kontrolle
Wie hat sich das seit Ihrer Kindheit entwickelt?
Klaus Eckel: Es gibt mehr Transparenz, allein durch die Handy-Kultur, irgendwer filmt immer. Ich bin für Transparenz, aber ich will keinen Überwachungsstaat. Das ist eine Gratwanderung. Ich bin ein Freund des Vertrauens. Aber Vertrauen entzieht nicht die Sorgfaltspflicht.
Haben Sie einen Weg gefunden, den Spagat zwischen Vertrauen und Kontrolle zu schaffen?
Klaus Eckel: Prinzipiell, präventiv vertraue ich Menschen. Es gibt den schönen Satz: „Vertrauen ist Komplexitätsreduktion.“ Wenn man zum Beispiel Handwerker beauftragt; ja, sie wollen natürlich Geld verdienen, aber sie hauen dich nicht übers Ohr. Einer von zehn tut es vielleicht, okay. Wenn ich jetzt allen zehn misstraue, hinterher bin mit 5.000 Verträgen und das nochmal überprüfe – das kostet mich so viel Lebenszeit. Und ich habe ja nur dieses eine Leben.
Wir sehen nur Ausnahmefälle und dadurch glauben wir, die Ausnahme ist die Regel. Aber wir leben nicht im Ausnahmezustand.
Generell hat man zurzeit eher das Gefühl, dass das Menschenbild negativer wird, dass sich Menschen mit mehr Misstrauen entgegentreten. Was glauben Sie, woran das liegt?
Klaus Eckel: Wir Menschen haben einen unglaublichen Mitteilungsdrang, wenn wir Negatives erfahren. Es steht in keinem Verhältnis zu den guten Erlebnissen. Wenn ein Flugzeug abstürzt, siehst du das im Fernsehen. Wir sehen nur Ausnahmefälle und dadurch glauben wir, die Ausnahme ist die Regel. Aber wir leben nicht im Ausnahmezustand.
Eine negative zwischenmenschliche Begegnung brennt sich stärker ein als eine positive Begegnung?
Klaus Eckel: Wenn ich mir jede positive Begegnung so merken würde wie die negativen, ich wäre so dankbar über das eigene Gehirn. Jemand, der die Tür aufhält. Jemand, der dir bei der Suche nach dem Weg hilft. Jemand, der dir irgendwas aufhebt, was runtergefallen ist. Das sind tausende so Kleinigkeiten, die fetzen auf Durchzug durch die Wahrnehmung. Und dann aber der eine, der das Doppelte verlangt wie am Kostenvoranschlag. Den erzählst du allen Freunden.
Die Wut über das Bildungssystem
Das Raunzen ist etwas sehr Österreichisches. Ebenso wie das „Weiterwursteln“. Wo sollte Ihrer Meinung nach damit Schluss sein?
Klaus Eckel: Das Allerschlimmste ist die Bildung. Die komplette Welt dreht sich, aber das antiquierte Schulsystem bleibt. Die Welt kommt einem nicht als Fach entgegen. Egal welches Talent Kinder haben, es wird wie mit einem Rasenmäher über sie drübergefahren. Wir unterrichten allen das Gleiche zur gleichen Zeit und schauen dauernd auf die Schwächen, damit sie dann einen Vierer in etwas haben, das sie hassen. Das ist alles pervers.
Das ist der Humus, auf dem auch viele Krankheiten wachsen.
Wie müsste ein Bildungssystem Ihrer Meinung nach aussehen?
Klaus Eckel: Richard David Precht hat es richtig gesagt: Wenn wir vier vernünftige Leute aus verschiedenen Wissensgebieten das Bildungssystem neu machen lassen würden, dann würden die ihnen alles einfallen, nur nicht das jetzige Schulsystem. Es ist leider so gewachsen. Man müsste es ganz neu aufbauen, auf intrinsisches Lernen setzen, Lehrpläne massiv entrümpeln. Wir müssen Antworten auf die Gegenwart finden. Die verlangen vernetztes Denken, Eigenständigkeit, nicht dass vorne einer vorträgt und ich schreibe brav mit. Das Bildungsthema ist der Grund allen Übels, finde ich oft. Das ist der Humus, auf dem auch viele Krankheiten wachsen. Viele Frustrationen, psychische Probleme von Kindern, die unter Druck stehen, es wäre nicht notwendig. Wir sind alle durch, durch das System. Dann heißt es: „Uns hat es auch nicht geschadet.“ Das ist schon eine sehr kleine Schlussposition und vielen hat es sehr wohl geschadet. Manche haben sich total verirrt in ihrer Biografie. Manche Eltern, die das erkennen und es sich leisten können, schicken ihre Kinder in Schulen, die das Gehirn adäquater befüllen. Da spaltet es sich gesellschaftlich.

Spaltung ist herbeigeredet
Weil Sie jetzt Spaltung genannt haben, die zieht sich ja durch ganz viele Bereiche. Man sagt, wir sind so gespalten wie nie zuvor. Empfinden Sie das auch so?
Klaus Eckel: Nein, finde ich überhaupt nicht. Das ist auch so eine mediale Erzählung. Beim Thema Liebe finden fast alle Menschen berührend, wenn man ein neunzigjähriges Ehepaar sieht, das sich die Hand gibt. Egal ob du ein Rechter oder Linker bist, du findest einen Sonnenuntergang berührend. Es gibt ganz viele Sachen, Musik, Empathie, wo es egal ist, wo du politisch stehst. Der Mensch ist viel mehr als eine politische Stoßrichtung.
Der Mensch ist viel mehr als eine politische Stoßrichtung.
Im Austausch hat man aber schon immer wieder das Gefühl, dass es dann auf diese Sachen runterkommt und dass es eher ein Gegeneinander als ein Miteinander ist.
Klaus Eckel: Ja, weil es hochstilisiert wird, wie der Kampf Austria gegen Rapid. Das ist ja Blödsinn. In Wahrheit wäre es schön, wenn es so wäre wie in der Wissenschaft: Man ringt um Erkenntnis. Wir müssen beide mit einem kleinen Zweifel gegenüber unserer Meinung reingehen in die Diskussion, sonst kann man nicht zum Diskutieren anfangen. Und dann ringt man gemeinsam um die Wahrheit.
Die Macht von Social Media
Es ist natürlich angenehmer, wenn man einfach ein Bild hat, das ist bequem, das braucht man nicht hinterfragen, an dem braucht man nicht arbeiten. Der Zugang „Erkenntnisgewinn”, die Bereitschaft, Positionen zu verändern, scheint abzunehmen – gerade auf Social Media.
Klaus Eckel: Weil die sozialen Medien die Filterblasen fördern. Auch dafür braucht es Bildung, und zwar gegenüber digitalen Medien. Amerikanische Konzerne haben mehr Macht als jede politische Partei. Amerika ist ja eigentlich gekauft von einer IT-Oligarchie und wir schauen uns das ohne Regulatorium an. Da bräuchte es eine staatliche Politik, die sagt: „Okay, das lassen wir mit unseren Kindern nicht machen.“ Das ist teilweise wirklich ein Missbrauch des jugendlichen Gehirns.
Sind da nicht auch Eltern in der Verantwortung?
Klaus Eckel: Der amerikanische Konzern hat Psychologen und Verhaltensforscher. Dort setzen sich Experten damit auseinander, wie sie 14-jährige Mädchen und Buben süchtig machen. Ob Brawl Stars oder Instagram: Das Belohnungszentrum wird dauernd angetriggert. Auf der anderen Seite stehe ich als einzelner Elternteil und sage zu meinen Kindern: „Wollen wir nicht in den Wald gehen?“ Da habe ich keine Chance. Das ist asymmetrische Kriegsführung, wie es eine englische Kinderpsychologin nennt. Was sollen wir als einzelne Eltern machen? Da muss der Staat dann sagen: „Wir lassen gewisse Formen der jugendlichen Manipulation nicht zu.“
In Australien ist Zugang zu Social Media für Jugendliche unter 16 Jahren verboten.
Klaus Eckel: Es ist mal eine Idee. Ich habe immer ein Problem mit Verboten, weil Verbote neugierig machen. Wenn man ein Handy verbietet, ob es nicht dann noch geiler wird.
Alles ist politisch
Der Impact vom Kabarett auf die politische Veränderung ist unvorstellbar gering.
Wie viel Politik braucht denn Ihrer Meinung nach das Kabarett heutzutage noch?
Klaus Eckel: Das politische Kabarett hat sich jahrelang an den Rechten abgearbeitet und die Rechten sind in der gleichen Zeit explodiert. Der Impact vom Kabarett auf die politische Veränderung ist unvorstellbar gering. Prinzipiell finde ich, dass jede Aktion heutzutage politisch ist: ob du Auto fährst, was du isst, ob du verreist, wie viele Kinder du hast oder ob du keine Kinder hast, in was für einer Partnerschaft du lebst – das ist alles politisch.
Sehen Sie sich eher als Beobachter oder Kommentator des politischen Geschehens?
Klaus Eckel: Man ist immer beides. Natürlich beobachte ich und dann kommentiere ich. Es gibt eine Formulierung von Hubert von Goisern: „Entweder und oder“, und das finde ich sehr treffend. Warum muss ich mich immer entscheiden? Das ist auch so ein Trend in der heutigen Zeit.
Warum glauben Sie, ist das so?
Klaus Eckel: Weil das Gehirn Eindeutigkeit will. Weil es irrsinnig faul ist und Komplexität dem Gehirn nicht entspricht. Wir wollen ankommen mit der Antwort, alles andere bedarf Denken und Denken ist ein energiereicher Vorgang, den will das Gehirn möglichst schnell abstellen. Deswegen lieber der falsche Irrtum und bei dem bleiben, als noch einmal hinterfragen oder noch einmal eine zweite Meinung einholen.
Je älter man wird, desto mehr hätte man gerne mehr innere Aufgeräumtheit, aber die kriege ich leider nicht zusammen.

Das Leben braucht Zuversicht
Was mich auch zum Titel von Ihrem Buch führt: „In meinem Kopf möchte ich nicht wohnen.“ Warum? So wie Sie es schildern, klingt es doch sehr gemütlich.
Klaus Eckel: Aber es klingt auch nach Leidensdruck und das ist es auch. Ich denke mir immer: „Wahnsinn, es sind immer so viele Gedanken in meinem Schädel und auch immer die gleichen.“ Und es ist immer die gleiche Schallplatte, über tausend Dinge und das Gleiche schon zum viertausendsten Mal gedacht und ich komme nicht weiter. Auf der anderen Seite genieße ich die Unordnung. Es ist wie das Pippi-Langstrumpf-Haus. Es ist kunterbunt, schräg. Manchmal wünsche ich mir einen Putztrupp, der einmal durchfährt und sagt, okay, jetzt stellen wir ein paar Regale hin und ein paar Türen machen wir zu. Und da sind ein paar Tapeten, da stehen irgendwelche Vorurteile oben, die können wir auch wieder wegräumen. Je älter man wird, desto mehr hätte man gerne mehr innere Aufgeräumtheit, aber die kriege ich leider nicht zusammen. Bei mir wird kunterbunt zu kunterbunter.
Wenn man in der Früh aufstehen will und wenn man Nachwuchs gezeugt hat, müssen immer zehn Dekka Zuversicht drinnen bleiben. Mit Pessimismus kann ich das Leben auch gleich lassen.
Sie haben die Kapitel nach verschiedenen Räumen benannt. Haben Sie einen Lieblingsraum?
Klaus Eckel: Der Salon der guten Hoffnung. Es gibt, wie Marie von Ebner-Eschenbach gesagt hat, zur Zuversicht keine brauchbare Alternative. Am Ende des Tages ist sie die einzige Sache, die jeder Mensch bei sich haben soll. Wenn man in der Früh aufstehen will und wenn man Nachwuchs gezeugt hat, müssen immer zehn Dekka Zuversicht drinnen bleiben. Mit Pessimismus kann ich das Leben auch gleich lassen. Wir Menschen haben schon viel geschafft, wo eigentlich Katastrophen zugesagt waren. Waldsterben, Tschernobyl, Kalter Krieg, Ozonloch: Es stimmt mich zuversichtlich, dass wir weiterkommen.
Also Sie blicken optimistisch in die Zukunft?
Klaus Eckel: Nach wie vor. Es wird keine einfache Zeit. Es ist einfach zu viel: Waldbrand in Südchile und dann muss ich schauen, wer wird neuer Unterrichtsminister. Das ist für ein 1,4 Kilo schweres Gehirn zu viel. Ich glaube, man muss sich auch wieder ein bisschen auf seinen Mikrokosmos konzentrieren. Und mal sagen: „Okay, es darf mich auch etwas nicht interessieren. Ich habe ein Recht auf Wurschtigkeit.“
Genussfeindlichkeit ist bedenklich
Was ist Ihnen denn so richtig wurscht?
Klaus Eckel: Was ist mir so richtig wurscht? Die Wurscht. Weil ich bin Vegetarier.
Seit wann?
Klaus Eckel: Auch schon lange, ja. Und warum? Das ist eben die Frage. Das will ich gar nicht mehr beantworten. Ich habe null Missionierungsdrang – ich habe immer so viel Leberkassemmeln gegessen in der Schulzeit, dass ich auf niemanden mit dem Finger zeigen darf, wenn er Fleisch isst. Für mich ist es halt die falsche Form der Ernährung aus vielerlei Gründen.
Mir sind Menschen lieber, die ein bisschen inkonsequent sind. Ich finde es schön, wenn man ein Mängelwesen bleibt. Das ist der Mensch. Das macht ihn einfach sympathisch.
Dann spare ich die Frage aus. Aber nach dem Paprikahenderl, von dem Sie in Ihrem Buch schreiben, dass Sie es einmal im Jahr essen, möchte ich schon fragen: wahr oder Fiktion?
Klaus Eckel: Ja, das stimmt. Jetzt aber auch schon lange nicht mehr. Ich mag übrigens die Paprikahendel-Vegetarier. Ich finde Konsequenz fad. Mir sind Menschen lieber, die ein bisschen inkonsequent sind. Weil alle jetzt nur perfekt sein wollen, das finde ich unsympathisch. Ich finde es schön, wenn man ein Mängelwesen bleibt. Das ist der Mensch. Das macht ihn einfach sympathisch.
Wir brauchen Genussfähigkeit. In der Vernunft liegt wenig Zufriedenheit.
Sie haben ja auch den Dry January probiert. Wie war Ihre Erfahrung?
Klaus Eckel: Man schläft wirklich besser. Das muss man eindeutig sagen. Dass das ein Nervengift ist, das spürt man erst, wenn man es mal wegtut. Aber ich werde wieder anfangen, es wird kein Dry Life. Aber es hat mir gezeigt, dass es nichts in meinem Körper gibt, das das will. Außer mein Gemüt und die Gemütlichkeit.
Wird der Selbstversuch wiederholt?
Klaus Eckel: Ja, ich glaube schon. Aber ich bin ja auch wieder ambivalent. Ich finde eine genussfeindliche Gesellschaft bedenklich. Wo wir alles machen, damit wir 120 werden und deswegen nicht mehr rauchen, periodisch am Ergometer sitzen und dauernd den Körperfettanteil messen. Wir brauchen Genussfähigkeit. Das Leben ist über die Stränge schlagen. Das ist das, was das Leben auch lebenswert macht. In der Vernunft liegt wenig Zufriedenheit. Und gleichzeitig aber bedenken: „Brauche ich das dauernd so?“ In Wahrheit ist das der Schluss allem. Wir müssen uns mit der Ambivalenz von beiden Polen in allen Lebensbereichen abfinden, egal ob in der Politik, bei der Ernährung oder dem Berufswunsch. Manche sagen sich, ich muss mich immer selbst verwirklichen. Es wird nicht immer gehen. Jeder von uns hasst seinen Job manchmal. Man muss mit dieser Ambivalenz einen Umgang finden – und nicht glauben, man kann wo ankommen, wo man nur das oder nur das denkt.